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Bürgerpark Neustart für summende Bestäuber

Die Bienen-AG der Grundschule Harzblick Wernigerode ist umgezogen und startet mit drei neuen Völkern in das Imkerjahr.

Von Katrin Schröder 23.06.2020, 01:01

Wernigerode l Felix drückt auf den Blasebalg, Rauch dringt aus dem Smoker. Das beruhigt die Bienen, weiß Enrico Kretschmar – genau das, was die Flügeltiere brauchen, wenn er die Rahmen aus den bunt bemalten Bienenkästen nimmt. „Das ist so, als würde jemand das Dach abreißen, während wir drinsitzen und Kaffee trinken“, erklärt der Imker den Mädchen und Jungen, die um ihm herum stehen und zuschauen.Sie gehören zur Bienen-AG der Grundschule Harzblick, die sich um die Tiere im Wernigeröder Bürgerpark kümmert. Die Schüler wagen einen Neustart, nachdem Unbekannte Anfang 2019 die Bienenkästen der Arbeitsgemeinschaft umgestoßen und damit Tausende Tiere getötet hatten.

Enrico Kretschmar schüttelt den Kopf, wenn er an diesen Akt des Vandalismus zurückdenkt. „Wenn mir jemand vorhergesagt hätte, dass so etwas passiert, ich hätte es nicht für möglich gehalten“, sagt der Bienenkenner aus Hessen. Doch gemeinsam mit den Kindern will er nun nach vorne schauen – mit drei neuen Bienenvölkern am neuen Standort nahe der Mineralienschlucht.

Kretschmar hofft, dass die Bienen dort besser geschützt sind. Die Bedingungen seien für die Tiere optimal, lobt er: „Die Biene will im Schatten stehen und in die Sonne fliegen.“ Ohnehin biete der Bürgerpark ideale Bedingungen für Bienen – mit seiner Vielfalt von Blumen hätten die Tiere dort alles, was sie brauchen. Dass die Bienen wieder durch die Grünanlage schwirren können, verdanken die Kinder den Sponsoren, die die Anschaffung der drei Völker finanziert haben. Je ein Volk haben die Stadtwerke Wernigerode, die Wohnungsbaugenossenschaft (WWG) und die Industriebau Wernigerode GmbH bezahlt.

Das Geld sei gut angelegt, sagen die Vertreter der Unternehmen. Für WWG-Prokurist André Vollmer ist die Bienen-AG eine Möglichkeit für die Kinder, mehr über den natürlichen Ursprung von Lebensmitteln zu erfahren. „Ein Glas Honig aus dem Regal zu nehmen, ist einfach“, so Vollmer – doch wichtig sei es zu wissen, woher er stammt. Klimawandel und Naturschutz gingen alle an, betont Stephanie Dunkel von den Stadtwerken. „Wir finden es großartig, bei den Klein- sten anzufangen.“ Und Marko Müller, Prokurist bei Indu-striebau, sagt: „Ich finde es sehr gut, wenn die Kinder merken, dass es sich lohnt, wenn man sich für etwas einsetzt.“

Die Kinder aus der Arbeitsgemeinschaft sind aus voller Überzeugung dabei. „Es ist interessant, den Bienen zuzusehen“, sagt die neunjährige Romy. Pia und Ava, beide acht Jahre alt, stimmen ihr zu. Sogar die Königin hätten sie zuletzt anschauen können.

Was für seine Mitschüler oft neu ist, kennt Darius aus dem Effeff. „Mein Opa hat drei Bienenvölker zu Hause“, berichtet der Zehnjährige. Der Grundschüler darf bei der Arbeit mit den Bienen helfen, zuletzt mussten ein Volk und eine neue Königin zusammengeführt werden. Bei der AG kann er mit seinem Wissen glänzen. „Mir macht es am meisten Spaß, zusammenzuarbeiten und den anderen zu helfen“, sagt er.

Die Kinder lernen, wie die Tiere leben und was sie für die Natur bedeuten – und dass sie Schutz brauchen, sagt Felix. „Wir wollen etwas für die Bienen tun“, so der Achtjährige. Sein Mitschüler Max sieht das genauso. „Ich finde Bienen interessant, weil wir von ihnen viel lernen können – zum Beispiel dass man nichts kaputt machen darf“, erklärt der Zehnjährige.

Angst müsse man vor den Flügeltieren nicht haben, das weiß die achtjährige Jackie inzwischen. „Früher dachte ich immer, dass Bienen böse sind und dass sie gleich zustechen“, berichtet die Grundschülerin. „Jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt. Die Bienen sind wie wir. Sie wollen leben“, erklärt die Achtjährige. Denn Enrico Kretschmar hat ihnen beigebracht: „Hunde können beißen, Katzen können kratzen, und Bienen können stechen – aber nur, wenn sie Angst haben.“

Der Imker, der in dritter Generation die Bienenzucht der Familie im heimischen Hessen betreibt, freut sich, wenn er seine Schützlinge trifft. „Es macht einfach einen riesigen Spaß, mit den Kindern zu arbeiten“, sagt Kretschmar. „Das Tolle ist, dass sie so begeistert sind und schon so viel wissen.“

Seit 2016 gibt es die Bienen-AG an der Harzblick-Schule, seit Mai 2018 ist sie im Bürgerpark aktiv. 15 Kinder gehören derzeit dazu – quer durch alle Klassen und Altersgruppen. „Alle, die Interesse haben, können mitmachen“, sagt Schulleiter Thomas Möx – auch wenn es derzeit, angesichts der coronabedingten Auflagen, etwas komplizierter sei als sonst.

Jeden Montag geht es, soweit möglich, in den Bürgerpark, um die Bienen vor Ort zu besuchen. Enrico Kretschmar zeigt ihnen zum Beispiel, wie die Beuten aufgebaut sind – oben der Deckel, darüber eine Folie und darin die Rahmen, in denen die Bienen ihre Waben bauen. Seit dem Frühjahr stehen die Kästen schon an ihrem jetzigen Standort. Die Bewohner waren seitdem sehr fleißig. „Wenn die Waben beidseitg verdeckelt sind, stecken bis zu zwei Kilogramm Honig drin“, sagt Kretschmar und hält den erwachsenen Besuchern einen der Rahmen hin. Doch die Bienen seien nicht nur Honiglieferanten: Wichtig sei vor allem, dass sie Blüten bestäuben und damit dafür sorgen, dass Früchte wachsen können.

Für Grundschule und Hort ist die Arbeitsgemeinschaft ein Glücksfall. „Das Schöne ist, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist“, sagt Hortleiterin Katrin Buch, die sich mit Schulsozialarbeiterin Katja Trutmann um die Gruppe kümmert. Dadurch ist es möglich, dass die Kinder im Unterricht und im Hort am Thema dranbleiben können. „Im Unterricht schreiben wir zum Beispiel Geschichten“, berichtet Thomas Möx. „Daraus ist schon ein Buch entstanden.“ Mit dem Autor und Illustrator Thomas Binder aus Magdeburg haben die Mädchen und Jungen das Heft erarbeitet, das gegen eine Spende abgegeben wird – zum Beispiel bei Schulfesten, aber auch auf den Märkten, an denen Enrico Kretschmar teilnimmt. „Das kommt sehr gut an“, sagt er.

Der Hessener habe für das „pädagogische Imkern“, wie er es nennt, ein Händchen: „Er hat einen guten Draht zu den Kindern“, so Katrin Buch. Feuer und Flamme sind die Schüler bei der Verarbeitung des Honigs. „Das Schleudern ist immer ein Ereignis“, sagen Katja Trutmann. Weil die Bienen dafür sorgen, dass etwa Äpfel und Birnen wachsen, sammeln die Kinder Früchte, die zu Saft verarbeitet werden. Im Winter arbeiten sie mit Wachs, stellen Kerzen, Salben und Wachstücher her oder basteln – zum Beispiel die schwarz-gelben Figuren aus Blechdosen, die den Bienengarten schmücken.