1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Desinfektionsmittel für Nachbarn

Coronavirus Desinfektionsmittel für Nachbarn

Die Nachfrage nach Desinfektionsmittel ist weiter enorm. Die Tamura Elsold GmbH in Ilsenburg produziert jetzt den begehrten Stoff.

Von Katrin Schröder 10.05.2020, 04:00

Ilsenburg l In das Labor können Besucher nur einen kurzen Blick werfen. „Zu gefährlich“, sagt Gerd Hänelt. Wer Desinfektionsmittel in größeren Mengen anmischt, der weiß um die Explosivität des Produktionsprozesses, so der Geschäftsführer der Tamura Elsold GmbH. Das Ilsenburger Unternehmen hat mit der Herstellung der flüssigen Keimkiller in der Corona-Krise ein neues Geschäftsfeld erschlossen.

Denn eigentlich ist Tamura Elsold in ganz anderen wirtschaftlichen Gefilden unterwegs. Das Unternehmen, das seit 2013 im Ilsenburger Industriepark ansässig ist, stellt Lotprodukte für die Automobilindustrie, Medizintechnikhersteller und die Luft- und Raumfahrt her. Auch wenn es auf den ersten Blick erstaunen mag: Der Schritt zum Desinfektionsmittel war nicht groß. Das Bindeglied sind die Flussmittel, welche das Unternehmen herstellt und die beispielsweise dazu dienen, Leiterplatten für das Löten vorzubereiten.

Die Anlagen, die zur Produktion dieser Substanzen verwendet werden, lassen sich für die Herstellung von Desinfektionsmitteln einsetzen. „Technisch ist das für uns überhaupt kein Problem“, so der Geschäftsführer. Ebenso sind die Inhaltsstoffe weitgehend identisch und damit im Betrieb vorrätig. Sie müssten nur in einer anderen Komposition zusammengestellt werden, erläutert Gerd Hänelt. „Lediglich Glycerin musste zugesetzt werden, um die Hände zu schonen.“ Die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe richtet sich nach den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die zwei Rezepturen für Desinfektionsmittel veröffentlicht hat.

Für den eigenen Bedarf hatte die Firma bereits seit Beginn der Corona-Krise Desinfektionsmittel hergestellt. Das sprach sich im Industriegebiet herum. „Wir haben Anfragen von Firmen aus der Nachbarschaft bekommen“, berichtet Hänelt. Dem wollten er und seine Mitarbeiter nachkommen und begannen vor vier Wochen mit der Produktion.

Seitdem reiße die Flut der Bestellungen nicht ab. Aus dem Nachbarlandkreis Goslar melden sich viele Interessenten, zusehends mehr auch aus dem Harzkreis. Es gab sogar schon Anrufe aus Nordrhein-Westfalen. „Wir haben Behörden und Feuerwehren beliefert, außerdem Physiotherapie- und Arztpraxen, Bauunternehmen und EDV-Firmen, Kosmetik- und Fußpflegestudios sowie verschiedene Geschäfte“, berichtet der Firmenchef. „Das geht durch alle Branchen.“

Mit weiteren Lockerungen der Infektionsschutzauflagen, mit jeder Branche, die den Betrieb wieder hochfahren darf, werde der Bedarf bestehen bleiben oder gar steigen. Klar sei: Wo Publikumsverkehr herrsche, sei Desinfektion so unabdingbar wie Abstand halten, betont Gerd Hänelt. „Zu Hause hingegen reicht es, wenn man sich die Hände wäscht.“

Die Nachfrage sei da, bestätigt Vertriebschef Oliver Kroll. „Das Angebot wird wirklich gut angenommen.“ Viele hätten kurzfristig Bedarf angemeldet, berichtet er. Wenn Not am Mann ist, sei es nützlich, wenn der Anbieter in der Region ansässig sei. „Manche standen eine halbe Stunde nach ihrem ersten Anruf vor der Tür.“ Für solche Fälle habe das Unternehmen einige hundert Liter in Reserve, um ad hoc helfen zu können – auch wenn lediglich ein Fünf-Liter-Kanister gebraucht wird. „Innerhalb von zwei bis drei Tagen können wir aber auch größere Mengen liefern“, so Kroll.

Noch ist die Kapazität nicht ausgelastet: 3600 Liter sind bisher verkauft worden, sowohl für die Hand- als auch für die Flächendesinfektion. Möglich wären bis zu 4000 Liter pro Tag – diese müssten allerdings dann einige Tage ruhen.

Mit der Angst vor dem Coronavirus versuchten derzeit viele, Geschäfte zu machen – und das nicht immer auf seriöse Art. „Es gibt extrem viele Anbieter, aber auch viele schwarze Schafe“, hat Gerd Hänelt festgestellt. Man müsse aufpassen, dass man nicht Mixturen bestelle, die nicht zertifiziert seien. „Sonst besteht etwa die Gefahr, dass das Mittel nicht mit Wasserstoffperoxid angereichert ist und Viren deshalb nicht hundertprozentig abgetötet werden“, erklärt der Unternehmenschef. Für die eigenen Lösungen haben er und seine Mitarbeiter die nötigen Genehmigungen eingeholt.

Die anhaltende Nachfrage ist gut für die Ilsenburger, denn das neue Produkt hilft, die Folgen der Corona-Krise abzufedern. „Das ist eine Nische, die wir entdeckt haben“, sagt Hänelt. Zwar sei man in der glücklichen Lage, Kunden aus allen Teilen der Welt und verschiedenen Wirtschaftszweigen zu beliefern, doch in Europa und speziell in der Automobilbranche herrsche derzeit Flaute. „Wir hatten einen hervorragenden Januar mit hervorragenden Geschäften, doch im Februar ging es bergab.“

Der Firmenchef ist froh, dass er bisher keinen seiner 36 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste, doch ganz vom Tisch sei das Thema noch nicht. „Wir haben derzeit genug zu tun, fahren aber von Woche zu Woche auf Sicht.“