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Corona-Krise Schausteller schlagen Alarm

Keine Volksfestefe, Karussell und Riesenrad stehen still. Schausteller aus der Altmark richten Hilferuf an MP Haseloff.

Von Birgit Schulze 10.05.2020, 01:01

Tangerhütte l Schausteller sind normalerweise von Natur aus ein gemütliches Völkchen, haben den Schalk im Nacken und gewinnen fast jeder Situation noch etwas Positives ab. Nicht so in der Corona-Krise. Durch die Beschränkungen  bangen sie um ihre Existenz.

Dass nicht pauschal und in „vorauseilendem Gehorsam“ für die kommenden Monate alles an Veranstaltungen abgesagt werden dürfe, darauf weisen die Schausteller in der Altmark in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten des Landes, Reiner Haseloff (CDU), hin. „Seit den Weihnachtsmärkten 2019 sind die Schaustellerunternehmen ohne jegliches Einkommen“, heißt es darin.

Feste wie die 1010-jährige Magdeburger Herbstmesse, die Eisleber Wiese, der Havelberger Pferdemarkt oder die 996. Pfingstmasche in Haldensleben werden ohne die Schausteller keinen Bestand haben, eine mehr als 1000 Jahre alte Kultur der Volksfeste drohe ernsthaften Schaden zu nehmen, fürchten sie. Sie fordern gemeinsam mit dem Deutschen Schaustellerbund unter anderem Liquiditätshilfen für die Unternehmen bereitzustellen, aber auch, eine Grundsicherung für in Not geratene Schaustellerfamilien zu schaffen.

Das Schreiben der altmärkischen Schausteller, das mit Unterstützung des Fachverbandes der Schausteller in Sachsen-Anhalt und des Magdeburger Schaustellervereins sowie des Vereins selbständiger Gewerbetreibender, Markt- und Messereisender verfasst wurde, hat der Tangerhütter Werner Jacob jetzt persönlich an den Ministerpräsidenten des Landes sowie an den Landesentwicklungsminister Thomas Webel (CDU) übergeben. Es soll auf die Dringlichkeit des Themas aufmerksam machen und seine Branche auch bei Beratungen auf Bundesebene ins Gespräch bringen.

Werner Jacob, der in einer Schaustellerfamilie aufwuchs und heute auch Gastronom und Stadtratsvorsitzender in Tangerhütte ist, zeigte noch im März Verständnis für die Corona-Beschränkungen. Inzwischen gehe es aber für viele Betriebe um das blanke Überleben. „Unsere Familienbetriebe und damit die Volksfestkultur sind in ihrer Existenz bedroht“, erklärt er jetzt.

Die letzten Einnahmen des vergangenen Winters sind längst investiert, unter anderem in Werbung, Genehmigungen und Platzgelder, denn zum Jahresanfang wird stets die neue Saison vorbereitet. Doch die fiel dann durch den Coronavirusausbruch ins Wasser. „Der Ausfall der Volksfeste bedeutet keine Einnahmen für uns, aber die laufenden Kosten sind schwer zu stoppen“, erklärt Jacob.

Gerade kleinere Geschäfte, die meist in der Familie und ohne Angestellte betrieben werden, hätten oft auch keine großen Sicherheiten. Anders sieht es bei den mittelgroßen Betrieben aus, die zum Teil mit aufwendiger Technik unterwegs sind.

Oft gebe es dort einen Fuhrpark und Personal, da brauche es Liquiditätshilfen, um Verbindlichkeiten zu erfüllen, erklärt Werner Jacob. Und die Betriebe, die mit den großen Fahrgeschäften, Riesenrädern, Achterbahnen und anderen Schwergewichten umherreisen, deren Anlagen ohne ein eingespieltes Stammpersonal gar nicht aufgebaut werden könnten, und die Zugpferde jeder Kirmesveranstaltung seien, hätten noch mal einen ganz anderen Finanzbedarf.

Werner Jacob entstammt einer Familie, die selbst schon einiges an bewegten Zeiten gesehen hat. Sein Großvater Erich, der eigentlich Konditor in Schlesien gewesen war, kam über selbst gemachte Süßigkeiten vor dem Krieg auf die Jahrmärkte Berlins, baute ein Kinderkarussell und begründete die Schaustellertradition der Familie. Im Nachkriegsberlin seien alle ganz scharf auf etwas Spaß gewesen, erzählt Jacob.

Und trotz aller Begeisterung für die Volksfeste reichten die Einnahmen der Familie damals nicht, um sich in Berlin durchzuschlagen.

Deshalb kamen die Jacobs aufs Land – nach Tangerhütte in der Altmark. Erichs Sohn, Werner sen., wuchs bereits als Schaustellerkind auf, erlebte mit, wie die Kirmes mit einer selbstgebauten Luftschaukel nach dem Krieg wieder belebt wurde, und hinterließ auch seinem Sohn, Werner Jacob jun., die Leidenschaft, ausgelassene Volksfeste mitzugestalten.

Dieser engagiert sich seit Jahren als Vorsitzender des Altmärkischen Schaustellervereins (und als Nachfolger seines Vaters) und kann auf eine sehr mobile Familiengeschichte mit Wohnwagen und Schießbude, mit Trabant und Wartburg im Gefolge zurückblicken. In den 90er Jahren baute er noch mit seinem Vater zusammen selbst ein Kettenkarussell auf. Das ist in Zeiten der hochtechnisierten Anlagen von heute allerdings Schnee von gestern.

Und mit einem Umzug aufs Land rettet sich heute auch kein Schausteller mehr durch die Krise. Deshalb hoffen die Menschen vom „fahrenden Volk“ nun auf Bundes- und Landesregierung und gute Lösungen, damit es auch in Zukunft weiter Volksfeste geben kann.