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CoronavirusWernigeröder Schüler schlägt Alarm

Abiturienten sollen trotz Corona-Krise zu den Abi-Vorprüfungen in der Schule erscheinen. Ein Wernigeröder Schüler schlägt deshalb Alarm.

Von Katrin Schröder 01.04.2020, 10:40

Veckenstedt/Halberstadt/Osterwieck l Klausuren schreiben, obwohl die Schulen geschlossen sind? Das geht nicht, sagt Jannes Nehring. Der Wernigeröder besucht die 12. Klasse im Landschulheim Grovesmühle in Veckenstedt. Ab Donnerstag sollen dort die letzten Prüfungen vor dem Abitur stattfinden. „Das ist nicht zu verantworten“, sagt der 17-Jährige. In einem Brandbrief wendet er sich unter anderem an Kultusminister Marco Tullner (CDU) und geht mit ihm hart ins Gericht. Tullners Behörde hatte den Weg für die Vorklausuren und die Abiturprüfungen am Montag frei gemacht.

„Warum werden Schüler, die alles versuchen, um sich selbst zu schützen, in solche eine Position gezwungen?“, fragt der Schüler. Die Gesellschaft sei angehalten, zu Hause zu bleiben. Die Schüler würden aber in die Schule gezwungen. „Nehmen wir nicht an den Klausuren/Abiturprüfungen teil, so erhalten wir keinen anerkannten Abschluss.“ Die Entscheidung des Bildungsministeriums fuße auf der Annahme, dass Jugendliche nicht zur Risikogruppe zählen. Dagegen spreche, dass in Frankreich kürzlich eine kerngesunde 16-Jährige an Covid-19 verstorben sei. „Wenn überall im Homeoffice gearbeitet oder Videokonferenzen abgehalten werden, dann verstehe ich nicht, warum wir zu fünft in einem Raum sitzen und Klausuren schreiben sollen“, so der 17-Jährige. Schließlich könne man nicht einfach aufstehen und gehen, sobald jemand huste oder niese.

„Wir tun alles Erdenkliche, um die Sicherheit der Schüler zu gewährleisten.“

Schulleiterin Ines Märkisch

Deshalb fordert er ein Umdenken des Bildungsministers. Die Abiturprüfungen sollten zwar in diesem Jahr nicht abgesagt werden. Aber: Eine Verschiebung bis zur Besserung der Situation sei notwendig. „Unter den jetzigen Bedingungen, wenn die Infektionszahlen in die Höhe schnellen, ist das nicht das Richtige.“

Im Landschulheim Grovesmühle ist der Brief von Jannes Nehring bekannt. In einer Chatgruppe mit allen Abiturienten sei am Montag hitzig diskutiert worden, weiß Schulleiterin Ines Märkisch. Eine Alternative zu den jetzt festgesetzten Prüfungsterminen sieht sie nicht. „Wir müssen die Klausuren jetzt anbieten, denn in den Wochen danach kann es zeitlich sehr eng werden.“

Man tue alles, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, wolle aber niemanden, der Bedenken hat, zur Teilnahme zwingen. Das sei den Schülern in der Gruppe klar kommuniziert worden. Bisher habe sich daraufhin lediglich eine Person abgemeldet, so Ines Märkisch. Allerdings müsse die Leistung vor den Abiturprüfungen erbracht werden – das sei eine Vorgabe vom Land, keine Entscheidung der Schule.

Zwei Vorklausuren in Englisch und in Mathe müssen die Abiturienten der Grovesmühle noch absolvieren. Beide Prüfungen hätten ursprünglich in der Woche ab 16. März stattfinden sollen, berichtet Ines Märkisch – wegen der Schulschließungen fielen sie aus. In anderen Fächern wie Sozialkunde und Geografie werden die Klausuren durch eine andere „komplexe Leistung“ ersetzt, die laut Ministerium anstelle einer Klausur gefordert werden kann. Doch in Englisch und Mathe sei dies nicht möglich, von der Zeitschiene her sieht die Schulleiterin keinen Spielraum.

„Wir tun alles Erdenkliche, um die Sicherheit der Schüler zu gewährleisten“, versichert Ines Märkisch. Maximal fünf Personen sollen bei den Vorklausuren in einem Raum sitzen, um den nötigen Abstand einzuhalten. Daher gibt es pro Klausur zwei Termine, je einen pro Klasse, so die Schulleiterin. Die Schüler sollen einzeln und nach Aufforderung eintreten. „Die Türen werden offenstehen, damit man hineingehen kann, ohne etwas anzufassen.“ Die Lehrer halten Handschuhe und Desinfektionsmittel bereit. Noch könne man nicht mit Sicherheit voraussagen, dass die Schulen nach dem 19. April wieder öffnen. Wenn nicht, könnten die Vorklausuren womöglich zu einem Probelauf für die folgenden Prüfungen werden. „Die Wahrscheinlichkeit ist da, dass auch das Abitur unter diesen Bedingungen stattfinden könnte“, so Ines Märkisch.

Die Abiturprüfungen sollen auf Geheiß des Bildungsministeriums in zwei Prüfungs-Durchgängen stattfinden. Die Abiturienten können selbst entscheiden, ob sie sich im Mai oder im Juni prüfen lassen. Auch in den anderen Gymnasien der Region sorgen Prüfungstermine in Zeiten der Kontaktsperre für Diskussionen. Die Volksstimme hat sich umgehört:

Am Kollwitz-Gymnasium in Halberstadt stehen nur in zwei Fächern noch die letzten Klausuren an – in Geschichte und Mathematik. Die ausstehenden Klausuren in Wirtschaft und Geografie werden nicht geschrieben, hier nutzt die Schule die Möglichkeit der Ersatzleistung, das heißt, die Schüler müssen bestimmte Aufgaben von zuhause aus erledigen.

Geschrieben wird Geschichte am Dienstag und Mathe am Freitag nach Ostern, die Schüler sind bereits informiert, wie Oberstufenkoordinatorin Marion Juchler berichtet. „Wir haben seit einigen Jahren ein digitales Klassenbuch, über das wir mit Eltern und Schülern in Kontakt stehen, Aufgaben erteilen und einsammeln.“

Die große Aula ist bereits eingerichtet, zwischen den Einzeltischen sind anderthalb bis zwei Meter Abstand. Alle Jugendlichen haben Verhaltensregeln bekommen. So sollen sie einzeln die Schule betreten, am Eingang die Hände desinfizieren und den erforderlichen Fragebogen ausfüllen.

Während die Klausuren organisiert und auch die Abitur-Termine bekannt sind, sind andere Fragen noch offen. So ist vom Land noch nicht festgelegt, wann die mündlichen Prüfungen stattfinden sollen.

Die vorbereitenden Klausuren zu schreiben, hält Stefan Pasderski für „grundsätzlich sinnvoll“. Auch weil generell ein geordnetes Abitur den Schülern des Abgangsjahrganges hilft. „Schließlich wird es eine Zeit nach der Corona-Krise geben.“

Der Direktor des Halberstädter Gymnasiums Martineum ist überzeugt, dass es sein Team schaffen wird, „Bedingungen zu schaffen, die weit über die aktuellen Abstands- und Hygieneanforderungen hinausgehen“. So werden nicht nur jeweils drei Meter Abstand zwischen den Tischen garantiert, die in der Aula und in der Sporthalle aufgebaut sein werden. Die Schüler werden zudem vor dem Gymnasium in Empfang genommen, Absperrbänder leiten die Schüler. „Wir sind mit großer Mannschaft im Einsatz, um zu verhindern, dass es vor und nach den Klausuren und Prüfungen zu Grüppchenbildungen vor dem Schulgebäude kommt.“

In der Schule werden nicht nur alle Flächen desinfiziert. Auch die Schüler müssen ihre Hände desinfizieren, die Lehrer werden Mundschutz tragen. Geschrieben werden Klausuren am kommenden Freitag, sowie in der Woche nach Ostern am Dienstag, Mittwoch und Freitag.

Während die Vorbereitungsklausuren gut zu organisieren sind, weil unter anderem die Zahl der betroffenen Schüler pro Kurs überschaubar ist, sei die vom Ministerium angebotene Wahlmöglichkeit zwischen zwei Abiturprüfungsterminen eine echte Herausforderung. „Das wird organisatorisch ein Hammer“, sagt Pasderski, der bislang noch kein Argument gehört hat, warum das Landesbildungsministerium zwei Durchgänge für die Abiturprüfungen anbietet.

„Für die Schüler ist es eine gute Lösung, dass sie die Möglichkeit haben auszuwählen“, sagte Sylvia Gemeiner, die Leiterin des Osterwiecker Fallstein-Gymnasiums. „Ich könnte mir vorstellen, dass viele den frühen Termin wählen werden.“ Es könne heute aber noch keiner mit Gewissheit sagen, wie die Corona-Situation dann ist. Wichtig sei die Gesundheit aller Beteiligten. Was Vorklausuren in dieser Woche betrifft, gebe es in dieser Woche nur noch vereinzelte Schüler, die diese nachschreiben müssten. Weil es so wenige sind, sei das von den Sicherheitsvorgaben kein Problem. Ansonsten setzt das Fallstein-Gymnasium auf sogenannte Klausur-Ersatzleistungen, also Arbeiten, die die Schüler zu Hause schreiben. „Das lässt der Erlass zu“, sagte Gemeiner. „Viele Schüler müssten ja sonst erst einmal mit dem Bus zur Schule kommen.“ Was Infektionsgefahr birgt, zumal der Busverkehr derzeit auf den Ferienfahrplan eingeschränkt ist.

„Ich verstehe aus schulorganisatorischer Sicht nicht, warum es zwei Wellen gibt. Das konnte mir auch noch keiner erklären“, sagte Sebastian Knobbe, Leiter der Fachschaft Geschichte am Fallstein-Gymnasium. Die schriftlichen Geschichtsprüfungen sind am 14. Mai und 15. Juni vorgesehen. Für jedes Prüfungsniveau (grundlegend und erhöht) gebe es drei Themen, zu denen die Fachlehrer auf Grundlage der vom Land vorgegebenen Bewertungshinweise sogenannte Erwartungsbilder erarbeiten. Angesichts der zwei Prüfungswellen sei das nun doppelter Aufwand, zwölf statt sechs Erwartungsbilder. Die Prüfungsaufgaben jeder Welle seien damit zudem unterschiedlich. Und es könnte ein Zeitproblem geben, weil nach der zweite Wellen zuzüglich Korrekturzeit noch die mündlichen Prüfungen folgen müssen.

„Das ist mehr Aufwand als sonst“, bestätigte Sylvia Gemeiner. „Gegenwärtig haben aber alle Herausforderungen zu bewältigen.“

Am Landesgymnasium für Musik in Wernigerode wird die Entscheidung über die Vorprüfung noch in dieser Woche fallen. Im Gerhart-Hauptmann-Gymnasium steht am Freitag für 66 Abiturienten die Geschichtsklausur auf dem Plan. Die Vorprüfungen wurden im Stadtfeld-Gymnasium seit weit wie möglich nach hinten verschoben. Die Abiturienten des Gymnasiums Am Thie in Blankenburg werden die erste Klausur noch vor Ostern schreiben. Übereinstimmend wiesen die Schulleiter in Wernigerode und Blankenburg in einer Umfrage der Volksstimme auf die große Heraustforderung hin, die Hygiene für Schüler und Lehrer rund um die Prüfungen abzusichern.

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