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Corona Neue Bewohner im Heidelberg

Das Schullandheim Blankenburg ist wieder belebt: Sechs Flüchtlingsfamilien sind jetzt dort untergebracht worden.

Von Jens Müller 28.11.2020, 00:01

Blankenburg l Sie ist die wohl sicherste Straße Blankenburgs: der Heidelberg. Mehrmals täglich wird sie von Polizeibeamten bestreift. Am Eingang des Schullandheims, das sich am Ende der Straße befindet, sorgen Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes rund um die Uhr dafür, dass kein Unbefugter das Gelände betritt. Für Sven Lanzke, den Betreiber des Blankenburger Schullandheims, eine ganz neue Erfahrung. Und eine, die bei ihm und seinen Mitarbeitern nur Kopfschütteln hervorruft: „Es ist eine Schande, dass Polizeikräfte, die im Harzkreis dringend an den wichtigen Brennpunkten gebraucht werden, hier sein müssen, weil irgendwelche Pappnasen eine arme wehrlose Eiche absägen“, sagt der Blankenburger und spielt damit auf einen Vorfall an, der am frühen Montagmorgen (23. November) für einen Polizei- und Feuerwehr-Einsatz gesorgt hatte.

Unbekannte hatten an der Einfahrt zum Heidelberg einen Baum abgesägt, ihn quer über die Straße gelegt und mit der Parole „Kein Heim“ besprüht - augenscheinlich aus Protest gegen die zeitweise Umnutzung des Schullandheims als Außenstelle der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) in Halberstadt. In dem Haus sollen bis Ende April Asylsuchende untergebracht werden, um sie vorsorglich vor einer Corona-Infektion zu schützen. Dies betrifft insbesondere Familien mit Kindern, Schwangere, Kranke und ältere Menschen. Je nach Pandemieverlauf könnten maximal 85 Personen dort untergebracht werden. Dass seine Nachbarn möglicherweise Bedenken gegen diese Entscheidung des Innenministeriums und der beteiligten Behörden haben, sei verständlich. Die Realität vor Ort, so der 55-Jährige, sehe allerdings ganz anders aus und spreche für diese Lösung.

Am Montagmorgen wurden von ihm und seinen Kollegen die ersten Flüchtlinge empfangen. Aktuell zwölf junge Mütter und Väter unter anderem aus Kriegsgebieten mit insgesamt 24 Kindern: „Das jüngste Kind wurde am 5. November geboren.“ Betreut werden die teilweise schwer traumatisierten Hausgäste von zwei Sozialarbeiterinnen, die sie im Alltag begleiten. Die Aktivitäten reichen vom Tischtennis im Haus bis zu Wanderungen in die nähere Umgebung. „Hier ist es jetzt ruhiger, als bei normaler Belegung“, so der Haus-Leiter. Das Haus selbst biete keinerlei Luxus: „Wir sind eher Holzklasse“, sagt Sven Lanzke. Denn die Zimmer sind spartanisch eingerichtet: Schrank, Tisch, Doppelstockbetten. Das wars.

Etwas umfangreicher liefen dagegen die Umbauarbeiten in den Sanitäranlagen. So wurde pandemiebedingt die Aufteilung verändert. Inzwischen gibt es extra Sanitärräume für das Haus-Personal, für die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, für die Sozial-Pädagogen und die Hausbewohner. Ein Duschraum wurde in eine Waschküche umfunktioniert. Dafür wurden zwei hochwertige langlebige neue Waschmaschinen und Trockner angeschafft - übrigens beim inhabergeführten Familien-Fachhandel aus der Region, und nicht bei Großkonzernen, wie Sven Lanzke betont.

Dies sei ohnehin die Hausphilospohie: „Wir sind auf Nachhaltigkeit und Kooperation mit der Region und für die Region ausgerichtet.“ Dies habe sich in keinster Weise geändert. Dazu zähle auch, dass sich jeder Gast grundsätzlich an die Hausordnung halten müsse. Wer dagegen verstößt, muss abreisen. Die Regeln sind gleich in einem Dutzend verschiedener Sprachen auf einer großen Pinnwand am Eingang zu lesen und werden von den Gästen umgesetzt. So wie auch die Essenzeiten und alle anderen Hinweise zu Abstands- und Hygieneregeln, Raumbelegung und, und, und.

„Jeden Tag wird bei uns frisch gekocht. Und zwar das Gleiche wie für alle anderen Kinder und Jugendlichen, die wir sonst hier beherbergen“, betont Lanzke. Drei Mitarbeiterinnen der Küche sorgen dabei nicht nur für drei schmackhafte Mahlzeiten am Tag, sondern auch für gesunde Kost von regionalen Erzeugern: „Verpflegungstechnisch sind wir so ordentlich aufgestellt, so dass wir Gäste aus allen Regionen gut bewirten können.“ Dies gelte nicht zuletzt für die Verarbeitung von Fleisch. So sei der Anteil in den letzten Jahren von anfangs drei Tonnen auf nunmehr 800 Kilo pro Jahr bei gleicher Belegung zurückgegangen, ohne auf die Qualität der Speisen zu verzichten. Ganz nach der Devise: lieber weniger und gutes Fleisch und kein „Folter-Fleisch“.

Mit der Neubelegung seit Wochenbeginn ist das Schullandheim damit nicht nur wieder ein Arbeitgeber, sondern auch Kunde für den einheimischen Handel. Und danach, so Sven Lanzke, sah es lange Zeit nicht aus. „Seit 14. März hatten wir geschlossen“, blickt er auf den ersten Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie zurück. Die Schließzeit haben er und das Team allerdings genutzt, um ein aufwendiges Hygienekon-zept zu erstellen und umzusetzen.

Nachdem im August noch einige Familiengruppen beherbergt werden konnten, kam schließlich das endgültige Aus: Eine Großbelegung mit Gruppen aus China und Russland platzte. Umso dankbarer ist er der Stadtverwaltung Blankenburg und dem Land Sachsen Anhalt für die Unterstützung in dieser Zeit. Insbesondere auch der Freiwilligen Feuerwehr Blankenburg die sehr wertvolle kritische und helfende pragmatische Hinweise geben konnte, nachdem sich das Haus als Unterkunft im Rahmen des Corona-Konzeptes des Landes angeboten hatte. „Für das Brandschutzkonzept haben wir alle Forderungen eins zu eins umgesetzt", so Sven Lanzke.

Für ihn ist die jetzige Situation ein Glücksfall, um das Haus am Leben zu erhalten - seine Mitarbeiter, die Pacht und die Betriebskosten bezahlen zu können. Denn ohnehin sei der Betrieb des Schullandheims nicht auf maximalen Gewinn ausgerichtet. „Wir sind ein am Gemeinwohl orientierter Sozialbetrieb aus der Region, mit der Region, für die Region“, sagt er. Deshalb werde er auch dem Stadtrat alle Zahlen transparent vorlegen. Mögliche Überschüsse würden zu 100 Prozent in das Haus investiert - so wie es seit dem Jahr 2007 im kooperativen Miteinander umgesetzt werde, als der Pachtvertrag mit der Stadt abgeschlossen wurde.