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Hirnschädigung Harzer sammeln Stifte für kranke Anita

Mit einer besonderen Sammelaktion will Familie Eichner ihrer Tochter Anita aus Derenburg eine Spezialtherapie ermöglichen.

Von Julia Bruns 13.08.2018, 01:01

Derenburg l 75.000 dürften es mittlerweile sein, schätzt Alexandra Eichner. Es sind Stifte, die die sympathische Derenburgerin in rauen Mengen sammelt. Nicht etwa als Hobby, sondern weil die Stifte für sie eine Chance bedeuten: Jeder Stift bringt einen Cent über eine Recyclingfirma. Das Geld benötigt die gelernte Zahnarzthelferin für die Therapie ihrer Tochter Anita. Kurz nach der Geburt erlitt sie eine Hirnschädigung. In einem Rehabilitations-zentrum in der Slowakei könnte Anita Laufen lernen. Zweimal war sie schon zur intensiven Therapie dort – und habe erhebliche Fortschritte gemacht. „Sie ist eine Kämpferin - und dabei so lebensfroh“, sagt ihre Mutter. Nun soll es weitergehen. Und dabei erhält die Familie Schützenhilfe aus der ganzen Region.

Anne Nentwich hievt eine große Kiste voller Kulis und Fineliner aus ihrem Auto. „Als ich von der Aktion im Internet gelesen habe, wollte ich sofort mitmachen“, berichtet die angehende Erzieherin. Obwohl die Kiste schwer ist, hatte sich die 31-Jährige mehr erhofft. „Ich hätte gern nach vier Wochen so viele zusammen gehabt“, sagt die Wernigeröderin. „Jetzt hat es ein paar Monate gedauert.“ Die Kiste übergibt sie Alexandra Eichner und ihrer Tochter persönlich.

„Ich lerne Anita heute kennen“, sagt sie. Ein bisschen merkt man der jungen Mutter die Aufregung an. Die Arbeit als Erzieherin ist ihre Berufung, dafür schult die Veranstaltungskauffrau noch einmal um. Von dem Kontakt zu Anita und Alexandra Eichner erhofft sie sich auch Impulse für die Arbeit mit Kindern.

Anne Nentwichs Tochter Hannah ist just am Wochenende eingeschult worden. „Ich bin so dankbar, wenn ich mein eigenes gesundes Kind sehe“, sagt sie. „Und ich möchte was bewegen. Stifte sammeln – das steht selbst als Schülerin in meiner Macht. Das kann jeder.“

Auf die Stifte-Sammel-Aktion waren Alexandra und ihr Mann Andreas Eichner über eine befreundete Familie aufmerksam geworden. „Irgendwann waren unsere finanziellen Möglichkeiten ausgeschöpft“, sagt sie. „Ich bin nicht der Typ, der von Haustür zu Haustür geht und bettelt. Die Recycling-Aktion fand ich sofort gut. Es war gar nicht so leicht in das Programm von Terracycle aufgenommen zu werden.“ Dort wird fast jede Art von Abfall – auch Kaffeekapseln, Einmalhandschuhe und Quetschie-Beutel – recycelt, um ihn vor der Verbrennung zu bewahren.

Jeder Therapieaufenthalt schlägt mit mindestens 5000 Euro zu Buche. Die Krankenkasse hatte nach einigem Hin und Her einen Teil der ersten Sitzung übernommen. „Danach aber nichts mehr - obwohl Anita Riesenfortschritte gemacht hat.“ Therapien im Ausland würden generell nicht bezuschusst – selbst wenn sie anerkannt und die Fortschritte nachweisbar seien.

Anita lebt mit ihrer Zwillingsschwester Amelie, ihrer älteren Schwester Anna und ihren Eltern Alexandra und Andreas in Derenburg. Sie kam vor zehn Jahren in der 28. Schwangerschaftswoche mit 810 Gramm zur Welt. Im Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester kam es bei der erstgeborenen Anita nach der Geburt zu einer Aneinanderreihung von Komplikationen. Anita erlitt eine Hirnschädigung, eine Zerebralparese. Sie konnte sich geistig und körperlich nicht so entwickeln wie gesunde Kinder und leidet an Spastiken.

„Anita erfüllt unser Leben mit ihrem Lachen“, sagt ihre Mutter. Die Zehnjährige kann dank der Therapie mittlerweile eine Trinkflasche halten und alleine daraus trinken. „Halten und zudrücken – das war vor Kurzem noch undenkbar“, sagt Alexandra Eichner. Sie berichtet, wie Anita Lieder mitsingt. Auch der Besuch der Liv-Ullmann-Schule sei für ihre Tochter Gold wert. Ihr Ziel ist es, dass Anita irgendwann laufen und sprechen kann. Dass das möglich ist, weiß sie.

„Der Sohn der befreundeten Familien kann dank der Therapie mittlerweile gehen, er spricht wie ein Buch“, sagt sie begeistert. Bisher war sie mit ihrer Tochter zweimal im Adeli-Therapie-Center, 2017 im September und im März 2018.

Die nächste Fahrt steht am 23. September an. „Von morgens um 8 bis 15 Uhr haben wir an sechs Tagen pro Wochen Programm“, schildert sie den Aufenthalt in dem Rehabilitationszentrum. Vier Therapeuten arbeiten dort mit Anita zusammen. Das Center ist eines der führenden Spezialinstitute für Menschen mit neurologischen Erkrankungen. Nicht nur Kinder mit Zerebralparese, auch erwachsene Schlaganfallpatienten, Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma und Lähmungen würden dort mit Hilfe von Spezialtechnik behandelt.

Unterstützung erhielt die Familie unter anderem vom Fußballer Marius Sowislo. Der Ex-Kapitän des 1. FC Magdeburg versteigerte sein Trikot und spendete einen Teil des Erlöses der Familie. Auch Anitas 14-jährige Schwester Anna hat am Thie-Gymnasium für die Aktion geworben. „Die ganze Klasse hat gesammelt“, sagt Alexandra Eichner gerührt. Es gebe ältere Damen, die ihre Kuli-Sammlungen aufgelöst hätten, um zu helfen. „Meine große Tochter saß vor ganzen Batterien voller Stifte - nach Typen und Farben sortiert. Wir waren sprachlos.“

Wer Stifte spenden möchte, kann sie an einer der Sammelstationen abgeben. Näheres auch per E-Mail unter alexeichner1979@googlemail.com.