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Homeoffice Zwischen Couch, Küche und Corona-Krise

Die Lokalredaktion in Wernigerode ist tabu. Wie der Alltag einer Journalistin mit Kind im Homeoffice aussieht:

Von Ivonne Sielaff 18.03.2020, 00:01

Wernigerode l Ganz schön staubig ist es in der Stube. Und überall liegt Spielzeug rum. „Mama, ich hab Hunger! Wann gibt‘s Essen?“, fragt das Kind von der Couch. „Jaha, gleich. Hab ich doch gesagt.“ Mittagessen. Ich bin ganz davon abgekommen. War in meine Recherchen vertieft - zu den Auswirkungen der Corona-Krise in Wernigerode.

„Come on baby, light my fire “ - mein Handy-Klingelton reißt mich aus meinen Gedanken. Das Telefon klingelt gefühlt zum 100. Mal heute, und wir haben gerade erst Mittag durch. Absprache mit den Kollegen. Ich habe mein Diensttelefon aufs Privathandy gestellt. Ich sitze mit dem Laptop am Wohnzimmertisch. Ich arbeite im Homeoffice.

Eigentlich schreibe ich gern mal von zu Hause. Das lässt sich nicht vermeiden mit einer achtjährigen Tochter und einem Mann, der auch als Journalist arbeitet und viel unterwegs ist. Nachmittags das Kind vom Hort holen. Dann noch den angefangenen Text zu Ende schreiben – kein Problem. Zu Hause geht es in diesen Stunden deutlich weniger hektisch zu als in der Redaktion.

Das ist jetzt anders. Die Schulen sind dicht. Eine Zweitklässlerin voller Tatendrang sitzt daheim und langweilt sich. Ich kann gerade nicht mit ihr raus, weil ich mitten in der Arbeit stecke. Ich vertröste sie auf später. Ach, ja. Und Hunger hat sie auch.

Dabei könnte ich meine Tochter durchaus längerfristig in die Notbetreuung geben. Zeitungsjournalisten sind systemrelevant, habe ich in den vergangenen Tagen gelernt. Wir dienen der Sicherstellung der öffentlichen Infrastruktur, heißt es. Notbetreuung gut und schön. Aber es geht ja auch darum, Infektionsrisiken zu vermeiden. Deshalb bleibt die Kleine der Schule fern und quält sich stattdessen auf der Couch mit den Matheaufgaben, die ihre Klassenlehrerin per Mail geschickt hat.

„Mama, ich hab Hunger!“ Stimmt. Ich lege eine Tiefkühlbrezel in den Backofen. Dazu gibts die Tomatensuppe vom Vortag. „Come on baby, light my fire“ tönt es schon wieder. Früher hab ich diesen alten Doors-Song gemocht. Jetzt steht er nur noch für Arbeit und Stress. Mein Chef will, dass ich mich um den Krisenstab im Wernigeröder Rathaus kümmere. Und um den Notfallfahrplan der Harzer Verkehrsbetriebe. Und um das Corona-Informationszentrum. Und um die neuen Fallzahlen. Und um die Fieberambulanz.

Okay, was zuerst? Eigentlich müsste ich noch in die Kaufhalle. Brot brauchen wir. Milch. Und frisches Gehacktes. Ich will heute Abend Bouletten machen. Aber erst einmal setze ich mich ans Telefon und arbeite meine Aufgaben ab.

„Mama, wann gibt es denn endlich was zu essen?“ Die Brezel im Ofen – Mist! Vergessen. „Du, Mäuschen“, sage ich zu meiner Tochter. „Die Brezel ist heute ein bisschen sehr knusprig.“ Das Kind sieht erst mich an und dann das etwas zu dunkel geratene Backwerk. „Ist nicht so schlimm, Mama“, sagt sie erstaunlich milde. „Ich tunke sie in die Suppe.“

Jetzt muss ich mich sputen. Eine leere Zeitungsseite wartet auf mich. Die will gefüllt werden. Womit? Corona. Es gibt dieser Tage kein anderes Thema. Nachdem die Nachbarländer längst strikt durchgegriffen haben, um die Virusgefahr zu bremsen, müssen wir uns auch in Wernigerode auf krasse Einschnitte im täglichen Leben einstellen. Alles wird runter gefahren. Alles wird geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Sogar Spielplätze soll man meiden.

Es dauert, die ganzen Informationen zu sortieren, zu bündeln und aufs Papier beziehungsweise in den Laptop zu bringen. Am Ende reicht der Textrahmen nicht aus, um die Flut an Informationen unterzubringen.

Es ist schon dunkel, als ich den Computer endlich runter fahre. Ich versuche auch mich runterzufahren, was mir schwer fällt. „Mama, was gibts zum Abendbrot?“ Ich weiß es noch nicht. Bouletten auf keinen Fall, denn in die Kaufhalle habe ich es nicht mehr geschafft. „Come on baby, light my fire“ – Mein Chef am Telefon. „Was machen wir morgen?“, fragt er und will wohl von mir hören, welche Themen ich morgen beackere. „Überleben“, denke ich. Light my fire? Bei mir brennt heute nichts mehr. Und das ist nur die erste Woche im Homeoffice. Die ersten Tage der Krise. Wie lange wir ausharren müssen, bis unser Leben wieder normal läuft, weiß keiner. Wie wir die Krise überstehen, das Virus besiegen? Auch das kann niemand sagen. Aber das ist mir in diesem Moment egal. Und wenn morgen die Welt untergeht. Ich will jetzt nur schlafen.