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Kochen Schmeckt wie früher bei Oma Frieda

Volksstimme-Leser unterstützen das Zentrum Harzkultur bei der Veröffentlichung eines Buches mit Rezepten aus dem Krieg.

Von Ivonne Sielaff 25.01.2018, 10:45

Wernigerode l Das Papier ist vergilbt, die Seiten sind abgegriffen. Die Schrift ist beinahe unleserlich. Einst war das Büchlein in regelmäßigem Gebrauch, seit Jahrzehnten hat es nun aber in einer Schublade geschmort. „Das Buch hat meiner Großmutter Frieda Spangenberg gehört“, sagt Heike Schischkoff und streicht mit den Fingern über den Buchdeckel. „Sie hat Rezepte darin notiert, hat vor dem Krieg damit angefangen.“ Ihre Oma habe in jenen schweren Jahren immer in „Riesenmengen“ gekocht. „Einen Kessel voll Pflaumenmus zum Beispiel.“

In der Harzer Volksstimme hat Heike Schischkoff von Brigitte Böttcher und ihrer Idee gelesen. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin im Zentrum Harzkultur sucht Harzer Rezepte aus der Kriegszeit, um sie in einem Buch zu veröffentlichen. „Ich finde die Idee klasse“, sagt Schischkoff. „Das sind Zeitzeugnisse, die so für zukünftige Generationen gesammelt werden. Das ist toll.“

Heike Schischkoff ist nicht die einzige, die auf den medialen Hilferuf reagiert hat. „Die Ausbeute ist riesig“, freut sich Brigitte Böttcher und dankt allen Einsendern. Etwa 80 Bücher und Hefte hat sie auf einen Tisch im Zentrum Harzkultur ausgebreitet. „Viele Leihgaben“, so die Rentnerin. „Einige Bücher wurden uns auch geschenkt, damit wir sie hier im Archiv im Dornbergsweg aufbewahren.“ Die abgegebenen und eingesandten Rezepte beschränken sich nicht nur auf die Zeit der zwei Weltkriege. „Es sind Kochanleitungen und Haushaltsbücher vom Ende des 19. Jahrhundert bis in die DDR-Zeit dabei – und darunter etliche Kuriositäten.“ Wie beispielsweise das Kontobuch von Kurt Maaß von 1937, in welchem der Abbenröder Gespannführer fein säuberlich Ausgaben und Einnahmen niederschrieb. Oder ein Kalender aus den 1940er Jahren, in dem Tag für Tag ein Speisenvorschlag mit Rezept abgedruckt wurde. „Immer mehr Lebensmittel mussten damals ersetzt werden. Daran kann man den Fortgang des Krieges ablesen“, sagt Brigitte Böttcher. Ein echter Schatz befindet sich im Besitz von Heidrun Klinke. „Meine Tante Gerda Kiauka hat dieses Buch geführt.“ Die Wernigeröderin habe in den 1930er Jahren die Mädchenschule, die heutige Thomas-Müntzer-Schule, besucht. „Dort hat sie bei Fräulein Zipfel das Kochen erlernt.“ Im Schulheft nachzulesen sind ihre Mitschriften aus dem Unterricht, Rezepte und sogar die Preise für die Zutaten. Nach der Schule habe sie das Heft weitergeführt, so Heidrun Klinke. „Meine Tante hat das Buch später einscannen lassen und es ihrer ganzen Verwandtschaft zum Geschenk gemacht.“ Bei Brigitte Böttcher wisse sie es nun in guten Händen.

Die ist dank der vielen Einsendungen hochmotiviert. „Ich freue mich auf die Arbeit an dem Buch, habe richtig Lust darauf.“ Drei große Kapitel soll das Druckwerk enthalten: Frühe Rezepte um den Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg und DDR-Zeit – mit vielen Rezepten und dem geschichtlichen Hintergrund. In der Schülerküche der Thomas-Müntzer-Schule sollen die Rezepte nachgekocht, die Speisen professionell für das Buch fotografiert werden. Erscheinen wird die Rezeptsammlung wahrscheinlich im März.

Hintergrund: Brigitte Böttcher arbeitet im Auftrag des Landesheimatbundes im Zentrum Harz Kultur. Aufgabe der Rentnerin ist die Erfassung und Digitalisierung sämtlicher Dokumente des Harzarchives. Dabei entdeckte sie ein Manuskript mit dem Titel „Notrezepte“ – verfasst von Dr. Irene Ziehe. Brigitte Böttcher und ihre Mitstreiter vom Zentrum Harzkultur sind von den Aufzeichnungen begeistert, beschließen, sie zu veröffentlichen und um Harzer Rezepte zu ergänzen.