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Kunst Wie Maria auf den Agnesberg kam

Rund 10.000 Objekte gehören zum Bestand des Schlosses Wernigerode. Die Harzer Volksstimme stellt einige Schätze vor.

Von Katrin Schröder 19.09.2017, 01:01

Wernigerode l Maria lächelt dezent. Ihr Haupt mit dem lang herabfallenden Haar wird von einem Sternenkranz gekrönt, Sonnenstrahlen aus dem Hintergrund lassen sie im wallenden, blauen Gewand überirdisch entrückt erscheinen. Das soll so sein: Die „Maria auf der Mondsichel“ ist ein wiederkehrendes Motiv in der Kunstgeschichte. Das Marienbildnis, das im gräflichen Schlafzimmer im Schloss Wernigerode hängt, ist eng mit der Geschichte des Hauses verbunden. „Das Besondere ist die Inschrift“, sagt Schloss-Geschäftsführer Christian Juranek. Sie lautet: „Für Franz und Clothilde zu Stolberg-Wernigerode von ihrer Mutter Agnes“.

Das Bild war ein Geschenk zur Hochzeit von Clothilde, die dem Haus Stolberg-Stolberg angehörte, mit Franz, einem Urenkel von Christian Ernst, der aus der Nebenlinie im schlesischen Peterswaldau stammt. Im Juni 1858 findet die Vermählung statt, von Franz‘ Mutter Agnes erhält das junge Paar das Marienbildnis. „Es legt einen katholischen Hintergrund nahe“, sagt Eva-Maria Hasert, Kustodin im Schloss Wernigerode. Die unbefleckte Jungfrau, so interpretiert sie die Gabe, solle dem Brautpaar als Schutzengel oder Schutzheilige beistehen.

2015 hat Juranek das Bild bei einer Auktion in Berlin ersteigert. Ein Kollege habe ihn vorab darauf hingewiesen. „Wenn so etwas auf dem Markt ist, müssen wir schnell handeln.“ Bei dem Werk handelt es sich um eine Auftragsarbeit, da sind sich Christian Juranek und Eva-Maria Hasert sicher. „Künstlerisch ist es etwas Besonderes“, so der Schloss-Chef. Ausgeführt wurde das Werk von Johann David Schubert, der als Zeichner und Porzellanmaler an der berühmten Meißner Porzellan-Manufaktur arbeitete, aber auch als Historienmaler Anerkennung fand.

Die Handzeichnung der Maria ist mit akribischem Strich und als Gouache ausgeführt. Dabei sind die Farben mit Deckweiß angereichert und erhalten einen deckenden Charakter. „Die Ästhetik ist typisch für die Nazarener“, so Juranek. Die Bewegung erreichte in den Jahren zwischen 1800 und 1830 ihren Zenith, ihre Protagonisten traten für eine Erneuerung der Kunst durch die Rückbesinnung auf das christliche Mittelalter ein. Berlin und München waren die Zentren der Nazarener in Deutschland. Dass ein Bild, das sich in diese Tradition einreiht, zum Besitzer der Familie Stolberg-Wernigerode gehört hat, sei bemerkenswert, so Christian Juranek. „Das macht es für uns einzigartig.“

Für ein Werk, das aus einem protestantischen Zusammenhang stammt, ist das Bildprogramm überdies ungewöhnlich. Es wirft ein Schlaglicht auf die Rekonfessionalisierung im 19. Jahrhundert, erklärt Christian Juranek – die Rückbesinnung auf den katholischen Glauben stand hoch im Kurs. Es wurden wieder Springprozessionen abgehalten und andere religiöse Bräuche wiederbelebt, viele konvertierten zum Katholizismus. „In dieser Zeit wurde der Kölner Dom zu Ende gebaut“, erinnert Juranek. Auch im Protestantismus gab es ähnliche Tendenzen – und manche übernahmen, wie beim Wernigeröder Marienbildnis, kurzerhand die katholische Symbolik. „Es ist ein Musterbeispiel für den Zeitgeist – und das Tolle ist, dass man es direkt der Fürstenfamilie zuordnen kann“, so Juranek.

Auch auf dem Agnesberg war man auf den Glauben bedacht. „Die Wernigeröder Linie war sehr fromm“, weiß Eva-Maria Hasert. Das galt zum Beispiel für Anna, die Gattin von Fürst Otto, die dem Pietismus zuneigte. „Sie war immer besorgt um ihr Seelenheil und eine sehr fromme Frau“, weiß Eva-Maria Hasert.

Das stand in Widerspruch zu dem ausschweifenden Lebensstil einer Politikergattin mit zahlreichen Bällen und Empfängen. Wie wichtig der Glauben war, zeigt sich im gräflichen Schlafzimmer: Dort hängen ausschließlich Bilder mit religiösen Motiven – wie das Marienbildnis. „Es passt sich dort gut ein“, so Juranek.