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Oper Leidenschaft bis in den Tod: Das sind die Akteure der Schlossfestspiele in Wernigerode

„Carmen“ feiert Premiere auf dem Wernigeröder Schloss. Zuvor sprechen die Sänger Johanna Brault und Guillermo Valdés über das Stück, Corona und Wernigerode.

Von Sandra Reulecke 05.08.2021, 23:53
Bei der diesjährigen Auflage der Wernigeröder Schlossfestspiele wird die Oper "La Tragédie de Carmen" präsentiert. Dafür stehen unter anderem Johanna Brault als Carmen und Guillermo Valdés als Don José auf der Bühne.
Bei der diesjährigen Auflage der Wernigeröder Schlossfestspiele wird die Oper "La Tragédie de Carmen" präsentiert. Dafür stehen unter anderem Johanna Brault als Carmen und Guillermo Valdés als Don José auf der Bühne. Foto: Sandra Reulecke

Wernigerode - Die Lippen sinnlich rot geschminkt, das bodenlange fließende Kleid in der gleichen Farbe, die langen dunklen Haare fallen ihr über die nackte Schulter – keine Frage, die Verführerin, die Femme fatale nimmt man Johanna Brault sofort ab. Die gebürtige Französin spielt die namensgebende Hauptrolle in der Oper „La Tragédie de Carmen“, die am Freitag, 6. August, erstmals im Rahmen der Wernigeröder Schlossfestspiele aufgeführt wird.

„Ich finde, ich habe viel Ähnlichkeit mit Carmen“, sagt die Mezzosopranistin und bezieht sich damit nicht nur auf Äußerlichkeiten. „Sie ist emotional und leidenschaftlich. Sie ist kein böser Mensch, aber alles, was sie tut, ist intensiv.“ Dass Männer von so einem Charakter überfordert sein können, könne sie gut verstehen, sagt die Sängerin mit einem Augenzwinkern in Richtung Guillermo Valdés. Der Tenor schlüpft in die Rolle des Don José, der sich leidenschaftlich, aber unglücklich in Carmen verliebt.

Erfahrung als Carmen

Ist es nicht schwer, ein Paar zu spielen, wenn man sich doch gerade erst kennengelernt hat? „Nein, die Chemie war von Anfang an super“, sagt Johanna Brault. Guillermo Valdés ergänzt: „Das ist eine Frage des Glücks. Es gibt schwierige Menschen in der Szene.“ Im Team aber stimme die Harmonie. „Es gibt eine Verbindung und das gibt uns Freiheit auf der Bühne.“

Dauern Proben für Opern normalerweise Monate, sind es im Fall der Wernigeröder Schlossfestspiele nur wenige Wochen. „Aber wir wohnen zusammen“, berichtet Johanna Brault. So gebe es viele Gelegenheiten, besonders intensiv an dem Stück zu arbeiten.

Reduziert aufs Wesentliche

Es ist nicht das erste Mal, dass die 33-Jährige in die Rolle der Carmen schlüpft. Doch dieses Mal sei es etwas ganz anderes. In Wernigerode kommt nicht die so bekannte und pompöse Bizet-Oper auf die Bühne im Schlossinnenhof, sondern die Peter-Brook-Bearbeitung. „Diese Version ist von jeglichen Klischees und Lokalkolorit geputzt“, erläutert die Sängerin. Sie verrät: „Es wird viel mehr getötet und viel düsterer. Wir sind meiner Ansicht nach ganz nah an dem, was Brook wollte.“

Mit 80 Minuten Spielzeit ist diese Version deutlich kürzer als die Oper, die man kennt – reduziert im positiven Sinne. „Alles ist konzentriert auf das, was die Geschichte wirklich braucht“, betont die Mezzosopranistin. „Es gibt keine Atempause. Man müsste denken, weil das Stück kürzer ist, ist es einfacher. Aber das Gegenteil ist der Fall.“

Mit weniger Darstellern und reduziertem Bühnenbild gebe es nur wenige Ablenkungen, eine Herausforderung für die Sänger. „Es ist intimer und ehrlicher. Alles, was wir auf der Bühne machen, jede kleine Geste, muss eine Bedeutung haben“, erläutert Guillermo Valdés. Der künstlerische Anspruch sei sehr hoch, der Raum, die Rolle auf eigene Weise zu interpretieren groß. Diese Version gehe „psychologisch tiefer“, sagt er.

Dem gebürtigen Chilenen, der sein Alter mit „Anfang 30“ angibt, falle es dennoch nicht schwer, sich nach Proben und Aufführungen von der Rolle zu lösen. „Auf der Bühne bin ich ein ganz anderer Mensch“, erläutert er. Danach sei er zwar müde, „aber es ist eine schöne Art von Müdigkeit“.

Johanna Brault geht es da anders. „Ich kann die Rolle nicht so ganz loslassen.“ Doch das sei kein Nachteil. „Ich muss mich in der Rolle sicher fühlen, ganz in ihr aufgehen, um sie auf die Bühne zu tragen.“

Mangelnde Wertschätzung

Sicherheit war etwas, das ihr und ihren Kollegen in den vergangenen Monaten in beruflicher Hinsicht fehlte. „Während Corona war das ein ständiges Hin und Her. Das war nervenaufreibend, anstrengend“, berichtet sie. Stücke wurden abgesagt, die Besucherzahl reduziert, Opern verschoben – so wie die Wernigeröder Schlossfestspiele. „La Tragédie de Carmen“ sollte eigentlich schon 2020 aufgeführt werden. „Man hat verlernt, sich auf etwas vorzufreuen aus Angst, dass es doch nur wieder abgesagt wird.“

In einem Künstlerberuf könne man sich nie sicher sein, sagt Johanna Brault, doch während der Pandemie haben ihr nicht nur die mangelnden Gelegenheiten zum Arbeiten gefehlt. Sie habe Wertschätzung für ihren Job vermisst. „Viele denken, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe“, erläutert sie. „Das ist ja auch so. Aber ein Arzt kann ebenso Leidenschaft für seinen Job empfinden und dem würde niemand raten, sich etwas anderes zu suchen.“ Ähnlich wie bei Medizinern dauere die Ausbildung von Opernsängern zehn, fünfzehn Jahre. „Wir sind hochgebildet und nie fertig mit Lernen. Das wurde nicht gesehen“, kritisiert sie.

Aufgewachsen in Marseille (Südfrankreich) begann Johanna Brault nach einem Literatur-Studium 2009 ihre Gesangsausbildung am Conservatoire National Supérieur de Paris. Es folgten mehrere internationale Stationen, um zu lernen und an ihren Künsten zu feilen, für Auftritte und Spielzeiten. Auch nach Wernigerode führte sie ihr Weg bereits. Sie gab bei den Schlossfestspielen 2018 die Maddalena in „Rigoletto“, eine Rolle „in derselben Farbe“, auch einer Verführerin. „Da hatte ich aber nur wenig zu singen“, berichtet die 33-Jährige, die seit sieben Jahren in Leipzig zu Hause ist. „Ich freue mich sehr, jetzt mehr von mir zeigen zu können.“ Sie habe die Stadt während „Rigoletto“ sehr genossen. „Die Atmosphäre ist toll.“

Kontrast zur Heimat

Auch ihrem Kollegen Guillermo Valdés gefällt der deutsche Kleinstadt-Charme. Ein Kontrastprogramm zu seiner Heimatstadt: Er ist in Santiago de Chile aufgewachsen, begann dort seine Ausbildung zum Sänger. Un dazu gehört mehr, als eine gute Stimme zu haben, betont er. „Singen ist wie Leistungssport.“

Dank eines Stipendiums kam der Tenor nach Europa, stand hier auf internationalen Bühnen – auch für Musicals und Operetten, wie er berichtet. Zu Hause ist der Sänger mittlerweile in Hamburg. „Die Stadt hat alles, was ich liebe und brauche“, schwärmt er. Heimweh verspüre er nicht. „Ich genieße, was ich habe und leide nicht an dem, was ich nicht habe“, erläutert er. Und im Moment sei er einfach nur dankbar dafür, nach den entbehrungsreichen Monaten im Lockdown wieder vor Publikum auf einer Bühne stehen zu können.