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Tourismus "Asyl" für Kölner Karnevalsflüchter

Von wegen Helau und Alaaf: Wernigerode ist derzeit das Ziel von Nichtjecken, die vor allem ihre Ruhe haben wollen.

Von Andreas Fischer 24.02.2020, 23:01

Wernigerode l Im Harz ist es unvorstellbar: In Köln gibt es 32 Karnevalsvereine. Die ersten vier Umzüge fanden am Karnevalsfreitag statt, am Sonnabend waren es 14, am Sonntag 25 und dann Rosenmontag 5. Wer meint, dann ist Schluss, täuscht sich. Am hier unbekannten Veilchendienstag gibt es in der Stadt am Rhein zwölf Umzüge. Es scheint so, als wären alle Kölner Jecken – aber es ist nicht so.

Es gibt eine zwar kleine, aber für die Wernigeröder Übernachtungsstatistik doch recht beachtliche Anzahl von Karnevalsflüchtern. Zwischen Karnevalsfreitag und Aschermittwoch, wenn alles vorbei sein soll, haben sechs Reisebusse mit Gästen aus den närrischen Hochburgen Deutschlands Halt in Wernigerode gemacht. Viele dieser angereisten Frauen und Männer wollen nichts oder nichts mehr vom närrischen Treiben sehen und hören.

Das Kölner Reisebüro Felix-Reisen beispielsweise kommt dieses Jahr viermal in den Harz, davon dreimal bucht es Gästebetten in Wernigerode, einmal in Braunlage. Wie im Vorjahr sind nun mit diesem Unternehmen in den Tagen rund um Rosenmontag wieder um die 30 Frauen und Männer in die Stadt gekommen, die weder Helau oder Alaaf rufen wollen. Sie sehnen sich stattdessen nach alten Häusern und dem Harzwald.

Das beginnt bei der Reiseleiterin dieser Gruppe. Sie heißt Miriam Salz und stammt eigentlich aus Malta. Sie war der Liebe wegen nach Köln gezogen und musste vieles lernen, so auch das närrische Treiben mit Verkleidung. Ihr Mann sei übrigens an einem Rosenmontag geboren worden und ein eingefleischter Karnevalsmuffel, erzählt sie.

So habe er Verständnis, wenn seine Frau an den vermeintlich tollen Tagen in den Harz entfleucht. Im Reisebus neben ihr sitzt in diesen Tagen als Fahrerin Susanne Lukai. Sie ist seit 30 Jahren Busfahrerin und hofft, noch viele Jahre mit Gästen unterwegs sein zu können. „Vor dem Karneval flüchten – deshalb sind wir ja hier“, sagt sie glasklar.

Auf Harztour ist mit dieser Reisegruppe auch Walter Buschleb. Seine Vorfahren stammen aus dem Eichsfeld. Der gebürtige Kölner hält dennoch nicht viel von dem närrischen Treiben. „Der Kölner Karneval ist zu rabiat geworden. Es gibt häufig Schlägereien“, so seine Einschätzung, um dann noch hinzuzufügen: „Anderthalb Stunden Stadtführung – das tut dagegen richtig gut.“ In ihrer Jugend fand sie das närrische Treiben noch gut. Jetzt, da ihr die eigene Gesundheit Grenzen setzt, genießt sie lieber die Bustour in den Harz, ergänzt die Kölnerin Rosemarie Oepen.

Närrisches Blut erbte auch Gerlinde Kunz nicht. Sie hatte 1961 in Blankenburg das Abitur bestanden. Sie freut es, dass sich ihre frühere Klasse vor einiger Zeit dazu entschied, sich nun alle zwei Jahre in der Blütenstadt zu treffen. So kommt die jetzige Kölnerin öfter in den Harz, in diesem Jahr noch einmal. Denn ihre eigene Familie schenkte ihr zum 80. Geburtstag eine Reise nach Blankenburg, zu der sie in einigen Monaten gemeinsam aufbrechen wollen, einschließlich der jetzt sieben Enkelkinder.

Fritz Schumann zieht es in die Natur. Dieser Kölner hat ebenfalls Harzerfahrung. Er wollte gerade jetzt wieder hier sein – als Alternative zum Treiben in den rheinischen Großstadtstraßen. Denn er engagiert sich im Wurmbergprojekt „Bergwald“. Es war 1987 vom Schweizer Förster Renato Ruf und dem deutschen Greenpeace-Mitarbeiter Wolfgang Lohbeck initiiert worden. Die Organisation bietet von Januar bis Dezember einwöchige Arbeitseinsätze an, so auch in den öffentlichen Wäldern im Harz. „Es geht um Erhalt und Pflege des Waldes durch Freiwilligenarbeit“, erläutert er und verweist auf sein eigenes Engagement dort.

Insgesamt sechs Omnibusse aus närrischen Hochburgen Deutschlands sind derzeit in der Stadt. Ob in allen auch beziehungsweise nur Karnevalsflüchter sitzen, ist unbekannt. Mit einem weiteren Bus waren 47 Menschen in den Harz gekommen, darunter auch Annamarie Tehores aus Mönchengladbach, einer Großstadt im Westen von Nordrhein-Westfalen.

Sechs Tage lang werde in ihrer Stadt Rabatz gemacht – aber ohne sie. „In meiner Jugend war alles schöner, gemütlicher. Wir haben fröhlicher gefeiert“, erinnert sie sich. Als Mitglied eines Kirchenchores habe sie damals das Karnevalsprogramm mit gestaltet. Geblieben sind ihr Erinnerungen. Nun freut sie sich, im Alter nochmals Neues zu entdecken – hier im Harz.