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Vor 30 Jahren wird der Lückenschluss der Schmalspurbahnen zwischen Stiege und Straßberg wiedereröffnet Weltweit einmaliger Kraftakt im Selketal

Von Dennis Lotzmann 09.12.2013, 02:14

Der 30. November hat für die Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) etwas Schicksalhaftes: In diesem Jahr endeten an diesem Tag wochenlange Bauarbeiten. Und am 30. November vor 30 Jahren wuchsen Harzquer- und Selketalbahn wieder zum längsten dampflokbetriebenen Streckennetz Europas zusammen.

Wernigerode/Quedlinburg l Es war ein Tag, an dem die kleine DDR buchstäblich Weltgeschichte geschrieben hat: der 30. November 1983. Während damals in vielen anderen Ländern die Ära der schnaufenden Dampfloks unwiderruflich zu Ende ging, hatte die DDR Anfang der 1980er Jahre einen riesengroßen Brocken gestemmt. Der Jahre zuvor am grünen Tisch des Ministerrates beschlossene Lückenschluss zwischen der Selketalbahn und der Harzquerbahn wurde Wirklichkeit. An jenem winterkalten Tag passierte die Mallet-Dampflok 99 5903 die Ziellinie und eröffnete den 13,5 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen Stiege und Straßberg (Harz).

Damit "gönnte" sich die wirtschaftlich längst gebeutelte DDR nicht nur einen gewissen Luxus, sondern obendrein ein dauerhaftes Alleinstellungsmerkmal. Europaweit gibt es heute kein längeres Schmalspur-Streckennetz, auf dem fast ausschließlich Dampfloks rollen. Was schon damals einzigartig war, wurde nach der Wende noch gekrönt. Mit der Wiederfreigabe der gesperrten Brockenbahn wuchs das Netz noch einmal um knapp 20 Kilometer und umfasst nun 140 Gesamtkilometer. Aus heutiger Perspektive betrachtet, zwei glückliche Schicksalsfügungen: Die Entscheidung im DDR-Ministerrat im Jahr 1972, Selketal- und Harzquerbahn als eine Schmalspurbahn zu erhalten, und die Wiedervereinigung samt Mauerfall am Brockenplateau.

Gleise nach Krieg demontiert

Doch wie kam es überhaupt dazu? Zurück in den frostigen Winter des Jahres 1983: Das Schmalspurbahnnetz im Harz wurde dank dieses historischen Ereignisses nach rund 38 Jahren wieder durchgängig befahrbar. Damit verheilten Narben, die der Zweite Weltkrieg verursacht hatte - der Bahnabschnitt zwischen Straßberg und Stiege lag seit 1946 im Dornröschenschlaf. Im Zuge von Reparationsleistungen gegenüber den Sowjets wurden 1946 nicht nur fast alle Loks und Waggons abtransportiert, sondern auch die Gleisanlagen im Ostharz nahezu vollständig demontiert.

Wirtschaftliche Erwägungen führten jedoch schon kurz nach dem Abbau zum Umdenken. Ein Abtransport des bei Straßberg - bis 1952 in Lindenberg - gewonnenen Flussspats (Fluorit/Calciumfluorid für die Eisenhütten- und die Aluminiumindustrie) erschien seinerzeit nur per Bahn durchführbar. Deshalb wurde bereits 1946 mit dem Wiederaufbau der demontierten Gleisanlagen begonnen wurde. Zwischen 1947 und 1950 gingen nach und nach alle Streckenabschnitte der Selketalbahn wieder in Betrieb. Parallel dazu übernahm die Deutsche Reichsbahn am 1. April 1949 die Betriebsführung auf der Selketalbahn. Allein der 13,5 Kilometer lange Abschnitt zwischen Stiege und Straßberg blieb für die nachfolgenden fast vier Jahrzehnte ohne Gleis, da ein Wiederaufbau zum damaligen Zeitpunkt nicht sinnvoll erschien.

Erst eine Entscheidung auf allerhöchster Ebene änderte dies. Nachdem die Schmalspurbahnen in der DDR bis in die 1970er Jahre hinein mehr oder weniger auf Verschleiß gefahren worden waren und ihr Ende näher zu rücken schien, wurden in Berlin auch für den Harz die Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Die Regierung beschloss 1972 nicht nur den dauerhaften Erhalt mehrerer Schmalspurbahnen zwischen Rügen und Zittau als technische Denkmäler, auch der noch offene Lückenschluss im Harz wurde schon damals festgezurrt.

Letzten Endes begünstigten auch volkswirtschaftliche Gründe die Reaktivierung. In Silberhütte war zu Beginn der 1980er Jahre der Bau eines Heizkraftwerkes zur Versorgung der dortigen pyrotechnischen Industrie geplant. Die dafür nötige Braunkohle sollte von Nordhausen über die westlich gelegene Harzquerbahn angeliefert werden. Zwingend nötig war dafür der Lückenschluss zwischen Harzquer- und Selketalbahn.

So begannen im Frühjahr 1981 die ersten Rodungsarbeiten auf dem zugewachsenen Bahndamm. Der Wiederaufbau der Gleise folgte in knapp zwei Jahren und am 30. November 1983 war es soweit: Nach 38 Jahren rollte der erste offizielle Zug.

Mallet-Lok zieht Eröffnungszug

Bei starkem Schneetreiben war es die 1898 gebaute Mallet-Dampflok 99 5903, eine typische Selketalbahn-Lok mit zwei separat angetriebenen Drehgestellen für die engen Kurven, die den Sonderzug mit Ehrengästen von Stiege nach Straßberg (Harz) brachte.

Damit war das gesamte Schmalspurnetz im Harz wieder durchgängig befahrbar. Die offizielle Aufnahme des Güterverkehrs folgte am 12. Februar 1984, nachdem das Heizkraftwerk in Silberhütte in Betrieb gegangen war. Der Personenverkehr folgte am 3. Juni 1984. Ein gleichsam historisches wie weltweit wohl einmaliges Ereignis, welches die HSB im kommenden Jahr noch würdigen werde, wie es hieß.