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Aus dem Berufsalltag von Matthias Vorbrodt, der rund 250 Instrumente pro Jahr repariert Wernigeröder Geigendoktor heilt die Leiden von Bratschen und Violinen

Von Marlene Kohring 29.06.2013, 01:09

Wernigerode. Seine offizielle Berufsbezeichnung lautet Geigenbauer. Doch der Wernigeröder Matthias Vorbrodt baut höchstens noch ein Instrument pro Jahr. Der Begriff "Geigendoktor" fasst seinen Arbeitsalltag besser zusammen. Ein Besuch in seiner Werkstatt.

Matthias Vorbrodt tastet seinen Patienten vorsichtig mit den Fingern ab, untersucht ihn von allen Seiten, zieht einen Wirbel aus dem Kopf heraus. Seine Diagnose: "Eine offene Stelle an der Seite, und die Wirbel sind gezeichnet von Unregelmäßigkeiten." Ein harmloser Fall. Vier Stunden Arbeit, dann sei alles wieder wie neu. Sein Patient: Eine Bratsche.

Mediziner ist er nicht, wohl aber ein Doktor, wenn auch ohne Titel. Matthias Vorbrodt ist Geigenbauer. Doch er selbst nennt sich gerne "Geigendoktor". Ein neues Instrument zubauen, das geschehe höchstens einmal pro Jahr. "Man darf sich nicht vorstellen, dass hier täglich ein Musiker hereinspaziert, der ein edles Instrument möchte", berichtet er. Seine Kunden: Musikschüler, Orchesterspieler und Sammler, die ihre Instrumente instandsetzen lassen wollen. Rund 250 Streichinstrumente repariert er im Jahr.

"Ich schreibe die Mängel auf. Alles andere bleibt aber in Meisterhand."
Susan Vorbrodt, Ehefrau des Wernigeröder "Geigendoktors"

Als er sich 1995 als Geigenbauer selbständig machte, glaubte er, seine Arbeit bestehe zur Hälfte aus dem Bau von Geigen. "Das ist zwar interessanter, aber die Nachfrage war einfach nicht da", sagt er rückblickend. Die Musiker in Wernigerode und Umgebung suchten jemanden, der ihre Instrumente repariert, also passte er sein Angebot an. Auch die Nachfrage nach Leihinstrumenten war groß. So baute er die Vermietung von Geigen zu seinem zweiten Schwerpunkt aus.

Das Verhältnis zwischen Geigenbauer und Musiker sei ein besonderes. "Es basiert auf Vertrauen, wie bei einem Arzt und seinem Patient." Auch deshalb passe die Bezeichnung "Geigendoktor" ganz gut.

Vorbrodt nimmt den Wirbel der Bratsche und steckt ihn in eines seiner Werkzeuge. "Ein Wirbelschneider. Funktioniert wie ein Anspitzer", erklärt der 45-Jährige während er den Wirbel darin herumdreht.

Seine Frau Susan sitzt an der zweiten Werkbank und poliert eine Geige. Von Anfang an unterstützte sie ihn. Erst kümmerte sich die 37-Jährige um die anfallenden Büroarbeiten. Mittlerweile hilft sie auch in der Werkstatt am Eisenberg. "Alleine schaffe ich es einfach nicht mehr", sagt der dreifache Vater. Vor kurzem hat er nämlich noch die Werkstatt "Rautmann Geigenbau" in Braunschweig übernommen.

Susan Vorbrodt nimmt die Instrumente auseinander: Kinnhalter abnehmen, Saiten herunterziehen. "Ich schaue, was in Ordnung gebracht werden muss und schreibe die Mängel auf", erzählt sie. "Alles andere bleibt aber in Meisterhand", ergänzt die Helferin.

Sie ist auch diejenige, die abends sagt - sagen muss: "So jetzt ist aber Feierabend für heute." Sonst würde ihr Mann oft gar kein Ende finden.

"Man erweckt totes Holz oder haucht ihm neues Leben ein."
Matthias Vorbrodt, Geigenbauer aus Wernigerode

Ihre drei Kinder, 10, 14 und 16 Jahre alt, sind in der Werkstatt quasi groß geworden. Der Kinderwagen stand damals neben den Instrumenten, während ihrer Grundschulzeit erledigten sie ihre Hausaufgaben an der Werkbank. Und jetzt üben sie dort Geige zu spielen - alle drei. Die Leidenschaft dafür haben sie von ihrem Vater, der schon als Kind anfing, ein Streichinstrument zu spielen.

Seine Musiklehrerin ermunterte ihn zu der zweijährigen Ausbildung zum Geigenbauer, weil so etwas in Wernigerode fehlte. "Eigentlich ist das viel zu wenig Zeit, um alles zu lernen", sagt Vorbrodt. Deshalb erweiterte er sein Wissen an der Fachhochschule für Musikinstrumentenbau in Markneukirchen. Nach drei Jahren hielt er sein Abschlusszeugnis als Geigenbaumeister in den Händen. Drei weitere Jahre arbeitete er als Angestellter bei Ekkard Seidl im Vogtland, bevor er seinen eigenen Betrieb eröffnete.

Eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut. "Man erweckt totes Holz oder haucht ihm wieder neues Leben ein." Die kleinen Verbesserungen, die er an der Bratsche vorgenommen habe, seien für einen Laien kaum erkennbar. "Aber für den Musiker sind sie enorm, und er freut sich", sagt der Geigendoktor.

Matthias Vorbrodt tastet mit seinen Fingern Wirbel für Wirbel der Bratsche ab. "Keine Unebenheiten mehr", stellt er zufrieden fest und setzt sie zurück in den Kopf des Ins-truments. Patient geheilt. Der Nächste, bitte.