Wetter Die Tage sind gezählt

Auf 120 Jahre Wetter-Geschichte blickt der Brocken zurück. Die Wetterbeobachter erlebten verirrte Wanderer, Wetterextreme und Revolutionen.

Von Jörn Wegner 10.10.2015, 01:01

Wernigerode l Zum 120. Geburtstag der Brockenwetterwarte hat sich hoher Besuch auf dem Beobachtungsturm eingefunden. Neben den Wetterbeobachtern und Mitarbeitern des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist der Präsident der Behörde, Gerhard Adrian, zu Gast. Zum Jubiläum hat er offiziell mitgeteilt: Die Automatisierung der Brockenwarte ist beschlossene Sache. Ab 2020 soll es auf Norddeutschlands höchstem Berg keine bemannte Wetterstation mehr geben. Schon heute seien nur noch 60 DWD-Stationen besetzt und 120 automatisiert, so Adrian. „Wir brauchen unsere Kollegen für neue Aufgaben“, sagt der Behördenchef.

Die Brocken-Wetterwarte kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Das Gebirge, das aus der norddeutschen Tiefebene herausragt, sei ein ganz besonderer Standort, so Adrian. Auf dem Brocken können Wetterextreme, zum Beispiel Sturmrekorde, und ein Klima beobachtet werden, das in den Alpen erst bei 1000 zusätzlichen Höhenmetern zu finden ist.

Am 1. Oktober 1895 begann das Königlich-Preußische Meteorologische Institut mit Wetteraufzeichnungen auf dem Brocken. Gelegentliche Wetterbeobachtungen habe es auf dem Harzgipfel aber schon seit 1836 gegeben, sagt Wartenleiter Klaus Adler. Damals geschah dies noch im Auftrag des Fürsten zu Wernigerode-Stolberg.

Der heutige Wetterturm wurde 1938 fertiggestellt, sieben Jahre später haben ihn Soldaten der US Army besetzt. Als der Ostharz und damit der Brocken der sowjetischen Besatzungszone zugeschlagen wurde, sollte dem neuen Gegner aus dem Osten möglichst wenig Brocken-Infrastruktur in die Hände fallen. „Sie haben die Technik zerschlagen und mit der Panzerfaust ins Gebäude geschossen“, sagt Klaus Adler.

Das bedeutete viel Arbeit für Elfriede und Klaus Glaß. Das Ehepaar hat 1947 die Wetterbeobachtung auf dem Brocken wieder aufgenommen. Zu Fuß hätten die beiden damals Einrichtungsgegenstände auf den Brocken getragen, sagt Adler.

Mit dem Mauerbau wurde der Brocken zum Sperrgebiet. Wetterbeobachter Ingo Nitschke hat einen Teil dieser Zeit in der Wetterwarte verbracht. „Für mich war das hier ein Schandfleck“, sagt er heute. Mauer, Schotter und überall Armee und Stasi. „Wir konnten keine richtigen Messungen vornehmen.“ Als hunderte Menschen am 3. Dezember 1989 nach einem Aufruf des Neuen Forums auf den Brocken zogen und die Öffnung des Tores erzwangen, war Nitschke schon oben – vorbereitet. „Einen Tag vorher habe ich ein Bettlaken geopfert“, sagt der Schierker. „Mauer weg“ hatte er auf das Laken geschrieben und oben an der Brockenwarte befestigt. Das Transparent habe Jubel bei den Brockenstürmern ausgelöst, erzählt Nitschke. „Die haben gesehen, dass hier oben nicht alles Stasi ist.“

Kurz vor der Wende hat Nitschkes Kollege René Sosna begonnen, in der Wetterwarte zu arbeiten. Zum Greifen nah war für ihn der Westen. Die Autos in Torfhaus konnte er sehen und im Dunkeln die Ampeln in Bad Harzburg. „Ich habe mir oft gedacht, was das für ein tolles Wandergebiet wäre“, sagt Sosna. An Flucht habe er aber nie gedacht. Zwar war Sosna Single und kinderlos, seine Eltern wären aber Repressionen ausgesetzt gewesen.

Am 3. Dezember war Sosna nicht in der Wetterwarte. Damals hatte er seinen Wehrdienst abzuleisten, am Tag der Brockenstürmung hatte Sosna Urlaub und war Teil der Menschenmenge auf dem Gipfel. Als der Brocken-Kommandant das Tor öffnete, bat er die Menschen um Besonnenheit. „Wie in Berlin an der Mauer“, sei es auf dem Brocken gewesen, sagt Sosna. Der einzige Unterschicht: Auf dem Brocken fand die einzige Grenzöffnung statt, die nicht in den Westen führte, denn das Plateau war weiterhin eingemauert.

Nach der Wende wurde der Turm mit mehr Technik ausgestattet. Digitale Datenerfassung ersetzte viel Handarbeit. Dafür entwickelte sich der Brocken zu einem Touristenziel – mit Folgen für die Wetterwarte. Sosna berichtet von den Wanderern, die sich bei Frost und Nässe in Jeanshosen zum Gipfel aufmachten, im Nebel die Orientierung verloren. Panisch erreichten sie die Brockenwarte, allerdings die verschlossene Hintertür, und schlugen mit ihren Wanderstöcken die Fenster ein, um in das Gebäude zu gelangen. Eine andere Gruppe wurde wiederum von den Wetterbeobachtern versorgt, nachdem sie die Brockenbesteigung viel zu spät begonnen hatte und erschöpft in Dunkelheit und Kälte das Plateau erreichte.

Sturm und Regen werden in fünf Jahren vollautomatisch registriert und ausgewertet. Verirrte Wanderer müssen dann auf das Brockenhotel hoffen oder ganz traditionell im Wolkenhäuschen Schutz suchen.