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Wetterstation Allein im Auge des Sturms auf dem Brocken

Nichts geht mehr auf dem Brocken: Nur zwei Beobachter des Deutschen Wetterdienstes hielten noch die Stellung auf dem Harzgipfel.

Von Dennis Lotzmann 14.03.2019, 20:29

Schierke l Über den Brocken jagen in den vergangenen Tagen Orkanböen mit bis zu 154 Kilometer pro Stunde. Dazu dichtes Schneetreiben und meterhohe Verwehungen. Der Verlauf der Brockenstraße ist zuweilen nur noch zu erahnen, der Räumdienst stößt an Grenzen. Obendrein stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit, wenn geräumte Abschnitte wenig später wieder zugeweht sind. Die Brockenbahn pausiert seit Tagen – die Gleise sind blockiert. Angesichts der Wetterlage Menschen herauf zu bringen, wäre auch kaum zu verantworten. Am Donnerstagmorgen hat auch Brockenwirt Daniel Steinhoff symbolisch die weiße Fahne gehisst und sein Team abgezogen.

„Wir hatten in der Nacht zum Donnerstag noch zwei Übernachtungsgäste, für die Folgenacht liegen keine Anmeldungen vor. Hier oben gibt es zwei Meter hohe Verwehungen und keinen einzigen Besucher mehr. Deshalb habe ich gegen 10 Uhr entschieden, dass Schluss ist mit lustig“, so Steinhoff wenig später. Das Personal habe das Hotel und die Gaststätte im Bahnhof der Brockenbahn geräumt und sich talwärts begeben. „Unterwegs haben wir noch eine Schulklasse getroffen, die auf dem Weg zum Gipfel war. Die sind auf unseren Rat hin sofort umgedreht.“

Damit ist der Brockengipfel nun nahezu komplett verlassen. Am Donnerstag hielten allein die beiden Wetterbeobachter Marc Kinkeldey und Ingo Nitschke – zwei alte Hasen auf dem Berg – noch die Stellung im Schneesturm. Kinkeldey, der Chef in der Warte des Deutschen Wetterdienstes, kämpfte sich mit einer Skibrille durch die peitschenden, eisig-kalten Schneekristalle und im Tiefschnee zu den Messpunkten am Fuße der Wetterwarte.

Zwischendurch fand das Duo bei Bratkartoffeln und Tee Zeit, in Erinnerungen an Extremwetter-Situationen vergangener Jahre zu kramen. Unvergessen sei der 18. Januar 2018, als Orkan „Friederike“ mit Tempo 205 an den Gebäuden auf dem Gipfel rüttelte. Das sei extrem gewesen und habe sie damals oben auf dem Berg gefangen. „Wir kamen nicht mehr runter, und unsere Ablösung nicht mehr hoch“, berichtet Marc Kinkeldey. Konsequenz: Eine Schicht dranhängen und durchhalten. „Am Ende waren wir mehr als 30 Stunden am Stück hier oben.“

Beruhigend ist in solchen Momenten, dass sich im Turm immer irgendwo noch was zu essen findet. Und dass das uralte Bauwerk schon ganz andere Sachen überstanden hat. Am 24. November 1984 peitschte ein Orkan mit 263 Kilometern pro Stunde über den Gipfel. Der damalige Wetterbeobachter hatte Angst, dass die Scheiben im Turm zerbersten und suchte im Keller Schutz vor den Naturgewalten. Der Turm hielt ihnen stand – ganz anders Baracken und Abhör-Radome der sowjetischen Abhörspezialisten gleich nebenan. Die Geheimdienstler, die Richtung Westen ihre Lauscher ausfuhren, mussten danach erstmal reparieren.

Auch später, erinnern sich Nitschke und Kinkeldey, habe der Brocken gerade im Winter für skurrile Bilder gesorgt. Irgendwann zu DDR-Zeiten blieb mal ein Traktor vom Typ ZT 300 in einer Schneewehe stecken. „Der Fahrer hat dann tatsächlich eine weiße Fahne gehisst“, erinnert sie sich. Oder der Postbote, der mit seinem Motorrad vor den Schneemassen kapitulieren musste. „Zwei Tage später wurde die Schneewehe vorsichtig weg gefräst – das Motorrad steckte mittendrin, in zwei Metern Höhe.“ Erinnerungen an Zeiten als der Gipfel militärisches Sperrgebiet war, das Wetter aber nicht minder extrem.

Zeiten, die sich niemand zurück wünscht. Ebenso wenig wie irgendwelche Einschränkungen oder gar Verbote. Aber: Ganz früher war der Gipfel im Winter quasi tabu, da fuhr auch keine Bahn hoch. Heute allerdings generieren die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) mit der Brockenbahn als Attraktion schlechthin das Gros der Einnahmen und machen so Erhalt und Betrieb des 140 Kilometer langen Streckennetzes möglich. Mit Brockenbahn und Streckenlänge setzen sie wiederum Maßstäbe in punkto Einmaligkeit. Daher gilt es, täglich auf Neue abzuwägen zwischen Attraktion und Risiko.

Einmalig – das trifft es auch mit Blick auf die Wälder rund um den Brocken und im Harz insgesamt. Dort ist es aktuell einmalig gefährlich. Deshalb werden die Verantwortlichen der Nationalpark-Verwaltung nicht müde, zu warnen: Vor Besuchen des Brockens ebenso wie vor Wanderungen durch Wälder. „Wir können die Wälder nur im Fall von Katastrophen sperren – warnen aber ausdrücklich und auf allen Kanälen davor, sie in diesen Tagen zu betreten“, so Friedhart Knolle, Sprecher des Nationalparks Harz.

Wie es auf dem Brocken weitergeht, bleibt abzuwarten. Nitschke und Kinkeldey, die wegen der zum Jahresende geplanten Schließung der Wetterwarte wohl ihren letzten Winter auf dem Berg erleben, kamen heil talwärts. Matthias Glenk hielt in der stürmischen Nacht die Stellung. Brockenwirt Steinhoff will heute schauen, wie es weitergeht. Neun Gäste seien angekündigt, notfalls müsse umgebucht werden. „Unsere großen Umsatzverluste sind absolut zweitrangig – es geht allein um die Sicherheit.“