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Zu wenig RenteLetzter Ausweg Wärmestube

Wenn die Rente so klein ist, dass man sich den Einkauf kaum leisten kann, bleibt oft nur der Gang zur Wernigeröder Wärmestube.

Von Julia Bruns 25.02.2019, 00:01

Wernigerode l Sie hat 38 Jahre voll gearbeitet, und das im Dreischichtsystem in der Produktion. Gebracht hat es Irmgard Meier* eine Rente von knapp 800 Euro im Monat. Seitdem sie nicht mehr arbeitet, geht die heute 82-Jährige zur Tafel und in die Wärmestube. Denn von der Rente könne sie zwar die Miete für ihre Wohnung und das Notwendigste bezahlen. Braucht sie allerdings eine neue Winterjacke oder ein paar Schuhe, wird es eng, berichtet die Seniorin der Volksstimme beim Besuch der Ökumenischen Wärmestube.
Wie Irmgard Meier sind es vor allem ältere Frauen, die den Weg in das Gadenstedt‘sche Haus finden. Rund 30 Gäste kehren zwischen Oktober und Ostern zweimal pro Woche, immer montags und donnerstags, gegen 9 Uhr gegenüber der Sylvestrikirche ein. Dort bereiten jeweils vier ehrenamtliche Helfer in einer kleinen Küche ein liebevoll gestaltetes Frühstück vor: Sie kaufen ein, richten Käse, Wurst, Butter, Deko-Gemüse auf den Tellern an, schneiden Brot und bedienen ihre Gäste. Nach und nach räumen sie ab und kümmern sich um den Abwasch.
Seit 1999 ist Gudrun Meier aus Wasserleben dabei. „Ich war Bauzeichnerin, meine Firma wurde geschlossen. Da habe ich mich entschieden, mich in der Wärmestube zu engagieren“, sagt die 74-Jährige, die in der Wasserlebener Kirche die Kirchenkreise betreut. Sie bringt Schmalz vom Bauern und selbstgemachte Marmelade mit. „Bei uns kommt nichts auf die Teller, was wir nicht selbst gerne essen würden“, sagt Astrid Groß, die die Ehrenamtlichen koordiniert.
Im Gegensatz zu Gudrun Meier ist Brigitte Tannert noch fast ein Neuzugang im ehrenamtlichen Team. „Ich war mit dem Sozialausschuss in der Wärmestube zu Gast“, erinnert sie sich. Das Thema ließ sie nicht mehr los. Seit drei Jahren hilft sie. Anderen etwas Gutes zu tun, lenke auch manchmal vom eigenen Schicksal ab. Den Verlust des Partners mussten einige der Ehrenamtlichen verkraften. „In der Gruppe wird man aufgefangen“, sagt Astrid Groß. Ihr Schicksalsschlag war ein Hirntumor, der sie für Wochen in der Klinik in Hannover ans Bett fesselte. „Wenn man das erlebt und diese Schicksale dort gesehen hat, denkt man anders über das Leben“, sagt sie heute. Die Sil- stedterin engagiert sich seit vier Jahren. „Ich hatte vor Jahren eine private Sammlung für die Tafel gestartet, da waren 800 Euro zusammen gekommen“, berichtet Groß, die sich in ihrem Ort auch im Seniorenrat einbringt. Für Steffi Bollmann aus Silstedt ist es die erste Saison. Sie wurde von ihrer Nachbarin Astrid Groß auf das ökumenische Hilfsprojekt aufmerksam gemacht. „Es macht Spaß, man kommt raus und hängt nicht zuhause rum“, sagt sie.
Für 400 bis 500 Euro im Monat kaufen die Ehrenamtlichen Lebensmittel ein. Ist mehr Geld da, werden sogenannte Extras verteilt. Dann gibt es ein Stück Butter oder ein Paket Kaffee für die Bedürftigen. Zudem wird in der Weihnachtszeit ein festliches Essen angeboten. „Spezielle Zuwendung erfahren einzelne, besonders bedürftige Besucher mit unseren Vorräten aus dem Keller“, sagt Brigitte Tannert. Anders als bei der Tafel müssen sich die Gäste nicht mit dem Sozialpass des Landkreises ausweisen. „Bei uns ist wirklich jeder willkommen“, sagt Astrid Groß. „Es ist auch eine Kontaktstelle.“
Die Wärmestube ist spendenfinanziert. Brot und Brötchen gibt Bäckerei Silberbach. Eine größere finanzielle Unterstützung kam nun auch von der Stadtwerke-Stiftung. Wer das Projekt unterstützen will, kann unter Angabe des Verwendungszweckes „Ökumenische Wärmestube Wernigeride; RT 3516“ spenden: Kontoinhaber: Kreiskirchenamt Harz-Börde, IBAN: DE93 8006 3508 3010 0100 00, Harzer Volksbank.
* Name von der Redaktion geändert