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Behinderte Waas? Schon 34 Jahre blind?

Kevin Brentrop, der Chef einer Physiotherapiepraxis in Wolmirstedt, erzählt, wie es ist, blind zu sein.

Von Gudrun Billowie 03.12.2020, 00:01

Wolmirstedt l Kevin Brentrop betreibt eine Physiotherapiepraxis mit sieben Mitarbeitern und „sieht“ bei der Arbeit mit den Händen, mit den Augen fast nichts. Wie unterscheidet sich sein Leben vom Leben der Sehenden? Wir haben Kinder gebeten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, Fragen zu stellen. Mariella Enke, Sissi Wohlthat und Samira Kegel aus der vierten Klasse der Gutenberg-Grundschule haben sich mit dem Thema beschäftigt und so entspann sich im Turnraum der Physiotherapie-Praxis ein lebhaftes Gespräch.

Mariella: Sind Sie seit der Geburt blind?

 

Kevin Brentrop: Mein Zwillingsbruder und ich waren Frühchen. Ich bin von Geburt an hochgradig sehbehindert, habe zurzeit zwei Prozent Sehkraft. Mein Zwillingsbruder ist ganz blind. Und auch für mich kommt der Tag, an dem ich ganz blind sein werde.

Sissi: Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?

 

Als Jugendlicher habe ich viel am Computer gespielt, inzwischen beschäftige ich mich am liebsten mit unserem Kind. Unsere Tochter wird bald zwei Jahre alt. Ich koche und reise aber auch gern, höre Hörbücher oder schaue mit meiner Frau Filme.

Mariella: Kochen? Wie finden Sie die Zutaten?

Die Zutaten stehen bei uns immer am selben Platz, das Gemüse ist immer unten links. So finde ich, was ich brauche.

Sissi: Wie ist das, wenn man blind ist?

In gewohnter Umgebung komme ich gut zurecht. Ein bisschen kann ich ja noch erkennen. Zum Beispiel erkenne ich, dass Mariella dunkle Haare hat. Aber ich weiß nicht, ob sie schwarz oder braun sind. Wichtig ist, dass die Dinge immer am selben Platz stehen. Schwierig wird es zum Beispiel, wenn jemand einen Hocker im Weg stehen lässt.

Samira: Wie sind Sie auf Ihren Beruf gekommen?

Ich war auf einer Schule für sehbehinderte Menschen. Da wird man auf entsprechende Berufe aufmerksam gemacht. Anders als mein Bruder wollte ich auf gar keinen Fall an den Schreibtisch.

Mariella: Was war bisher Ihr schönstes Erlebnis?

 

Das schönste Erlebnis war auf jeden Fall, unsere Tochter zu bekommen. Aber es war auch sehr schön, als ich mit meiner Frau durch Südamerika gereist bin, nach Ecuador auf die Galapagos-Inseln. Wir haben in Südamerika in einer Kita für schwerbehinderte Kinder gearbeitet, ich als Physiotherapeut, meine Frau ist Ergotherapeutin. Die Kita ist auf ehrenamtliche Helfer angewiesen.

Sissi: Was war Ihr Lieblingsfach in der Schule?

Informatik.

Samira: Wie ist das, wenn Sie an der Ampel stehen, sehen Sie ob die Rot oder Grün ist?

Nein, ich muss mich an anderen Menschen orientieren, mit der Masse mitgehen, gut hören. Das Hören ist an einer belebten Kreuzung sehr schwierig.

Mariella: Wie orientieren Sie sich beim Laufen?

In einer fremden Umgebung oder im Dunkeln nutze ich einen Blindenstock, aber wo ich mich auskenne, geht es auch so. Außerdem gibt es Blindenleitsysteme. Beispielsweise weist eine Riffelplatte auf dem Bahnsteig darauf hin, wo der erste Wagen hält oder wo eine Stufe kommt. Diese Riffel kann ich mit dem Blindenstock ertasten.

Sissi: Wie finden Sie sich in Einkaufszentren zurecht?

Gar nicht. Ich gehe ungern in Einkaufszentren, sondern am liebsten in vertraute Märkte. Wenn ich mich irgendwo nicht auskenne, frage ich eine Verkäuferin.

Samira: Wie sehen Sie die Preise?

Ich habe eine Handy-App, die die Preise liest und nennt. Überhaupt ist das Handy mein wichtigstes Hilfsmittel.

Sissi: Wie können Sie Nachrichten schreiben?

Dafür nutze ich die Sprachausgabe.

Mariella: Wenn Sie Freunde besuchen, wie finden Sie das richtige Klingelschild.

Auch dabei hilft mir das Handy.

Sissi: Wie reagieren andere Menschen, wenn sie bemerken, dass Sie blind sind?

Es kommt manchmal vor, dass mich jemand über die Straße bringen will. Das ist nett gemeint, hilft aber nicht, schon gar nicht, wenn ich gar nicht hinüber will. Ich wünsche mir, dass Menschen lieber fragen: Kann ich Ihnen helfen? Dann kann ich entweder die Hilfe annehmen oder antworten, dass ich mich lieber selber orientieren möchte oder dass ich allein zurecht komme, nur etwas länger brauche. Ich komme gut allein zurecht, auch mit Treppen. Ich schleife mit den Füßen auf dem Boden, bis ich die Stufe spüre.

Samira: Haben Sie Ihre Tochter als Baby auf den Arm genommen?

Klar, ich hatte sogar acht Monate Elternzeit. Wenn ich sie getragen habe, habe ich sie mit den Armen geschützt oder bin rückwärts gegangen. Wäre ich irgendwo gegengestoßen, hätte sie nichts abbekommen. Inzwischen hat sie schnell gelernt, dass sie mir Dinge nicht zeigen, sondern in die Hand drücken muss. Auch beim Füttern wusste sie recht früh, dass sie mir besser mit dem Mund entgegen kommt. Wenn ich sie anziehe, reicht sie mir die Sachen. Die hat meine Frau allerdings zuvor für uns beide bereitgelegt.

Mariella: Können Sie besser hören als andere?

Ob ich besser hören kann, weiß ich nicht, aber ich verlasse mich auf mein Gehör.

Sissi: Wie ist das, wenn eine Tasse auf dem Tisch steht?

Du meinst, ob ich sie runterschmeiße? Das passiert nicht, wenn man vorsichtig mit der Hand flach über den Tisch wischt.

Sissi: Als ich Sie gesehen habe, hätte ich nicht gedacht, dass Sie blind sind.

Das merkst Du daran, dass ich keinen Augenkontakt zu Dir habe.

Mariella: Was wünschen Sie sich?

Dass ich selbst Auto fahren kann. Ich habe es sogar mal probiert, zusammen mit meiner Frau an einem menschenleeren Strand in Dänemark. Da saß ich mal am Steuer. Ich bin ein großer Autofan. Wenn es selbstfahrende Autos gibt, bin ich der erste, der eins kauft.

Wie alt sind Sie?

34 Jahre.

Sissi: Waaas? Sie sind schon 34 Jahre blind?