Coronavirus 100 Jahre und kein Fest

Seit 100 Jahren gibt es die Kantorei St. Katharinen und eigentlich sollte dieses Jubiläum mit einem großen Konzert gefeiert werden.

Von Gudrun Billowie 12.05.2020, 12:38

Wolmirstedt l Der Sonntag verging in der Katharinenkirche ohne Konzert. Es gab keine besonderen Kerzen, keine üppigen Blumenarrangements, keine vollbesetzte Kirche, keinen Gesang, keine Glückwünsche zum 100. Kantoreigeburtstag. Stattdessen verbrachte jeder Sänger, jede Sängerin den Tag zu Hause. Die Kontaktbeschränkungen der Corona-Krise fordern ihren Tribut. Gesundheit geht vor.

„Es war ein ganz, ganz seltsames Gefühl“, beschreibt Kantorin Stefanie Schneider ihren Sonntagmorgen, „ich habe immerzu gedacht, was wäre, wenn...“ Wenn Corona nicht dazwischen gegrätscht wäre. Dann hätte sie den Taktstock geschwungen, die Orgel gespielt, mit befreundeten Chören wären vierstimmige Gesänge angestimmt worden. Stefanie Schneiders hatte sogar einen Hallelujah-Ruf komponiert, den hätten alle leidenschaftlich in den Kirchsaal gejauchzt. Nichts davon ist wahr geworden, nichts davon derzeit möglich. Viele Kantorei-Mitglieder sind nun nicht nur Sängerinnen und Sänger, sondern Corona-Risikogruppe.

Damit hatten sie nicht gerechnet. Beinahe zwei Jahre hatten sie auf diesen 10. Mai hingearbeitet, mit dem Chor, den Stefanie Schneider am liebsten Kantorei nennt, weil er eben von ihr, einer Kantorin, geleitet wird.

In dieser Kantorei singen ausschließlich Laien und immer wieder überraschen sie das Publikum mit großen Werken und einem Niveau, dass so einem kleinen Chor nicht unbedingt zugetraut wird. Wie gelingt das?

„Das liegt an der hohen Qualität der Leitung und der Disziplin der Mitglieder“, sagt Horst Küster (69), der seit vier Jahren mitsingt. Die Kantaten oder ein Requiem werden segmentweise aufgebaut. Der Chor probt jeweils kleine Stücke. „So gibt es kleine Erfolgserlebnisse.“

Das bestätigt Alexandra Rietschel(46), die sich ebenfalls an den kleinen, aber auch an den großen Erfolgen lange erfreut. „Bei unseren Konzerten sitzt alles auf den Punkt. Die CDs höre ich immer wieder.“

Sigrun Danne (80) hatte den Chor selbst einmal geleitet, die 80-Jährige setzt noch immer auf das Stimmtraining. „Man muss sich vor dem Singen lockern und auch beim Singen immer wieder aufrütteln, sonst rutscht der Ton runter.“

Die Wolmirstedter Tradition des Kirchengesangs reicht weit über 100 Jahre zurück. Es hatte schon vor dem ersten Weltkrieg mehrere Chöre gegeben, aus mehreren Männer- und Frauenchören hat Kantor Adolf Niebuhr 1920 schließlich den Kirchenchor zusammengestellt. „Schon in den ersten Jahren sang der Chor nicht nur in den Gottesdiensten, sondern führte auch größere Werke wie die `Deutsche Messe` von Franz Schubert auf“, weiß Stefanie Schneider.

1927 übernahm Willy Schulze die Chorleitung. Er wurde im zweiten Weltkrieg eingezogen, geriet in Kriegsgefangenschaft, währenddessen leitete seine Frau Else den Chor. Willy Schulze übernahm wieder, als er aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und erlitt während eines Gottesdienstes im Jahr 1953 einen Schwächeanfall, hörte auf, Orgel zu spielen. „Die Gemeinde bekam davon allerdings nichts mit“, hat Stefanie Schneider herausgefunden, „da der junge Herbert Ruddies spontan einspringen konnte.“ Den zog es später zum Studium, er wurde Pfarrer und gehört heute noch immer zusammen mit seiner Frau Elisabeth fest zur Gemeinde.

Auch in jüngerer Zeit wechselten die Chorleiter, seit neun Jahren steht Stefanie Schneider dem Klangkörper vor.

Wie geht es nun weiter, wann wird das Jubiläum gefeiert? „Wir rechnen erst im nächsten Jahr damit“, sagt die Kantorin. Selbst wenn im Herbst größere Veranstaltungen wieder erlaubt wären, könnte die Kantorei nicht sofort reagieren. Einem Konzert müssen intensive Proben vorausgehen, die benötigen Zeit. Zumal keiner der Sängerinnen und Sänger spontan dort anknüpfen könnte, wo er Anfang März aufgehört hat. „Vielleicht“, sagt Stefanie Schneider, „verschieben wir das Jubiläum auf Mai 2021 und feiern dann den 101. Geburtstag.“