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Daseinsfürsorge Ärztenotstand: Wagt die Stadt neue Wege?

Um dem drohenden Hausärztemangel zu begegnen, tagte die „Arbeitsgruppe Ärzte“ zum dritten Mal.

Von Gudrun Billowie 17.07.2015, 01:01

Wolmirstedt l In Wolmirstedt sind vier der acht praktizierenden Hausärzte über 70 Jahre alt. Sie können das Stethoskop jederzeit an den Nagel hängen und mit den verbleibenden vier Hausärzten wäre Wolmirstedt extrem unterversorgt. Nach Maßgaben der Kassenärztlichen Vereinigung braucht die Stadt sieben Hausärzte, um den Bedarf zu decken. Die Praxis spricht eine eigene Sprache. Schon jetzt werden Patienten nicht mehr angenommen, andererseits werden Bürger der umliegenden Orte in Wolmirstedt medizinisch betreut. Das ist zum einen der freien Arztwahl geschuldet, zum anderen der Tatsache, dass es auf vielen Dörfern keine Ärzte mehr gibt. Nachfolger sind nicht in Sicht. Nirgends. „Wir als Landkreis betrachten mit Sorge, was die Zukunft bringt“, sagte Iris Herzig. Die Fachbereichskoordinatorin des Landkreises saß das erste Mal mit am Tisch in der Arbeitsgruppe und machte deutlich: „Wolmirstedt kann das Problem nicht allein stemmen, wir müssen gemeinsam arbeiten.“

Weichen hat der Bundestag gerade gestellt. Am 11. Juni wurde das Versorgungsstärkungsgesetz verabschiedet. Damit soll in Zukunft eine gut erreichbare medizinische Versorgung der Patienten auf hohem Niveau sicher gestellt werden. Mittel eines Strukturfonds sollen die Niederlassung von Ärzten im ländlichen Raum erleichtern. Weiterhin legt das Gesetz fest, dass die Gründungsmöglichkeiten für medizinische Versorgungszentren weiterentwickelt werden. Kommunen könnten Ärztehäuser als eine Art Eigenbetrieb führen. Derlei Förderungen können Wolmirstedt nützen.

Das war die Initialzündung für ein Plädoyer der stellvertretenden Bürgermeisterin Marlies Cassuhn. „Ich möchte für ein Ärztehaus werben“, sagte sie, „wir müssen Medizinern ein Angebot in unserer Stadt machen.“ Sie drängte mit Blick auf die zu erwartenden Gelder des Strukturfonds: „Wir müssen jetzt ein Projekt planen, das Hausärzten die Entscheidung für Wolmirstedt erleichtert.“ In einem Ärztehaus könnten Ärzte beispielsweise als angestellte Ärzte arbeiten, was besonders für diejenigen interessant ist, die sich nicht für eine Praxis verschulden oder Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren wollen. Ein ähnliches Modell gibt es bereits im schleswig-holsteinischen Büsum. Marlies Cassuhn drängte darauf, sich dieses Modellprojekt vor Ort anzuschauen.

Rückenwind bekam sie vom niedergelassenen Arzt Ulrich Apel. „Wir müssen am Standort Wolmirstedt Angebote an Ärzte machen, bevor es andere tun.“ Stadtrat Mike Steffens (CDU) schlug vor, Partner wie die Volkssolidarität oder das Deutsche Rote Kreuz mit ins Boot zu nehmen.

Bürgermeister Martin Stichnoth (CDU) wollte sich nicht konkret in die Pflicht nehmen lassen. „Ärzte müssen sagen, was sie wollen und sich selbst um Nachfolger kümmern“, meinte er. Außerdem sieht er bei den Mitarbeitern des Rathauses so gut wie keine Kapazitäten, ein Projekt zu entwickeln, mit dem Ärzten eine Niederlassung in Wolmirstedt schmackhaft gemacht wird. Er meinte, es müssten erst einmal Ärzte kommen, die sagen, was sie brauchen. Er erklärte sich jedoch bereit, zusammen mit Ulrich Apel an der Magdeburger Universität bei Medizinstudenten für den Standort Wolmirstedt zu werben.

Rein sachlich und nach Recht und Gesetz ist die Kommune in der Tat nicht für die Ärzteansiedlung zuständig. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht aktiv werden darf. Eine Volksstimme-Umfrage zu Jahresbeginn hatte ergeben, dass sich 85,5 Prozent derjenigen, die geantwortet haben, wünschen, dass die Kommune investieren soll, um den drohenden Hausärtztemangel abzuwenden. Besonders vor dem Hintergrund der immer älter werdenden Bevölkerung sehen die Bürger die Not und auch die Stadt in der Pflicht.

Iris Herzig brachte die Niederlassung ausländischer Ärzte in die Diskussion. „Auch daran müssen wir uns gewöhnen“, sagt sie. Mit dieser Entwicklung mag sich Hausarzt Dr. Ernst Riemann nicht anfreunden. „Es ist unethisch, Ärzte aus Ländern wie Rumänien abzuziehen“, sagte er, „sie werden dort gebraucht.“ Iris Herzig hat allerdings eher Menschen aus Syrien im Blick. „Viele, die hierher gekommen sind, sind hochqualifiziert. Darunter sind auch Ärzte. Viele Syrer werden ohnehin sehr lange oder für immer hierbleiben.“ Der Landkreis sei gerade dabei, die Qualifizierungspotenziale zu erfassen.