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Gedenken Stärke, die Menschen zu verstehen

Peter Lantos sollte mit dem "Gestrandeten Zug" ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert werden. In Farsleben wurde er gerettet.

Von Gudrun Billowie 17.07.2020, 01:01

Farsleben l Peter Lantos war fünf Jahre alt, als er mit seiner Mutter und etwa 2500 weiteren Juden ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert werden sollte. Er wäre im April gern zur Gedenkfeier nach Farsleben gekommen. Von London aus berichtet er Volksstimme-Reporterin Gudrun Billowie, wie es ihm geht.

Sie leben in London, wie geht es Ihnen?
Peter Lantos: Ich lebe seit 1968 in London und diese Stadt war für mich seitdem immer ein gutes Zuhause.

Wie erleben Sie die Corona-Pandemie?
Die Coronavirus-Pandemie hat uns böse überrascht. Ich versuche, den Empfehlungen der Regierung zu folgen und nur rauszugehen um einmal in der Woche das Nötigste einzukaufen, wie Lebensmittel und Medizin. Ich habe Glück, da ich sehr nah an einem Park wohne: Ich muss nur die Straße überqueren und bin im Regent‘s Park, der mit Abstand der schönste Park Londons ist.

Eigentlich wollten Sie im April nach Farsleben kommen. Worauf hatten Sie sich besonders gefreut?
Ich wollte an der Gedenkfeier am 17. April 2020 in Farsleben teilnehmen; ich habe sogar schon das Flugticket gekauft. Karin Petersen, bat mich, eine zehnminütige Rede zu halten, die habe ich vor langer Zeit geschrieben.

Wie haben Sie sich gefühlt, als diese Gedenkfeier abgesagt wurde?
Es tut mir unglaublich leid. Nicht wegen mir selbst, obwohl ich mich mit großer Erwartung darauf vorbereitet habe, sondern für die Organisatoren, Karin Petersen, Johanna Mücke, Anette Pilz und die anderen, die diese Veranstaltung mehrere Jahre mit großem Enthusiasmus vorbereitet haben. Ich erinnere mich auch an Ron Cholet und die amerikanischen Veteranen. Es ist herzzerreißend, daran zu denken, dass all ihre Zeit und Energie umsonst war. Als ich noch gearbeitet habe, habe ich viele nationale und internationale Meetings und Konferenzen organisiert, deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung, dass eine unglaubliche Menge an Überlegung und wirklicher Arbeit in die Planung und Organisation fließt. Lasst uns hoffen, dass dieselbe Gedenkfeier im nächsten April stattfinden wird.

Sie waren als Redner eingeplant. Was wollten Sie den Menschen sagen?
Ja, ich wurde gefragt, auf der Gedenkfeier eine Rede zu halten. Ich wollte über meine persönliche Erfahrung sprechen: Als fünfjähriges Kind mit meiner Mutter in dem Zug zu sein, die Freude über unsere Befreiung durch die Amerikaner, über das Leben danach in Hillersleben und dann die Rückkehr nach Ungarn.

Warum ist es so wichtig, von den Ereignissen während des Zweiten Weltkrieges und danach zu erzählen?
Wir sollten uns daran erinnern, was in der Vergangenheit passiert ist, da dies der einzige Weg ist zu verhindern, dass solche Ereignisse wieder geschehen. Als Jude bin ich besonders besorgt über das momentane Wiederaufleben des Antisemitismus in ganz Europa.

Sie haben zusammen mit Ihrer Mutter Ilona im gestrandeten Zug gesessen, damals waren Sie fünf Jahre alt. Können Sie sich an die Ereignisse erinnern? Welche Bilder gibt es in Ihrem Kopf?
Was ich von der Reise von Hillersleben nach Ungarn über Prag in Erinnerung habe, ist eine Mischung meiner eigenen Erinnerung und der Geschichte, die meine Mutter mir erzählte. Ich erinnere mich jedoch an die Aufregung der Reise mit dem Zug und in Prag anzukommen und für Brot und Milch am Bahnhof in der Schlange zu stehen. Das dramatischste Bild, an das ich mich erinnere, war im Haus unserer Familie anzukommen und es komplett leer vorzufinden, mit Ausnahme der Ölportraits meiner Großmutter und meines Großvaters. Alles ist gestohlen worden. Eine meiner Cousinen hat dieselben Portraits restauriert noch immer in ihrer Budapester Wohnung.

Glauben Sie, dass diese Ereignisse Ihr Leben geprägt haben? Wenn ja, wie?
Bergen-Belsen war und ist ein Teil meines Lebens und als ich älter wurde, ist mir dies viel klarer geworden. Als Kind habe ich dessen Wichtigkeit nicht geschätzt und mich auf den sofortigen Verlust meines Vaters, Bruders und 19 anderer Mitglieder meiner Familie konzentriert. Als ich erwachsen wurde, habe ich das Böse verstanden und die Wichtigkeit, dagegen zu kämpfen.

Was ist Ihnen dadurch besonders wichtig geworden?
Ich spüre, dass meine Zeit in Bergen-Belsen mir Stärke und Entschlossenheit gegeben hat zu versuchen, die Menschheit zu verstehen. Das ist der Grund, warum ich Arzt geworden bin.

Die Gedenkveranstaltung musste abgesagt werden, hoffen Sie, dass so eine Feier nachgeholt wird?
Ja, ich hoffe sehr, dass die Gedenkfeier nächstes Jahr stattfinden wird. Das wäre eine Wiedergutmachung für die Organisatoren.

Herr Lantos, sind Sie verheiratet, haben Sie Kinder und Enkel? Haben Sie Ihren 80. Geburtstag schon gefeiert?
Nein, ich bin nicht verheiratet und habe keine nahe Verwandtschaft. Ich feiere meinen Geburtstag nie als Fest, aber der Sohn eines engen Freundes hat einen großartigen Abend organisiert an meinem 80. Geburtstag.

Was wünschen Sie sich?
Noch ein bisschen länger zu leben...