1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wolmirstedt
  6. >
  7. Tonscherben und leere Kirchen

Coronavirus Tonscherben und leere Kirchen

Gottesdienste in Corona-Zeiten? Gibt es in Wolmirstedt nicht. Was macht das mit Gemeinden, wenn die Zusammenkünfte fehlen?

Von Gudrun Billowie 28.04.2020, 01:01

Wolmirstedt l Die Kirchen sind offen. Wer eine stille Andacht halten, beten möchte, darf hinein. Gottesdienste gibt es nicht. Wer Glück hat, hört Musik. Reicht das?

„Der Kontakt zu den anderen fehlt mir sehr“, gesteht Giesela Wankmüller. Sie ist im Alltagsleben der Katharinenkirche sehr aktiv, gehört zum Gemeindekirchenrat. Zurzeit gibt es keine Sonntagsgottesdienste, keine Seniorenkreise, keine Proben der fast hundert Jahre alten Kantorei. Was hält das Kirchengemeindeleben aufrecht? „Wir telefonieren sehr viel“, sagt Giesela Wankmüller, „außerdem schaue ich mir gerne die Online-Andachten an“. Manchmal sogar zweimal. „Dann fühle ich mich weniger alleine.“

Solche Andachten halten im Wechsel die Pfarrerinnen und Pfarrer des Kirchenkreises Haldensleben-Wolmirstedt, auch Ina Lambert, Pfarrerin der Katharinenkirche. Sie arbeitet derzeit im Homeoffice, teilt sich mit Ehemann und Gemeindepädagogen Sven Lambert die Arbeit und die Betreuung beider Söhne. Auch Pfarrer müssen sich an andere Kontaktformen gewöhnen, das persönliche Gespräch muss derzeit auf der Strecke bleiben.

„Wir telefonieren, schreiben Postkarten. Die werfen wir dann beim Spazierengehen mit den Kindern in die Briefkästen.“ Zunächst bekommen die ältesten Gemeindemitglieder Karten, dann arbeitet sie sich zu den jüngeren vor. „Irgendwo musste ich anfangen“, erklärt Ina Lambert. Zur Kirchengemeinde zählen gut eintausend Mitglieder. Dass Gottesdienste im Zuge der Corona-Krise nicht erlaubt sind, sieht sie als sinnvoll an. „Es kommen ja gerade viele ältere Menschen, die zur Risikogruppe zählen.“

Die Kontaktsperre wegen der Corona-Pandemie bedeutet auch, dass zu Geburtstagen nicht mehr persönlich gratuliert wird. Vergessen werde trotzdem niemand. Unter dem Dach der Wolmirstedter Katharinenkirche kümmern sich besonders Margot Thoms, Elisabeth Ruddies, Marianne Kiel und Christiane Fostitsch um die Jubilare. Ina Lambert weiß: „Sie rufen die Geburtstagskinder an und stellen ein kleines Präsent vor die Tür.“

Am Sonntag läuteten die Kirchenglocken, so wie jenseits der Corona-Zeiten. Sie riefen zum Gottesdienst, doch den gab es nicht. Dafür offene Türen in der Kirche. Einige wenige wagten sich hinein, fanden in großem Abstand zueinander Platz, zogen trotzdem einen Schutz vor Mund und Nase. Kantorin Stefanie Schneider spielte Orgel, so wie zu jedem Sonntagsgottesdienst. Und trotzdem. Giesela Wankmüller spricht für viele: „Es fehlt das miteinander Reden.“

Das bestätigt auch Renate Wolniczak. Sie und ihr Mann Jürgen gehören zur katholischen Gemeinde „St. Josef“. Auch sie sehen sich Gottesdienste im Fernsehen an. „Das tröstet. Trotzdem vermisse ich die Gespräche, das Gefühl, dass alle mit im Boot sitzen.“

Das sei gerade jetzt vonnöten, denn momentan habe jeder ein paar Päckchen mehr als sonst zu tragen. Vor allem der fehlende Kontakt zur Familie, zu Kindern und Enkeln sei für viele schwer auszuhalten, weiß Renate Wolniczak aus eigener Erfahrung und von Telefongesprächen mit Freunden und Bekannten.

Für viele Christen, ganz gleich ob katholisch oder evangelisch, gehört der Sonntagsgottesdienst fest zum Wochenende. Das Ritual hat seinen Platz, um den vieles drumherum gebaut wird. „Das Vorkochen am Sonnabend, das Planen, damit wir Sonntag in der Kirche sein können - all das fällt derzeit weg.“

Weg fallen auch die besonderen Feste. Katholische Jugendliche hätten Kommunion gefeiert, die Pfarrei „St. Christopherus“ wollte ihr zehnjähriges Bestehen würdevoll begehen. Für die Feierstunde am kommenden Sonntag in Haldensleben war alles fest geplant.

Zur Pfarrei gehört auch die Wolmirstedter St.-Josefs-Gemeinde und auch die hatte sich gefreut. „Wir werden dieses Jubiläum anders gestalten“, sagt der katholische Pfarrer Peter Zülicke, „es werden zwei Mosaike entstehen.“ Eines aus Fotos von Gesichtern, ein zweites aus Tonscherben. Daran können sich alle Gemeindemitglieder beteiligen, ohne sich anderen zu nähern.

Für das Keramik-Mosaik steht in der St.-Josefs-Kirche ein Korb bereit, voller bunter Scherben. Wer mag, schreibt auf die Rückseite der Scherben Wünsche für die Zukunft der Pfarrei oder einen Dank. Katholiken haben auf solchen Scherben bereits für die fleißige Arbeit der Gärtner gedankt oder um Familiengeist gebeten.

Verschoben wurden auch die Konfirmationen. „Wir hoffen, dass wir sie am 27. September feiern können“, sagt die evangelische Pfarrerin Ina Lambert. Im Vorfeld der Konfirmation erhalten Jugendliche Konfirmandenunterricht, wachsen dabei mit der Zeit zu einer Gemeinschaft zusammen. Gekrönt wird die Zeit vor der Konfirmation durch eine fünftägige Reise. Im vergangenen Jahr führte sie in den Harz, in diesem Jahr ist sie wegen Corona abgesagt.

Für Pfarrerin Ina Lambert gibt es zurzeit noch eine Ausnahme, einen Anlass, bei dem sie an persönlicher Begegnung festhält: das Trauergespräch. Gewöhnlich besucht sie die Menschen dafür zu Hause, weil sie sich da am wohlsten fühlen. Das vermeidet sie in der Corona-Zeit, trotzdem möchte die Pfarrerin in so einer Situation nicht auf das Telefon zurückgreifen. Derzeit trifft sie sich mit Hinterbliebenen in der Kirche oder zum Spaziergang, es werden Begegnungen, auch wenn mit viel Raum dazwischen.

Wie sieht die Zukunft in den Kirchen aus, was geht, wenn Gottesdienste wieder sein dürfen? Ina Lambert hat noch keine rechte Vorstellung davon, hat eine Menge Fragen und noch keine Antworten parat. Wird es Gottesdienste mit Mundschutz geben? Wie soll auf Abstand und mit Mund- und Nasenschutz gesungen werden? Und: Ist so ein Gottesdienst dann schön?