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Landkreis Börde Vom Gutshof zum Dorfmittelpunkt

Das Gutshaus der Familie Oehlmann in Meitzendorf gibt es nicht mehr, der Hof mit seiner für die Börde typischen Toreinfahrt aber schon.

Von Sebastian Pötzsch 15.01.2021, 00:01

Meitzendorf l Den Menschen der Region ist er als „Alter Schulhof“ in der Langen Straße bekannt. Margarete Berner vom Heimatverein „Geschichtskreis Meitzendorf“ erinnert an die Geschichte des heutigen Ortsteilzentrums.Stolz klingt mit, wenn Margarete Berner über die Geschichte des „Alten Schulhofs“ und weitere historischer Begebenheiten in Meitzendorf berichtet. Zumal etliche Details auch Eingang in einen Roman fanden. So hat Autorin Renate Ursula Vorster, im Jahr 1933 als Renate Ursula Heinrichsen in Magdeburg geboren, in ihrem Buch die „Sektpulle“ kleine amüsante Geschichten in Text und Bild aus ihren eigenen Erlebnissen aufleben lassen - darunter auch Erinnerungen an ihre Zeit in Meitzendorf. Das Werk erschien im Jahr 2014.

„Ihr Vater wurde im Jahr 1914 als Soldat eingezogen, kam 1918 aus dem Krieg, begann dann ein Medizinstudium bestand sein Examen und machte auch eine Facharztausbildung“, berichtet Margarete Berner aus dem Roman. Anschließend habe er eine internistische Facharztpraxis am Kaiser-Wilhelm-Platz in Magdeburg eröffnet und kaufte im Jahr 1938 ein Eckhaus in der Königsstraße, welches die Familie fortan „Sektpulle“ nannte.

„Am 16. Januar 1945 hat sich das Leben der Familie Heinrichsen grundlegend geändert. Innerhalb von 45 Minuten wurde das Haus im Bombenangriff zerstört“, erzählt die Heimatfreundin weiter. Deshalb seien die Heinrichsen nach Meitzendorf gezogen und auf dem Hof der Familie Oehlmann untergekommen. Zwischen beiden Familien habe eine enge Freundschaft bestanden. „Der Ehemann von Käthe Oehlmann, Herrmann, war Patient des Arztes Heinrichsen, verstarb aber“, berichtet Margarete Berner. In ihrem Buch hat Renate Ursula Vorster eine ganze Reihe weiterer Erinnerungen an ihre Zeit auf dem Gutshof der Oehlmanns in Meitzendorf veröffentlicht. So habe die Bewirtschaftung des Gutes der Verwalter Roth mit fester Hand geführt. Viele Menschen hätten auf dem Hof in Lohn und Brot gestanden, so unter anderem der Kutscher Herrmann und seine Frau, ein Stellmacher, ein Schmied sowie ein Schweizer für den Kuhstall. „Nach dem Krieg wurde die Arbeit für das Vieh von den Einheimischen übernommen. Russische und polnische Gefangene hatten den Ort verlassen“, erzählt Margarete Berner.

Der Gutshof wurde im Jahr 1802 erbaut und über die Jahre zu einem Vierseitenhof mit Gutshaus, Wohnhaus für Angestellte sowie mehreren Stall- und Wirtschaftsgebäuden entwickelt. Herrmann Oehlmann war der letzte Besitzer des Gutes mit rund 135 Hektar Land. „Mit der Bodenreform 1945 wurde die Familie enteignet, da die Gesamtgröße seines Landwirtschaftsbetriebes über 100 Hektar betrug“, führt Margarete Berner aus. In dem Wohnhaus mit Stallanlage, der heutigen Heimatstube, ist danach eine sogenannte Neubauernwirtschaft eingerichtet worden. In der Einrichtung der Neubauernstellen bündelten sich staatliche Bemühungen um die Integration der aus Mittel- und Osteuropa vertriebenen, überwiegend auf dem Land lebenden, Umsiedler und die Durchsetzung sozialistischer Reformen.

Das Gutshaus direkt an der Straße wurde im Jahr 1953 zur Schule umgenutzt. Sie trug den Namen Adolf Hennecke, der als Bergmann Namensgeber der Hennecke-Aktivistenbewegung in der DDR war. „Bis 1983 war die Schule in Betrieb. Danach wurde sie als Wohnhaus genutzt“, erinnert sich die Meitzendorferin. Im Jahr 2013 fiel das Gebäude der Abrissbirne zum Opfer. Über mehrere Jahre sei vergeblich ein Kaufinteressent für das Objekt gesucht worden. Eine Sanierung durch die Gemeinde kam wirtschaftlich wegen der hohen Umbaukosten nicht infrage. Die Ortschaft wollte das ehemalige Stall- und Wirtschaftsgebäude, in dem sich bereits seit der politischen Wende im Jahr 1989 der Kids- und Jugendclub befindet, sanieren. Im Jahr 2011 wurden Mittel aus dem Förderprogramm „Dorferneuerung“ beantragt, nachdem zuvor ein Nutzungskonzept erstellt worden war. Ziel war es, das Nebengebäude auszubauen und den Hof mit Freiflächen neu zu gestalten. „Wichtig war auch, für den im Ort ansässigen Fleischer neue Räume zu schaffen, damit die Versorgung für die Meitzendorfer und die Arbeitsplätze weiter sichergestellt wurden“, sagt das Vereinsmitglied des „Geschichtskreises“. Außerdem sollten in dem künftigen Ortsteilzentrum neben dem Jugendclub die Ortschaftsbibliothek und die Heimatstube untergebracht werden. Margarete Berner: „Diese Wünsche konnten mit dem Beginn der Baumaßnahmen im Jahr 2012 umgesetzt werden.“

Am 21. September 2013 wurde das Ortsteilzentrum im Rahmen eines Heimatfestes eingeweiht und erhielt den Namen „Alter Schulhof“. Die Hoffläche bietet seither 25 Parkplätze und wird für Feste der Ortschaft und der Vereine wie den Weihnachtsmarkt genutzt. Dafür wurden im Erdgeschoss Sanitäreinrichtungen und eine Teeküche barrierefrei eingerichtet.

Und was wurde aus Familie Heinrichsen? Zur Tochter und Schiftstellerin Ursula Renate Vorster haben die Mitglieder des „Geschichtskreis Meitzendorf“ nach Erscheinen des Buches regen Kontakt gepflegt. Dabei hat es laut Vereinsvorsitzender Bärbel Kriege einen „regelmäßigen Austausch gegeben“, auch seien Meitzendorfer Erinnerungen ausgetauscht worden.

Während der Zeit, in der die Familie Heinrichsen in Meitzendorf lebte, arbeitete der Vater als Internist in Haldensleben. Die Strecke soll er tagtäglich mit seinem Farad bewältigt haben. So zumindest hat es Ursula Renate Vorster in ihrem Buch beschrieben. Hier berichtet sie auch über Erlebnisse ihres Vaters mit der russischen Besatzung und deutschen Gefangenen in den Kellern der GPU, der sowjetischen Geheimpolizei.

„Dann wurde Heinrichsen vom Magdeburger Stadtarzt gebeten, die ‚Pfeifferschen Stiftungen‘ zu übernehmen. Es kam zu einer ‚fluchtartigen Übersiedlung in die ‚riesige neue Wohnung‘“, erzählt Margarete Berner weiter aus dem Buch. Freundin Lisa Oehlmann war zunächst in Meitzendorf geblieben, stand jedoch weiterhin mit den Heinrichsen in Verbindung und zog dann doch zur befreundeten Familie nach Magdeburg. An der Elbe habe sie Russisch-Unterricht genommen, um als Dolmetscherin zu arbeiten.

Bereits in den Jahren 1946 und 1947 sei Vater Heinrichsen ständig nach Halle beordert worden, „um gegenüber russischen Ärzten Rede und Antwort zu stehen. Im Vorzimmer traf er eine ehemalige Patientin, die ihm riet, so schnell wie möglich zu verschwinden.“ Danach sei die gesamte Familie ins hessische Wiesbaden gezogen. Erst nach dem Mauerfall in Deutschland durfte die Autorin gemeinsam mit Ehemann Claus und ihren Kindern Hans-Heinrichsen und Claudia wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Der Kontakt zwischen der Autorin und den Mitstreiterin des Geschichtskreises bestehen indes heute nicht mehr. „Leider ist der Kontakt abgebrochen. Sie war nicht mehr zu erreichen. Warum, wissen wir nicht“, erklärt Vereinschefin Bärbel Kriege. Zuletzt wohnte Renate Ursula Vorster in Hannover.