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Medizin früher Von Hausmitteln und Hebammen

Einen Ausflug in die Geschichte der medizinischen Versorgung im Ort haben die Mitglieder des Barleber Heimatvereins geboten.

Von Sebastian Pötzsch 10.10.2020, 01:01

Barleben l Der Sommer ist vorbei, dennoch schafft es die Septembersonne mit ihren Strahlen das Land zu erwärmen. Doch scheint in dem kleinen Dorf Bartensleben südlich des großen und einflussreichen Magadoburg an der Elbe das Leben wie ausgestorben. Hin und wieder wiehert ein Pferd oder es quiekt ein Schwein – entweder vor Hunger oder weil es zur Schlachtbank geführt wird.

Der schwarze Tod hat das Land fest in seinem Griff, Hunger droht. Wieder ist ein Nachbar gestorben. Dieses Mal hat Gott die arme Greta Düfel zu sich geholt. Erst kam das Fieber, dann verbreiteten sich dunkle Beulen an ihrem gesamten Körper. Die Pest hat sie dahingerafft. Hans Holten – auf seinem Hofe lebte die Frau – hat sie gerade in heiliger Erde an der Dorfkirche begraben. „Ist Gottes Strafe über uns gekommen?“, fragt sich der Pfarrer, bevor er am Abend mit Federkiel und Tinte seine Erinnerungen auf das handgeschöpfte Papier seiner Kirchenchronik kratzen wird.

So oder so ähnlich könnte es sich zugetragen haben an einem Tag im September des Jahres 1682. Davon berichtet die Dorfchronik, wenn auch nicht im Detail. So ist dort zu lesen, dass in Barleben bereits um 1350 der „schwarze Tod“ wütete. Dem großen Sterben gesellten sich Hungersnöte hinzu. Besonders schlimm soll es in den Jahren um 1402 und 1632 gewesen sein. Und in den Pestjahren 1681 und 1682 starben 42 Dorfbewohner, darunter Greta Düfel.

45 Gäste hören gespannt zu, was Annemarie Keindorff, Vorsitzende des örtlichen Heimatvereins, über den Beginn der Medizingeschichte in Barleben zu erzählen hat. Die Gäste foltgen damit einer Einladung zur Veranstaltung „Gesundheit auf dem Lande – eine Zeitreise“ im Mehrgenerationenzentrum.

Schon vor Monaten hatten die Heimatfreunde Bürger von Barleben dazu aufgerufen, nach Fakten, Schriftstücken, Fotos und Anekdoten zu suchen und sich an dem Projekt zu beteiligen. Zusammengekommen ist Material für mehr als einen Abend sowie eine kleine Ausstellung zu diesem Thema.

Bereits am Einlass war Stimmung aufgekommen. Hier hatten sich Ingrid Gartz, Eckardt Frase, Kerstin Dünnhaupt und Anneliese Meyer postiert, um die Gäste zu empfangen  – passend im Arztkittel oder Schwestern-Outfit. Für jeden Ankömmling gab es eine alkoholhaltige Schluckimpfung. Und vor allem für Männer hatte das Empfangskomitee Döschen mit blauen Pillen parat.

Derweil führt Annemarie Keindorff mit ihrem Vortrag fort. So hat die Vereinschefin während ihrer Recherchen in der Ortschronik erfahren, dass die Kranken damals mit Heilkräutern und Hausmitteln behandelt worden waren. Kranken Menschen half dann der „Pfandemann“ mit seiner Frau. „Der Pfandemann war der Helfer der Bauermeister und Dorfschulzen“, berichtet Annemarie Keindorff weiter. Für das Mittelalter sind neun dieser Untertanen in Barleben überliefert. Der erste nachweislich bekannte Arzt war Caspar Theophil Michael Bieling. Er kam aus Magdeburg, hatte sich in Barleben um das Jahr 1684 niedergelassen und ein Ackergut besessen.

Eine weitere Geschichte hat Elisabeth Oelze zu erzählen, nämlich die von Ursula Thielepape. „Das war eine Persönlichkeit in Barleben. Die Frau Doktor kannte jeder“, führt die Barleberin aus. Die Praktische Ärztin sei von 1941 bis 1958 hier tätig gewesen. „Sie hat ihren Beruf mit sehr großer Leidenschaft und großem Einsatz ausgeübt“, erzählt Elisabeth Oelze aus eigenen Erinnerungen.

Leicht sei es für die Ärztin nicht gewesen, das Vertrauen der Barleber zu erlangen, „zumal sie ledig war und eine kleine Tochter hatte.“ Doch mit der Zeit kamen die Patienten in ihre Sprechstunde im Haus von Zahnarzt Richert im Breiteweg. Das Gebäude befand sich gegenüber der alten Schule. Heute bietet dort ein Einkaufsmarkt seine Waren an. Laut der Rednerin praktizierte die Ärztin bis ins Jahr 1945 im Breiteweg. Allerdings musste sie ihre Räume verlassen, da das Gebäude nach Kriegsende beschlagnahmt wurde. Danach sei bei Familie Stieger in der Ziegelei untergekommen. Für ihre Praxis wurde ein Raum im ersten Stock der alten Schule gegenüber der Kirche freigeräumt. Die Bänke seien einfach gestapelt worden, die Patienten mussten auf der Treppe warten.

Nach 1946 wurde eine neue Bleibe mit Wohnung und Praxis in der Südstraße 6 gefunden. „Morgens wurde die Sprechstunde abgehalten und nachmittags ging es mit dem Fahrrad auf Hausbesuche“, erzählt Elisabeth Oelze weiter. Patienten hätten immer wieder angehalten und um Rezepte gebeten, die sie dann auch erhielten. „Natürlich kannte sie auch manche Leute, die sich krankschreiben ließen und nicht so krank waren. Auf Nachfrage ihrer Tochter, ob sie denn am Wochenende tanzen waren und dieses bejahten, gab es beim nächsten Arztbesuch nur zur Antwort: ‚Auf zur Arbeit’“.

Montags sei die Sprechstunde bei der „Doktorschen“, wie sie im Ort genannt wurde, am vollsten gewesen. „So kam ein Patient und klagte über Schmerzen im Fuß“, beginnt die Barleberin ihre nächste Anekdote über Ursula Thielepape. Als der Mann untersucht war, sollte er auch den anderen Fuß freimachen und den Strumpf ausziehen. „Nee Frau Doktor, den habe ich nicht gewaschen“, soll der Patient geantwortet haben.

Ihr Beruf sei das A und O in ihrem Leben gewesen. „Die Aufgaben hat sie mit ganzem Herzen erledigt und das bei Tag und Nacht und bei Wind und Wetter“, erinnert sich Elisabeth Oelze.

Nachdem sie im Jahr 1958 die DDR verlassen hat, fand sie nach einigen Umwegen eine Praxis in Bad Grund im Harz. Als Rentnerin zog sie dann nach Hannover – der Kinder und Enkelkinder wegen. Hier lebte Ursula Thielepape bis zum Jahr 2000, wo sie mit 92 Jahren verstarb.

„Einige meiner Informationen habe ich von ihrer Tochter Rosemarie Gauditz erhalten“, erklärt die Rednerin im Anschluss an die Veranstaltung. Mit ihrer früheren Freundin steht sie nämlich bis heute in Kontakt.

Interessante Fakten und Anekdoten erfahren die Zuhörer im weiteren Verlauf der Veranstaltung, so auch über Doktor Schuppe, der von 1925 bis 1957 als Landarzt in Barleben praktizierte, sowie von Sanitätsarzt Hans-Joachim Linke. Außerdem verfolgen die Gäste Geschichten über die Hebamme Minna Bührig, die bis 1963 etwa 3450 Frauen unterstützte.

Nach etwa zwei Stunden ist die Zeitreise durch die Medizingeschichte Barlebens beendet. Annemarie Keindorff zeigt sich begeistert von der Resonanz. „Viele Gäste haben sich die Ausstellung angeschaut und berichteten aus ihren eigenen Erinnerungen. Ich denke, wir haben beim nächsten Mal noch viel mehr zu erzählen.“ Tatsächlich ist wegen der großen Resonanz ein weiterer Termin eingeplant. Dieser soll in der kommenden Woche bekannt gegeben werden.