Parkour Mauern sind Sportgeräte

Vier Jungs haben Wolmirstedt als Sportplatz entdeckt. Sie haben sich der Sportart Parkour verschrieben.

Von Gudrun Billowie 02.06.2016, 01:01

Wolmirstedt l Bash Alkurdi tastet den Boden vor der Giebelseite der Schlosskapelle ab. Die Glasscherben, die er im Gras entdeckt, räumt er beiseite. Ob er alle erwischt hat? Bash ist nicht sicher. Deshalb werden Philipp Holze, Dennis Grabow und Achmed Alkurdi nicht von dieser Mauer springen. Jedenfalls nicht so, wie es sich für Parkour-Künstler geziemt. „Beim Parkour geht es auch um das richtige Landen und Abrollen“, erklärt Philipp Holze. Wenn sich dabei Glasscherben in Schulter und Rücken bohren, kann das zu bösen Wunden führen. „Wir sind sehr vorsichtig“, sagt Dennis Grabow. Die vier Sportler wissen, die Verletzungsgefahr beim Parkour ist sehr hoch. Noch höher schlägt jedoch das Pendel fürs Glücksgefühl aus.

Bash Alkurdi ist der Freerunner unter den vier Sportlern. Das heißt, er hat sich auf Sprünge und Saltos spezialisiert. Er will nicht nur effizient von A nach B kommen, sondern auch kunstvoll. Scheinbar mühelos beherrscht er Drehungen in der Luft. Er steht konzentriert auf der Mauer vor der Kapelle, setzt zum Salto an, springt, überschlägt sich rückwärts hoch über dem Boden und landet auf den Füßen. Seine Schuhsohlen schützen vor Glasscherben. Einen ebensolchen Salto hat er schon auf dem Burgberg geschafft, allerdings ohne Mauer, nur mit Hilfe eines großen Steins, der als eine Art Sprungbrett diente.

Bash Alkurdi (20) hat diesen Sport vor etwa einem Jahr für sich entdeckt. Sein Bruder Achmed (15) folgt seinem Vorbild, hält sich aber beim Freerunning, also den Saltos, zurück und perfektioniert vorerst das Überwinden von Hindernissen. „Unsere Eltern sagen, wir sollen es nicht tun, wenn sie dabei sind“, schmunzelt Bash. Zu groß wäre die Sorge, dass den Jungs etwas passiert. Die Familie ist vor zwei Jahren aus Syrien hierher gekommen. Bash und Achmed besuchen die Leibniz-Schule. Bash hat gerade die schriftlichen Prüfungen für den Hauptschulabschluss bestanden. Auch dabei will Achmed ihm folgen.

Philipp Holze (20) und Dennis Grabow (23) widmen sich dem Parkour-Sport schon länger. Sie haben die Gutenberg-Schule besucht und als Attraktion eines Schulfestes waren Parkour-Künstler aufgetreten. Prompt wurden sie infiziert. „Wir haben vor allem zu Hause im Garten geübt“, erzählt Philipp, der gerade eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Ebenso wie Dennis, der einmal Koch werden wollte, träumt er davon, dass Parkour ein Beruf werden könnte.

Die Chancen dafür stehen vermutlich nicht wirklich sehr hoch. Nützlich können Körperbeherrschung, Sprungkraft und ausgeprägtes Balancegefühl dennoch sein. Eines Nachmittags, als die Jungs wieder einmal im öffentlichen Raum trainierten, habe eine Frau nach ihnen gerufen. „Wir wollten erst wegrennen“, grinst Philipp Holze, „wir hatten mit Ärger gerechnet.“ Aber die Frau blieb hartnäckig, so als wolle sie dringend mit ihnen sprechen. „Sie hatte sich ausgesperrt und hat uns gefragt, ob wir über die Mauer in ihren Garten springen können.“ Sie konnten. Von innen haben sie dann die Haustür geöffnet und die Frau wieder ins Haus gelassen. „Zum Dank dürfen wir immer in ihrem Garten üben“, sagt Dennis.

Die Vier sind hin und wieder in der Stadt zu erleben. „Manchmal klatschen die Leute Beifall“, sagt Bash. Aber sie gehören auch zum OK-Live-Ensemble. Zusammen mit den Stuhlartisten „Artist of chair“ und der Trampolingruppe sind sie am Sonntagnachmittag, 19. Juni, beim Stadtfest auf der Freilichtbühne zu sehen. Das Trampolin gehört zu ihren Lieblings-Trainigselementen. „Am allerbesten wäre es, wenn es in Wolmirstedt eine Trampolinhalle gäbe.“ Philipp Holze schmunzelt. Dann packen die Vier ihre Sachen zusammen. An der nächsten Mauer setzen sie wieder zum Sprung an.