1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wolmirstedt
  6. >
  7. Barleber Ilse-Glocke schwebt vom Turm

Sanierung Barleber Ilse-Glocke schwebt vom Turm

Die Ilse-Glocke der Barleber Kirche St. Peter und Paul wurde aus dem Kirchturm gehoben. Sie hat 95 Jahre lang ihren Dienst getan.

Von Gudrun Billowie 05.02.2018, 11:00

Barleben l Die verbliebenen Glocken läuteten. Ihr Klang verabschiedete die Ilse-Glocke aus dem Turm der Barleber Kirche St. Peter und Paul. Sie wurde behutsam mit Hilfe eines Krans aus der Turmhaube gehoben und schwebte an dessen Seil bedächtig zur Erde herab.

Viele Barleber hatten sich auf dem Kirchhof und in der Kirchstraße versammelt und gaben dieser Stahlglocke, die zusammen mit ihrem Joch 2,9 Tonnen wiegt, das letzte Geleit. Ihr Geläut hat viele von ihnen ein ganzes Leben begleitet. 95 Jahre lang hat sie zum Gebet gerufen, erklang bei Hochzeiten oder zum Abschied, läutete in Zeiten des Friedens und hat auch den Krieg überdauert.

„Ich bin sehr traurig“, gesteht Bärbel Lüder und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Für die Barleberin und ihren Bruder Volker Spoer gehört die Ilse-Glocke zur Familiengeschichte. Sie erinnert an Ilse Spoer, die ihre Tante gewesen wäre. Doch sie haben diese Tante niemals kennengelernt. Ilse Spoer wurde nur 13 Jahre alt, starb am 31. Oktober 1919. Noch heute erinnert auf dem Familiengrab eine Statue an dieses Mädchen.

Ilse Spoer entstammte der Schokoladenfabrikantenfamilie des Dorfes und im Andenken an ihre Tochter stifteten Heinrich und Elisabeth Spoer im Jahr 1922 diese stählerne Glocke. Sie wurde im selben Jahr zu Ostern vom damaligen Pfarrer Leppin geweiht.

Lange läutete sie zur Todesstunde der Ilse Spoer, immer am 31. Oktober um 17 Uhr. Bis 1974. Warum sie danach nicht mehr zu dieser Stunde erklang, erklärt der Barleber Karl-Heinz Reinhardt in seinem Buch über Barleben so: „Weil zu damaliger Zeit der Reformationstag nicht mehr als Feiertag anerkannt wurde und daher der Festgottesdienst in die Abendstunden verlegt werden musste, verzichtete man auf das 17-Uhr-Geläut, um die Gottesdienstbesucher nicht zu irritieren.“

Zu hören war die Ilse-Spoer-Glocke dennoch, zu Hochzeiten, Feiertagen oder wenn jemandem das letzte Geleit gegeben wurde. Eine Zeit lang erklang sie sogar als einzige Glocke des Barleber Kirchturms. Die anderen beiden waren aus Bronze gegossen und wurden im zweiten Weltkrieg beschlagnahmt, sollten zu Kriegsmaterial eingeschmolzen werden. „Zeitzeugen von damals erinnern sich noch daran, wie mittels Flaschenzug die Glocken vom Kirchturm herabgelassen wurden“, erzählt Pfarrer Johannes Könitz. Lediglich die stählerne Ilse-Glocke eignete sich für die Rüstungsindustrie nicht und durfte in Barleben bleiben.

Doch auch die große Barleber Bronzeglocke kehrte schließlich unbeschadet zurück. Sie wurde 1950 auf dem Hamburger Glockenfriedhof entdeckt, anhand ihrer Inschrift identifiziert, zurückgeholt und wieder in den Kirchturm gehängt.

Auch auf dem Platz der stählernen Ilse-Glocke hing zuvor eine Glocke aus Bronze. Die wurde bereits im ersten Weltkrieg eingeschmolzen, war 1917 vom Kirchturm geholt worden. Eine Inschrift auf der Ilse-Glocke erinnert an das Schicksal der wohl zur Kanone gewordenen Vorgängerin: „Die vor mir hier zur Ehre Gottes sang, musst in der Weltkriegsnot ihr Dasein enden. Gott helfe gnädig, dass bei meinem Klang, sich viele Herzen wieder zu ihm wenden.“

Die Ilse-Glocke läutete über 95 Jahre lang, von Ostern 1922 bis zum 14. Januar 2018. An jenem Sonntag rief sie zum letzten Mal zum Gottesdienst. Nun ist ihre Zeit im Turm endgültig abgelaufen. Am Freitag, 2. Februar 2018, kurz nach 12 Uhr in der Mittagszeit, wurde sie aus der Turmhaube gehoben und zur Erde herabgelassen. „Gut, dass wir sie heil aus dem Dienst nehmen“, konstatierte Pfarrer Johannes Könitz. Die Ilse-Glocke scheint unversehrt, das ist nicht selbstverständlich. Stahlglocken haben nur eine Lebensdauer von 70 oder 80 Jahren, dann bilden sich feine Haarrisse. Offenbar wurden keine entdeckt, dennoch wird sie auf Anraten von Experten sicherheitshalber in den Ruhestand versetzt und bekommt in der Kirche einen Platz für die Ewigkeit.

Derweil werden die Arbeiten in der Turmhaube fortgesetzt. Die Tragbalken müssen ersetzt werden und irgendwann soll dort auch der Platz der Ilse-Glocke wieder besetzt sein. Die Kirchengemeinde wird sich um die nötigen Gelder bemühen.