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Hauptschulabschluss Neustart in der Mitte des Lebens

Sieben Zerbster nutzten die Chance und legten im Erwachsenenalter die notwendigen Prüfungen für den Hauptschulabschluss ab.

Von Katrin Wurm 10.07.2015, 17:33

Zerbst l Die meisten Jugendlichen sind 16 oder 17 Jahre alt, wenn sie ihren Abschluss in der Tasche haben. Irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsenenalter müssen sie sich für ihre Zukunft entscheiden, eine Ausbildung machen oder ein Studium absolvieren. Doch nicht bei jedem verläuft das Leben so geradlinig und sind die Umstände so einfach.

Sieben Erwachsene aus Zerbst haben sich und dem Leben eine zweite Chance gegeben und ihren Hauptschulabschluss nachgeholt. Zehn Monate haben sie dafür gepaukt und geschwitzt. Nun halten fünf von ihnen die Zeugnisse voller Stolz in ihren Händen und blicken zuversichtlich in die Zukunft. Warum erst so spät?, fragen Außenstehende oft. Christoph Schlee aus Zerbst wird konkret und sagt selbstkritisch: „Ich war als Kind und Jugendlicher ein schwerer Fall.“ Erst durch seine Frau und durch seinen Sohn habe er erkannt, dass er etwas an seinem Leben ändern müsse. Vor allem eine Situation stellte den Wendepunkt dar. „Ich saß mit meinem Sohn am Tisch und fragte ihn, was er mal werden will. Er sagte mir: ‚Papa, ich brauch‘ nicht arbeiten gehen. Du gehst ja auch nicht arbeiten.‘ In dem Moment wusste ich, dass es so nicht weiter gehen kann und ich meinem Sohn ein gutes Vorbild seien will.“ Der 28-jährige Christoph Schlee strahlt über beide Ohren und ist stolz, nun diese Vorbildrolle für seinen Sohn Johnny einnehmen zu können.Ab September macht er eine Umschulung zum Tischler und arbeitet damit in seinem Traumberuf. „Mit Holz konnte ich schon immer gut“, sagt er voller Vorfreude. Und auch sein Sohn wisse schon, was er mal machen will. „Der Kleine will Feuerwehrmann werden“, sagt der 28-Jährige lächelnd.

Auch für Nadine Wiedner hat sich mit dem Abschluss viel geändert. Die 38-Jährige blickt einer Festanstellung in einem Fotostudio entgegen. „Ich freue mich so darauf. Fotografie ist ein sehr spannendes Thema.“ Die Mutter eines siebenjährigen Sohnes ist Scheidungskind und in ihrer Kindheit oft umgezogen. „Es waren die familiären Umstände, die dazu führten, dass ich keinen Abschluss gemacht habe“, berichtet sie. „Als ich davon hörte, dass es auch für Erwachsene die Möglichkeit gibt, einen Abschluss nachzuholen, habe ich nicht lange überlegt“, sagt sie weiter. In den vergangenen Monaten hat sie oft zusammen mit ihrem Sohn Noah gelernt. Das dieser Einsatz sich gelohnt hat, zeigt Nadine Wiedners Zeugnis. Es gehört zu den besten des Jahrganges. „Mein Sohn geht in die zweite Klasse und hat gerade sein erstes Buch gelesen. Ich bin so stolz auf ihn und er auch auf mich“, erzählt sie freudestrahlend.

„Das Leben ist wertvoll, aber es muss auch mit Inhalten gefüllt werden, sonst macht das Leben keinen Spaß. Bildung ist dafür eine Voraussetzung“, so Ciervisti-Schuldirektor Franz Köppe. Er überreichte gemeinsam mit Maßnahmen-Koordinatorin Tina Maschke von der federführenden Fortbildungsakademie die Zeugnisse. Die Ciervisti-Schule stand als ein Kooperationspartner der Maßnahme bereit und unterstützte zum Beispiel bei den Prüfungen. Als weiterer zuverlässiger Partner habe sich das Jobcenter – Kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts für Beschäftigung und Arbeit des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, kurz KomBA-Abi, gezeigt, erklärt Maschke.

Mit dem Jahrgang in Zerbst fand für die Stadt eine Premiere statt. „Gern würden wir im September eine neue Maßnahme hier in Zerbst beginnen und nehmen auch noch Anmeldungen entgegen“, informiert Tina Maschke.

Übrigens: Im vergangenem Jahr hatten 15 Teilnehmer mit der Maßnahme in Zerbst begonnen. Am Ende schafften fünf den Abschluss, zwei Teilnehmer wiederholen jeweils eine Prüfung, um dann auch ihr Abschlusszeugnis in der Tasche zu haben. Die restlichen Teilnehmer haben nach einigen Wochen das Handtuch geschmissen. „Das einige aufgeben, haben wir immer wieder. Aber wir lassen niemanden im Stich und helfen, wo wir können“, so Tina Maschke, die eine solche Maßnahme schon in Dessau begleitete und es sich zum Beispiel auch für Köthen vorstellen kann.

Von den sieben Übriggebliebenen habe so gut wie jeder eine berufliche Perspektive vor sich. Einige absolvieren eine Ausbildung, andere machen eine Umschulung. Und alle sind sich einig: Jetzt geht das Leben noch einmal von vorn los.