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Gute Bewerber für Lehrstellen zu finden, wird für Zerbster Unternehmen zunehmend schwieriger Das Problem des Fachkräftemangels bleibt bestehen

Von Matthias Pöls 05.08.2010, 05:48

Im Bereich Dessau-Roßlau sind noch 328 Stellen unbesetzt. 50 Lehrlinge werden im Bereich Zerbst gesucht – in fast allen Berufen – vom Gebäudereiniger bis zur Fachkraft für Lagerlogistik. Diese Zahlen zum Ausbildungsmarkt hat die Agentur für Arbeit am Donnerstag veröffentlicht. Vor allem die Zerbster Handwerksbetriebe beklagen den Mangel an ausreichend qualifizierten Bewerbern.

Zerbst. Die Lage scheint verwunderlich: Ende der 90er Jahre bis zum Beginn des neuen Jahrtausends gab es zu viele Bewerber für eine zu geringe Anzahl an Lehrstellen. Mittlerweile klagen die Unternehmen: Es gibt nicht genügend Bewerber. Renée Ramm, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Dessau-Roßlau, stellt fest, dass die niedrigeren Geburtenraten seit 1989 und die daraus resultierende Halbierung der Schulabsolventen gegenüber dem Jahr 2000 stark durchschlagende Faktoren sind.

Die Geschäftsführerin der Kreishandwerkhandschaft, Carmen Bau, beklagt das gleiche Problem und bemängelt zudem die schwächer werdende Qualifikation der Bewerber. Die Lücke zwischen Bildungsniveau des Bewerbers und den Anforderungen im Beruf wird größer. Das geforderte Niveau im Handwerk steigt. Mit den Änderungen der Berufsbezeichnungen wird ein breiteres Wissen vermittelt: Ein Kfz-Mechaniker ist heute ein Kfz-Mechatroniker – eine Kombination aus Mechaniker und Elektroniker. Selbst in dem Männerberuf schlechthin sind zwei Stellen vakant.

Der Zerbster Bäcker Marco Handrich hat in diesem Jahr erst gar keinen Lehrling gefunden und sich stattdessen auf die Suche nach einem Gesellen begeben: "Die Bewerbungen haben nicht gepasst. Es ist sogar schwer jemanden zu finden, der bereits ausgebildet ist. Die Bäcker, die gut sind, sind bereits vom Markt und ich kann in meiner Branche keinem zumuten, jeden Tag aus Magdeburg oder Köthen anzureisen."

Unter dem zunehmenden Fachkräftemangel leidet ebenfalls Steinmetz Christian Keck. Für den Betrieb werden robuste Leute gesucht. Doch meist sind es die geistigen Voraussetzungen, die fehlen. Es mangelt an Motivation und der Fähigkeit, neue Aufgaben in Eigenregie zu lösen. Annette Keck: "Die Jugend treibt zu wenig Sport. Im letzten Jahr hatten wir einen Lehrling, der musste die Ausbildung aus mangelnder körperlicher Fitness abbrechen." Die Gesellen meinten nur, dass sie nicht hinschauen könnten, wenn er eine Schippe in der Hand hat.

"Wer nichts gefunden hat, ist selbst Schuld"

Nach vier Tagen war der junge Mann das erste Mal krank. "Erst wenn es zur Gründung einer Familie kommt, wird der Kopf eingeschaltet. Als werdende Väter oder Mütter müssen die jungen Menschen Verantwortung übernehmen, dann erkennen sie, wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass es dem eigenen Betrieb gut geht", schildert Keck ihre Erfahrungen. Eine einzige Bewerbung hatte ihre Firma im Jahr 2010. Es besteht die Befürchtung, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren nicht verbessern wird.

Die Gastronomie hat allein durch die außergewöhnlichen Arbeitszeiten, Probleme ihre Stellen zu besetzen. Henning Strüber vom Rephun´s Garten bildet seit 15 Jahren aus und das Niveau der Bewerber hat seitdem stetig abgenommen: "Wir versuchen die Jugendlichen gedanklich auf das Berufsleben vorzubereiten. Ich versuche, den Lehrlingen mit auf den Weg zu geben, dass die Liebe zum Beruf wichtig ist. Nur wer sich intensiv mit seinem Thema auseinandersetzt, kann später einmal wirklich gutes Geld verdienen." In Zeiten des Fachkräftemangels gilt das umso mehr. "Wer nichts gefunden hat, ist selbst schuld. Wir haben einen Jugendlichen, der fährt jeden Tag 15 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit, da er kein Auto besitzt. Für ihn habe ich eine Menge übrig", sagt Strüber. Eine besondere Gefahr sieht der Gastronom im Suchtpotenzial von manchem Jugendlichen. Auch aus diesem Grund möchte Strüber die Eltern von Beginn an kennen, um mit ihnen reagieren zu können. Defizite in der Bildung können ausgeglichen werden.

Die Agentur für Arbeit bietet kostenlosen Nachhilfeunterricht an. Voraussetzung dafür ist die Motivation des Schülers, aber bei starkem Alkohol- oder sogar Tablettenkonsum nimmt das Engagement ab.

Der IHK-Fachexperte im Bereich Ausbildung, Frank Lehmann, sieht zwei grundsätzliche Probleme. Zum einen die falsche Berufsorientierung der Bewerber, dass sie sich selbst nicht ausreichend über den zukünftigen Beruf informiert haben. Andererseits, dass mit den Leuten gearbeitet werden muss, die da sind – eine Chance für alle Suchenden. Schon bei Abschluss eines Lehrvertrages kann Unterstützung für Nachhilfe bei der Arbeitsagentur in die Wege geleitet werden.

In der vermeintlich lukrativeren Industrie ist die Lage nicht so gravierend. Die Werkzeugmaschinenfabrik Zerbst hatte rund 25 Bewerber, um zwei Azubi-Stellen zu besetzen. Der Lehrbeauftragte Holger Bustro sieht den guten Ruf der Firma als Grund für die hinreichende Auswahl an qualifizierten Leuten.

Bei der "KmB Technologie Gesellschaft für rationale Fertigung mbH" indes gab es nicht viele Bewerber, wie die Personalsachbearbeiterin Kathrin Kremzow mitteilte: "Die Schulzeugnisse und die Einstellung wird von Jahr zu Jahr schlechter." Am Ende konnten vier Ausbildungsplätze zum Zerspanungsmechaniker und zur Industriekauffrau besetzt werden.

Zum 1. September beginnen an der Krankenpflegeschule des Medigreif Krankenhauses Burg 43 Schüler und Schülerinnen eine dreijährige Ausbildung, darunter neun für das Zerbster Krankenhaus. In diesem Jahr gab es etwa 150 Bewerber, in den vorherigen Jahren waren es im Schnitt um die 400. Pressesprecher Dieter Thielemann zur Qualifikation: "Allein aus den Bewerbungsnoten lässt sich das tatsächliche Niveau nicht ableiten. Das wird erst der Unterricht zeigen. Die Erfahrungen mit den Schülern, die 2009 mit ihrer Ausbildung begonnen haben, zeigte, dass es vor allem an so grundlegenden Kenntnissen und Fähigkeiten mangelt, wie Lesekompetenz, Rechnen, Frageverständnis und dem Erkennen von Zusammenhängen."

"Es sind vor allem die weichen Faktoren, die fehlen"

Ebenfalls erfolgreich lief die Suche nach Bewerbern für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Die Kreisverwaltung hat ihre fünf Lehrlinge zum Verwaltungsfachangestellten in der Fachrichtung Kommunalverwaltung aus 166 Bewerbern auswählen können, meldet Pressesprecherin Marina Jahnke erfreut.

Alle sind sich einig, der Wille und die Motivation des Jugendlichen ist entscheidend. "Besonders weiche Faktoren wie Pünktlichkeit, Offenheit und Zupacken wollen sowie Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, fehlen", resümiert Renée Ramm.

Bis Mitte Oktober wird in manchem Betrieb noch eingestellt. Am 18. August findet eine Ausbildungsbörse in Bernburg und Köthen statt, am folgenden Tag in Dessau. Eine weitere Möglichkeit ist die 20. Gewerbefachausstellung und Berufsfindungsmesse vom 1. bis 3. Oktober im Zerbster Schlossgarten. Dort können Lehrstellensuchende direkt mit den Unternehmern in Kontakt treten.