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Neue Löschanlage schützt die Bestände der Francisceumsbibliothek bei einem Brand mit Argon Von Christopher Kissmann Francisceum: Gas bewahrt Bücher vor Schäden

25.05.2012, 03:25

Es ist eine Symbiose aus Historie und Moderne: In die alte Francisceums-Bibliothek wurde in den vergangenen Wochen eine besondere Gaslöschanlage eingebaut. Bücher und Menschen werden nun bei einem Brand optimal geschützt.

Zerbst l Petra Volger gehört in der Francisceums-Bibliothek zum Inventar. Seit 1988 ist sie Bibliothekarin, in den vergangenen 20 Jahren hat sie die Kostbarkeiten und Bücherschätze im Francisceum liebevoll gepflegt. Deshalb kennt sie in "ihrer" Bibliothek eigentlich auch fast jedes Buch und jeden Winkel, doch seit gestern ist diese um einen Schatz reicher, an den sie sich erst noch gewöhnen muss: Eine Gaslöschanlage.

"Einen so substanziellen Eingriff hat es in meiner Zeit in der Bibliothek bisher nicht gegeben", sagt Petra Volger und lächelt dabei, weil dieser Eingriff eine gute Nachricht ist. Denn sollte es in der Bibliothek zu einem Brand kommen, wird dieser ab sofort durch aus kleinen Düsen ausströmendes Argongas erstickt. Ein Schutz, den es für die wertvollen Kulturgüter der Bibliothek bisher nicht gab.

"Ich bin sehr froh, dass wir hier endlich eine Gaslöschanlage einbauen konnten. Dafür haben wir mehrere Jahre Anlauf genommen - mal hat der Bewerber mit seinem Löschsystem nicht gepasst, mal war die Umsetzung zu teuer", sagt Erich Mühlbauer, Amtsleiter Hochbau, Tiefbau und Gebäudemanagement der Kreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld. Erst als sich ihm eine Firma aus Hannover mit der Argon-Gaslöschanlage vorstellte, sah der Landkreis die Chancen zur Realisierung des Projektes. 192000 Euro hat diese mit Planung und Einbau gekostet. "Das ist gut investiertes Geld", sagt Erich Mühlbauer, "denn eine solche Katastrophe wie vor ein paar Jahren in Weimar kann nun im Francisceum nicht mehr passieren." 2004 waren damals in der Anna-Amalia-Bibliothek mehr als 30000 wertvolle Bücher verbrannt.

"Eine Katastrophe wie in Weimar kann im Francisceum nicht passieren."

Wenn im Francisceum eine solche Menge an Büchern verbrennen würde, wären zwei Drittel des Bestands der Bibliothek vernichtet - 45000 Bücher, darunter auch sehr wertvolle aus dem 9. Jahrhundert und sogar Einzelstücke, stehen in den alten Regalen. "Vor der Gaslöschanlage hätte es hier bei einem Brand eine Katastrophe gegeben", sagt Petra Volger. Zwar wären bisher auch Notfallpläne zum Einsatz gekommen, doch diese hätten, wenn überhaupt, nur zur Rettung ganz weniger Werke geführt.

Das Herz der neuen Löschanlage befindet sich im Keller: Der Hausmeister des Gebäudes musste seinen Raum räumen, damit zehn unter Hochdruck stehende Argon-Gasflaschen installiert werden konnten. Von dort gehen die Leitungen nach oben zum Dachboden, wo viele kleine Düsen unauffällig nach unten in die drei Bibliotheksräume hineinragen. "Uns war es sehr wichtig, dass der historische Charakter der Einrichtung gewahrt bleibt", erklärt Amtsleiter Mühlbauer, der sehr stolz auf die errichtete Anlage ist. "Mit den ersten Anzeichen eines Brands strömt sofort Argon aus den Düsen, der Sauerstoff entweicht aus den Räumen und der Brand wird erstickt. Und das beste ist: Argon ist für die Menschen und die Bücher nicht schädlich", sagt er. Anders als bei Anlagen, die mit Kohlenstoffdioxid betrieben werden, kann das Gas in der Francisceums-Bibliothek nicht zur Erstickung führen.

Der Einbau der Gaslöschanlage war eine große Herausforderung: Denn neben den Düsen durch die Decke musste auch ein Schacht zur Luftableitung in die einen Meter dicke Mauer gebaut werden. In der Mauer verbarg sich eine Überraschung - ein 350 Kilogramm schwerer Granitstein. "Wenn man im Francisceum etwas anfässt, passiert eigentlich immer etwas Unvorhersehbares", sagt Erich Mühlbauer mit einem Lächeln. Dieses hatten die Männer, die den Stein nach draußen befördern mussten, sicherlich nicht erwartet. Zu sechst musste der Brocken durch das gesamte Haus getragen werden. Erich Mühlbauer hingegen hofft, dass bei den nächsten Baumaßnahmen im Francisceum vielleicht noch etwas wertvolleres auftaucht: "Ein Goldschatz wäre doch toll!"

"Argon ist für die Menschen und die Bücher nicht schädlich."

Doch wertvoll ist auch die neue Gaslöschanlage, die im Automatikbetrieb (nachts) oder manuell betrieben werden kann. Sollte es zum Brand kommen, wird zusätzlich die Feuerwehr alarmiert. "Man weiß ja nie genau, welches Ausmaß ein Brand hat und ob sich vielleicht noch Menschen im Gebäude befinden", erklärt Erich Mühlbauer, ergänzt aber: "Schaum und Wasser werden in der Bibliothek definitiv nicht zum Einsatz kommen, sondern nur das Gas."

In Sachsen-Anhalt gibt es in landeseigenen Liegenschaften keine Löschanlage mit Argon. "Das Gas ist nicht die wirtschaftlichste Lösung, es ist relativ preisintensiv", erklärt Rotraud Schulze vom Finanzministerium. "Der Planer hat mir erklärt, dass es in Deutschland höchstens zwei oder drei vergleichbare Anlagen auf dem Level in historischen Bibliotheken gibt", ist Erich Mühlbauer vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit der Umsetzung der Maßnahme sehr zufrieden. Andere Lösungen wären noch deutlich teurer gewesen, erklärt der Amtsleiter.

Gestern fand in der Bibliothek die Bauabnahme statt, von nun an wacht die Gaslöschanlage Tag und Nacht über die historischen Werke, von denen manche mehr als 1000 Jahre alt sind. Doch damit ist die Arbeit für Bibliothekarin Petra Volger noch nicht getan. Die für den Einbau meterweise ausgeräumten Spitzbogenregale müssen nun wieder mit Büchern bestückt werden. Jedes Buch hat seinen Platz, viele Kapazitäten für neue Bestände sind nicht mehr vorhanden. "Es wird mindestens acht bis zehn Wochen dauern, bis alles wieder an Ort und Stelle ist", sagt Petra Volger. Mehr als 100 Kartons mit Büchern warten nun auf sie und ihre Kollegin Iruta Völlger. Doch das stört Petra Volger nicht. "Ich freue mich darauf, dass in der Bibliothek wieder Ruhe einkehrt und die Regale wieder gefüllt werden können", sagt sie und lächelt zufrieden. Denn die Bibliothekarin weiß: An keinem anderen Ort werden die Bücherschätze besser beschützt als im Francisceum.