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Gemeinde Die Welt zu Gast in der Radfahrerkirche

Seit zehn Jahren trägt die Kirche in Steckby den Titel Radfahrerkirche - nicht ohne Grund.

Von Arlette Krickau 15.05.2018, 07:00

Steckby l Sie glänzen und funkeln, wie sie so in der Sonne aneinander gelehnt in Gruppen vor der Kirche stehen. Die verchromten Lenker, Felgen und Stangen der Fahrräder spiegeln perfekt.

Denn: Es wurde eingeladen. Zehn Jahre Radfahrerkirche Steckby sind am Sonntag mit einem festlichen Gottesdienst und einer kleinen Radtour zelebriert worden. Stilecht reisten da natürlich viele Besucher und Gäste mit dem Rad an.

„Die Radfahrerkirche Steckby ist seit ihrer Eröffnung am 4. Mai 2008 eine Erfolgsgeschichte für unsere kleine dörfliche Gemeinde“, kann Boris Krmela, Mitglied des Gemeindekirchenrates der Steckbyer evangelischen Gemeinde, sagen. Rund 13.500 Besucher konnten seit der Eröffnung in den zehn Jahren willkommen geheißen werden, schätzt er.

„Anhand von Eintragungen im Gästebuch und der Punkte an unserer Karte, errechnen wir jedes Jahr die ungefähre Besucherzahl und woher die Gäste kommen. Jährlich kommen wir in schlechten Jahren auf etwa 500, in besonders guten Jahren sogar auf etwas über 1000 Besucher“, erzählt er stolz.

Als vor mehr als zehn Jahren die Idee zur Radfahrerkirche entstand, war die romanische Dorfkirche in einem schlechten Zustand. „Wir hatten sogar mit dem Gemeindekirchenrat überlegt, sie zu sperren“, sagt Ortspfarrer Reinhard Hillig.

Der Turm war so marode, dass man die Sicherheit gefährdet sah. Eine Sanierung der Gewerke einfach mal so schnell, war undenkbar, die finanziellen Mittel der Gemeinde hätten nicht gereicht.

Doch dann kam aus dem Gemeindekirchenrat heraus die Idee, die Kirche besonders zu nutzen. Die Lage am Elberadweg wollte man sich zu Nutze machen und die vorbeifahrenden Radler einladen, in der Kirche zu verweilen, einen Ort zu schaffen, an dem man kurz zur Ruhe kommen kann, verschnaufen und zu sich finden kann.

Als Vorbild für die Radfahrerkirchen dienen die deutschen Autobahnkirchen, bei denen Gotteshäuser an Autobahnen als Orte der Ruhe und Meditation für Reisende dienen. In Radfahrerkirchen sollen insbesondere Fahrradtouristen die Möglichkeit zur Besinnung haben, erklärte die Gemeinde dann in ihrem Fördermittelantrag.

Das Konzept überzeugte. Über das Europäische Förderprogramm Leader konnten rund 100.000 Euro gewonnen werden, dazu noch rund 14.000 Euro von der Landeskirche Anhalt und 22.000 Euro Eigenanteil. „Damit konnten wir den Kirchturm sanieren, die Gewerke sogar mit Eichenholz ersetzen. Außerdem Dinge einrichten, die man als Radfahrerkirche vorhalten sollte, damit die Radtouristen sich auch wohl fühlen können. Dazu gehört eine öffentliche Toilette, Picknickplatz und auch Fahrradständer, die auch Räder mit entsprechendem Gepäck halten können“, erklärt Reinhard Hillig.

Seitdem ist die Radfahrerkirche ein Selbstläufer. Sie war die erste ihrer Art in Anhalt, mittlerweile ist noch eine in Dessau und eine im Landkreis Wittenberg dazugekommen. „Aber wir sind die erste“, sagt Krmela mit einem Lächeln. Schließlich ist Steckby der erste Ort in Anhalt, wenn man den Elberadweg entlang kommt.

Zum Jubiläum kam auch Anhalts Kirchenpräsident Joachim Liebig angereist – zwar mit Auto, aber mit einem überaus sportlichen Rad im Gepäck. Schließlich wollte er seinem Vorgänger, der vor zehn Jahren zur Eröffnung mitradelte und dabei auf einem Foto verewigt wurde, in Nichts nachstehen.

Aus feierlichem Anlass hielt er auch die Predigt, die davon erzählte, wie jemand, der den Kopf frei kriegen, zu sich finden wollte, aber nichts mit pilgern am Hut hatte, auf einer Radtour bei schlechtem Wetter in einer Radfahrerkirche strandet. Und die Ruhe und die Einfachheit des Gotteshauses ihm genau das bringt, was er suchte. Ist Radfahren in dem Sinne also doch pilgern?

Liebig sieht in jedem Fall solche offenen Kirchen wie die in Steckby als sehr positiv. „Das ist der Weg, wie Kirchen erhalten und zugänglich gemacht werden können“, sagt er.

Denn die Radfahrerkirche würde ja niemanden nutzen, wenn sie nicht offenen wäre. So gehört St. Nicolai in Steckby der Stiftung „Entschlossene Kirchen“ an, und hat von Ostern bis zum Reformationstag täglich verlässlich von 8 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. „Entgegen vieler Stimmen, haben wir fast nur gute Erfahrungen mit den entschlossenen Kirchen gesammelt. Der von vielen angekündigte Radau bleibt aus“, freut sich Liebig.

Und dass so ein Angebot bei den Radtouristen gut ankommt, ist im Gästebuch nachzulesen. Einige bekunden einfach nur, wie schön sie die Kirche finden, andere erzählen ganze Geschichten, wie sie dort angekommen sind, wieder andere schreiben von ihrer Erfahrung mit Gott. Und dabei kommen die Gäste nicht nur aus der ganzen Republik, sondern auch aus der ganzen Welt.

So sind seit Jahren die Schweizer unangefochten die Nummer eins bei den ausländischen Gästen. 2017 folgten ihnen die Tschechen, die Finnen, die Italiener, die Franzosen und sogar einige Radler aus der Türkei.