1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Kirchenruine mit Superlativ

Geschichte Kirchenruine mit Superlativ

Die Nicolaikirche in Zerbst ist ein besonderes Denkmal, das von Zerstörung und früherem Glanz zeugt.

Von Thomas Höfs 10.09.2018, 09:00

Zerbst l Der 16. April 1945 ist für die Stadt Zerbst ein Wendepunkt. Die Amerikaner haben die Bevölkerung über Lautsprecher vor dem folgenden Bombenangriff gewarnt. So fallen der weitgehenden Zerstörung einer der schönsten Fachwerkstädte in Norddeutschland nur mehr als 500 Bürger zum Opfer, sagt Petra Fruth. Sie erklärt den Besuchern am Sonnabend, wieso die Ruine heute im Zentrum der Stadt steht.

Bis zur Zerstörung der Kirche zeugt das Bauwerk vom Wohlstand der Stadt. Vor allem durch den Viehhandel wurden die Zerbster reich, weiß sie. In kaum einer anderen Stadt gibt es einen größeren Marktplatz. In der Hand hält sie ein altes Foto, welches die vielen Marktstände zeigt.

Noch als Ruine besetzt die Nicolaikirche Superlative. Die größte Glocke Deutschlands aus dem 14. Jahrhundert hängt im Turm. Der Wert der Glocke war bereits in den Kriegen bekannt. Die rund 4,5 Tonnen schwere Glocke wurde auch im Krieg nicht abgenommen. Die anderen sechs Glocken wurden abgebaut und sollten für die Waffenproduktion eingeschmolzen werden. Doch die Zerbster hatten Glück. Einige Glocken fanden sich nach Kriegsende auf einem zentralen Platz und konnten zurückgeholt werden. Von den einst sieben Glocken gibt es heute noch fünf. Sie hängen in einem Turm. Früher, zeigt Petra Fruth, war der Kirchturm in der Mitte der noch vorhandenen beiden Türme gut 30 Meter höher. Hier wohnte bis zur Zerstörung ein Türmer.

Besucher des Turms, die die Aussicht genießen wollten, mussten immer einen Eimer Wasser mit hochschleppen, erzählt sie. Denn die Wasserleitung endete auf halber Strecke. Das habe an der Höhe des Wasserturms gelegen. Nur bis zu dieser Höhe habe der Wasserhahn im Turm angebracht werden können. Die restlichen 30 Meter habe der Türmer das Wasser in Eimern hochtragen müssen.

Der Turm war nicht wegen der guten Aussicht bewohnt. Die Besetzung des Kirchturms war aus vielerlei Gründen wichtig, sagt sie. So hatte der Türmer unter anderem darauf zu achten, ob sich Feinde der Stadt näherten. Vor allem nachts ließen sich näher kommende Heere gut beobachten durch den Rauch der vielen Lagerfeuer der Truppen.

Auf der anderen Seite bot die hohe Lage über der Stadt eine gute Rundumsicht über die aus Fachwerk errichteten Häuser. Über Jahrhunderte war das Feuer der größte Feind der Siedlungen aus Holz, Stroh und Lehm. Ohne schnelles Eingreifen konnten schon kleine Brände riesige Schäden verursachen und ganze Stadtteile in Schutt und Asche legen. Über die Glocken konnten die Bürger alarmiert und zum Löscheinsatz gerufen werden. Das sicherte die Existenz der Stadt und ihrer Bürger und sorgte dafür, dass Zerbst als Fachwerkstadt bis zur Zerstörung berühmt war.

Dass die Ruine der einst prächtigen Kirche heute noch steht, ist vielen Menschen zu verdanken, sagt sie weiter. Nach dem Krieg habe der damalige Kreistag den Abriss schon beschlossen gehabt. Kirchenvertreter setzten sich dafür ein, die Ruine stehen zu lassen. Schließlich habe das zuständige Ministerium den Abriss untersagt und später die Ruine unter Denkmalschutz gestellt. Das hieß zu DDR-Zeiten allerdings nicht, dass Geld investiert wurde. Vielmehr wurde die Ruine der Natur überlassen. Petra Fruth hat in ihrem Bilderstapel auch ein Foto aus DDR-Tagen dabei. Zu sehen ist das Innere der Ruine. Hier wächst vor allem die Natur. Dichtes Baum- und Strauchwerk beherrscht das Innere.

Erst nach dem Mauerfall engagierten sich die Zerbster für den Erhalt der Ruine. Ein Wiederaufbau wäre unbezahlbar, sagt sie. Nach wie vor fasziniert sei sie aber von der Dimension des Gotteshauses. „Wir haben hier schon Weihnachtsmärkte durchgeführt und haben dann gesehen, wie viele Stände und Menschen hier reinpassen, schildert sie. Die Doppeltürme prägen bis heute das Stadtbild, auch wenn sie nicht mehr die Höhe von früher erreichen.

Trotz der 80-prozentigen Zer- störung der Stadt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden, verfügt die Stadt heute über eine ganze Reihe von Denkmälern. Die ganze Innenstadt gilt als Flächendenkmal. Unzählige Gebäude in der Stadt stehen aber ebenfalls auf der Denkmalliste. Darunter verbergen sich echte Schätze der Baugeschichte. Eine führende Position nimmt dabei die Breite ein. In kaum einer anderen Straße stehen mehr Häuser unter Denkmalschutz.

Auf den Denkmalschutz wenig Rücksicht nahmen die Zerbster nach Kriegsende. Mit der weitgehenden Zerstörung der Innenstadt hatten die Bürger keine Wohnungen mehr. Mit allen verfügbaren Baustoffen schufen sie sich damals Ersatz. Dabei kamen vor allem die Steine zum Einsatz, die in den zerstörten Gebäuden lagen, erzählt Petra Fruth. So nutzten die Bürger die Steine des Schlosses ebenso wie die Steine der Kirche.

Viel Geld haben die Mitglieder des Förderkreises bislang in die Ruine investiert. Um das Zeugnis des Krieges zu erhalten, wird aber weiter Geld benötigt. Vor allem aber, um einen alten Eingang wieder zu öffnen. Mit Ziegelsteine war er einst verschlossen worden. Nun soll er wieder den Menschen zur Verfügung stehen. Dafür setzten sich die Mitglieder des Förderkreises ein, sagt sie.