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Hilfen wegen Corona Echte Entlastung oder Strohfeuer?

Der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann spricht mit der Volksstimme über die Milliardenhilfe für die Kommunen wegen Einnahmeausfällen.

Von Thomas Kirchner 09.06.2020, 01:01

Volksstimme: Die von Ihrem Parteifreund und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) so vehement geforderte Übernahme von Altschulden der Kommunen durch Bund und Länder wird es nicht geben. Enttäuscht?
Andreas Dittmann: Nein, die vieldiskutierte Altschuldenentlastung hatte vorrangig „Problemkommunen“ in Nordrhein-Westfalen oder Hessen zum Ziel und hätte keine Entlastung der Mehrheit der Kommunen zur Folge gehabt.

Momentan belaufen sich die Schulden der Stadt auf rund 1,86 Millionen Euro. 2023 sollten es nur noch gut 162.000 Euro sein, so der Plan, den Sie im November im Stadtrat erläutert haben. Ist dieser Plan jetzt in Gefahr?
Mit Prognosen ist es so eine Sache, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, soll Mark Twain mal gesagt haben. Ich muss natürlich mit Steuerausfällen rechnen, wobei ich die zu erwartende Delle im nächsten Jahr sehe. Nach Lage der Dinge könnte unser Plan zur Entschuldung dennoch aufgehen, aber unsere Liquidität wird sich mit Sicherheit nicht verbessern. Ob künftig Investitionen dann wieder mit Krediten finanziert werden müssen, wenn wir es denn überhaupt dürfen, werden wir genau prüfen.

Statt der Übernahme der Schulden erhalten die Kommunen jetzt Milliardenhilfen vom Bund. Formal soll das Geld die Gewerbesteuerausfälle ausgleichen, nicht Altschulden tilgen. Außerdem übernimmt der Bund künftig drei Viertel der Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern. Pro Jahr soll das Städte und Gemeinden um mehr als vier Milliarden Euro entlasten - und damit ihren Investitionsspielraum erweitern. Wie hoch schätzen Sie die Steuerausfälle für die Einheitsgemeinde in diesem und im nächsten Jahr?
Ich kann die Steuerausfälle noch nicht prognostizieren. Neben den diskutierten Gewerbesteuerausfällen werden wir im nächsten Jahr mit weniger Anteilen bei der Einkommens- und Umsatzsteuer zu rechnen haben. Wenn wir uns die Entwicklung von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit ansehen, wird genau dort der Steuerausfall zu erwarten sein.

Wenn auf breiter Front die Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen, werden Stadtkämmerer bei Bau- und Modernisierungsmaßnahmen oder Investitionen den Rotstift ansetzen. Davon aber braucht die Wirtschaft in der Krise nicht weniger, sondern deutlich mehr. Besteht die Gefahr auch in der Einheitsgemeinde Zerbst – ist der Rotstift schon gespitzt?
Nein, wir halten an unserem Investitionsprogramm fest. Da wir die meisten Vorhaben ohnehin nur im Rahmen von Fördermaßnahmen realisieren, wäre es auch vollkommen falsch, diese Projekte jetzt auf Eis zu legen.

Wie hoch sind die Kosten für Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern, die die Stadt jährlich aufbringen muss?
Diese Kosten werden vom Landkreis aufgebracht. Im vergangenen Jahr lagen diese bei zirka 42 Millionen Euro für den Landkreis. Der davon nicht vom Bund getragene Anteil wird faktisch über die Kreisumlage von den kreisangehörigen Gemeinden finanziert. Insofern ist dieser Teil des Rettungspakets tatsächlich eine sehr wichtige Position. Genau das wollte der Bund bei der Diskussion zur Altschuldenhilfe nämlich nicht anfassen. Hier kommen die Bundeshilfen aber nicht nur einigen extrem verschuldeten Großstädten zu Gute, sondern allen Kommunen und wenn das Paket so durchläuft, auch nicht nur kurzfristig. Hier würden wir eine strukturelle Entlastung erhalten. Das kann ich nur begrüßen. Im Idealfall kann das zur Senkung der Kreisumlagen führen, aber das hängt natürlich wiederum von den Gesamtentwicklungen ab, denn die Landkreise haben ja ebenfalls nicht unerhebliche Mehrbelastungen.

Können Sie schon sagen, wie sich die nun beschlossenen Entlastungen insgesamt auf die Zerbster Stadtkasse auswirken wird? Von welcher Summe reden wir?
Nein, das wäre reine Spekulation.

Wie Sie bereits erwähnten, gehen auch Teile der Mehrwertsteuer (Mwst.) an die Kommunen, wenn auch nur rund zwei Prozent. Sehen Sie auch hier negative Auswirkungen durch die beschlossene befristete Senkung von 19 auf 16 Prozent?
Das wird zwangsläufig auch bei uns ankommen, aber die Mehrwertsteueranteile sind für uns eher Beifang. Zum Vergleich: Wir rechnen 2020 mit rund 1,658 Millionen Euro Einnahmen aus der Umsatzsteuer. Bei der Einkommenssteuer reden wir von über etwa 6,15 Millionen Euro.

Blicken Sie im Hinblick auf die Stadtfinanzen eher mit Sorge oder eher mit Zuversicht auf dieses und die kommenden Jahre?
Ich bin trotz aller Probleme der Meinung, dass die Stadt Zerbst/Anhalt mehr Chancen als Risiken hat. Wir werden Einnahmeausfälle erleiden, aber das mindert nicht unsere Entwicklungschancen. Der von uns eingeschlagene Sanierungskurs wird uns jetzt und in den kommenden Jahren helfen, davon bin ich überzeugt. Auch deshalb war mir die Entschuldung ja so wichtig, um für die Zukunft mehr Spielräume zu bekommen. Alles was wir jetzt nicht mehr in die Kredittilgung stecken müssen, haben wir für andere Projekte zur Verfügung und an zu lösenden Aufgaben mangelt es uns ja wahrlich nicht.