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Am 12. April 1991 wird erstes Kinderdorfhaus in Deetz eröffnet / Zwischenzeitlich zwölf Häuser, heute noch fünf Kernanliegen des Vereins ist zum Jubiläum auch ein wenig Sorgenkind

Von Antje Rohm 12.04.2011, 04:31

Auf den Tag genau heute vor 20 Jahren eröffnete das Albert-Schweitzer-Familienwerk Sachsen-Anhalt in Deetz das erste Kinderdorfhaus. Das dezentrale Kinderdorf ist bis heute das Hauptanliegen des Vereins. Sorgen bereitet zum Jubiläum allerdings der Blick in die Zukunft.

Zerbst. Das war der vorrangige Gründungsimpuls für das am 28. Juni 1990 in Zerbst ins Leben gerufene Albert-Schweitzer-Familienwerk Sachsen-Anhalt - der Aufbau eines Kinderdorfes. Am 12. April wird das erste Kinderdorfhaus in Deetz eingeweiht. Allein 1992 folgen vier Häuser in Leps, in Magdeburg, in Wittenberg und in Roßlau. Das letzte, bisher neu eröffnete Kinderdorfhaus stand von Februar 2003 bis August 2006 in Stolberg im Harz. Um die Jahr- tausendwende betreibt das Familienwerk zwölf Kinderdorfhäuser in ganz Sachsen-Anhalt - das bisherige Maximum.

"Bessere Chancen für die Kinder"

Heute sind es fünf Häuser in Zerbst, Walternienburg, Strinum und Magdeburg. 32 Kinder haben hier ein Zuhause. Und Familienwerk-Geschäftsführer Jürgen Geister sagt: "Das dezentrale Kinderdorf ist für uns nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt. Aber die gegenwärtige Situation stimmt doch eher traurig." Traurig, weil es zunehmend schwieriger wird, Kinderdorfeltern zu finden. Weil somit die Zukunft des Kinderdorfes auf der Kippe steht.

Es habe, so Jürgen Geister, nichts mit der Tätigkeit des Familienwerkes zu tun. Der Verein sei auch so ein gesunder. Schade sei, wenn dieses Kernanliegen der Arbeit so ausgedünnt werde.

Das Kinderdorf ist etwas Besonderes gegenüber anderen Formen der Heimerziehung, sind sich die Familienwerk-Verantwortlichen auch nach 20 Jahren und etwa 220 in den Familien betreuten Kindern sicher. Zwischen null und 16 Jahren werden die Kinder, die in ihren eigenen Familien nicht mehr bleiben können, in den Kinderdorffamilien aufgenommen und dort in der Regel bis in die Selbstständigkeit geführt. Eines der Kinderdorf-Elternteile hat eine pädagogische Ausbildung, ist im Familienwerk angestellt. Unterstützt werden die Familien in Haushalt, Erziehung und auch von Therapeuten. "Wir glauben, dass die Chance für eine gute Entwicklung der Kinder mit den festen Bezugspersonen im familiären Umfeld der Kinderdorffamilien einfach größer ist", meint Jürgen Geister.

"Anfragen sprechen für unsere Arbeit"

Dagmar Hellfritsch stimmt dem zu. Sie war selbst von 1993 bis 2008 Kinderdorfmutti. 16 Kinder hat die Familie in dieser Zeit in Niederlepte aufgenommen. Zum 1. November 2008 übernahm Dagmar Hellfritsch von Vera Rösch die Leitung des dezentralen Kinderdorfes. "Ob bei ehemaligen oder jetzigen Kinderdorf-Eltern, alle fänden es schade, wenn die Idee nicht weiterlebt", sagt sie. "Auch bei aller Belastung, es ist in jedem Fall eine schöne und lohnenswerte Aufgabe. Es ist schön, sich umfassend um die Kinder kümmern zu können, intensiv für sie da zu sein", weiß sie aus eigenem Erleben und den gegenwärtigen Kinderdorf-Runden. Herzblut brauche es und Idealismus - ohne Verklärtheit.

Die Häuser, in denen derzeit keine Kinderdorffamilien mehr leben, stehen außer in Deetz nicht leer. Sie werden, so Familienwerk-Sprecherin Sabine Weiß, für andere Formen der Arbeit des Vereins genutzt, zum Beispiel als Sonderpädagogische Einrichtung.

Die Häuser mit Kinderdorffamilien sind zu hundert Prozent ausgelastet. "Wir werden auch immer wieder von den Jugendämtern angefragt, was ja auch für unsere Arbeit spricht", freut sich Dagmar Hellfritsch.

Der Bedarf ist ungebrochen. Die Zahl der Kinder, die einen Platz in einer Familie bräuchten, steigt eher als dass sie sinkt. Die Familienwerk-Verantwortlichen verhehlen aber auch nicht, dass die Betreuung nicht einfacher wird. Die Kinder sind stärker in verschiedenen Behandlungen und Therapien. Die mehr gewünschte Arbeit mit den "richtigen" Elternhäusern stellt ebenfalls neue Herausforderungen.

Auch das, so Jürgen Geister und Dagmar Hellfritsch, ist Teil des Pro-blems. Zum einen, meint der Geschäftsführer, "scheint der Markt wie leergefegt" an potenziellen Kinderdorfeltern mit der entsprechenden Ausbildung. Zum anderen, ergänzt die Kinderdorf-Leiterin, können die, die im pädagogischen und Pflegebereich da und ausgebildet sind, sich aufgrund der Nachfrage die Tätigkeit im Prinzip aussuchen. Die nicht nur einfache in einer Kinderdorffamilie stehe da offenbar nicht obenan. "Man bindet sich für 15 Jahre und mehr, wenn man sich dafür entscheidet", betont Dagmar Hellfritsch.

Auch in den Familienwerken der alten Bundesländer habe es immer mal solche Tiefpunkte gegeben. Sie seien aber immer wieder aufgefangen worden, so die Zerbster. "Bei uns war es ein schleichender Prozess. Und vielleicht haben wir es auch eine Zeitlang verdrängt", denkt Jürgen Geister.

Er würde heute und auch in der hoffentlich vorhandenen Kinderdorf-Zukunft wohl nicht mehr so auf den ganz dezentralen Ansatz zählen. "Das hat sich viele Jahre bewährt. Jetzt würde ich die Häuser eher konzentrieren", verweist er auch hier auf die neuen Anforderungen der Betreuung.

"Idee, die alle mit einbezieht"

Das sachsen-anhaltische Familienwerk gibt die Bemühungen nicht auf, sein Kernanliegen Kinderdorf am Leben zu halten. Auf der Homepage werden Eltern gesucht, die Mitarbeiter verbreiten das Anliegen ebenfalls. "Und im Kinder- dorf ist die Stimmung gut, gibt es keine Hoffnungslosigkeit", unterstreicht Dagmar Hellfritsch.

So soll das diesjährige Jubiläum auch noch richtig gefeiert werden. "Wir haben lange überlegt, was wir am besten machen und wie wir möglichst alle Kinder einbeziehen können", so die Kinderdorf-Leiterin.

Entstanden ist die Idee eines Filmprojektes. Im diesjährigen Sommerferienlager, wenn genug Raum und Zeit dazu ist, soll es umgesetzt werden.

Das Ergebnis soll dann im Rahmen einer Jubiläumsveranstaltung voraussichtlich im Oktober aufgeführt werden. Dagmar Hellfritsch: "Dazu werden wir alle Leute rund um die 20 Jahre Kinderdorf einladen."