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Kult Mehr Kaffee als Bier und Tequila

Ein Vierteljahrhundert gibt es das Biker Café Tequila Drive in Reuden/Anhalt, das sich zum Kult-Treff in der Szene entwickelt hat.

Von Petra Wiese 16.09.2018, 06:00

Reuden/Anhalt l Tequila wird selten ausgeschenkt. Es wird mehr Kaffee als Bier getrunken. Kein Wunder. Die Gäste im „Tequila Drive“ sind motorisiert. Es sind Biker, die nach Reuden/Anhalt zum Kaffeetrinken mit hausgebackenem Kuchen fahren, Pause machen, um Herzhaftes vom Grill zu essen und vor allem, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Zu Stoßzeiten reihen sich die Maschinen zu Hunderten aneinander entlang der Ortsdurchfahrt der B 246.

Seit 25 Jahren gibt es das Biker Café in Reuden inzwischen. Am 15. September wird das Dorf im Westfläming wieder Anlaufpunkt sein, für die Männer und Frauen in Ledermontur und dem Hang zum Abenteuer auf der Landstraße, zum Fahrvergnügen auf zwei Rädern und der Leidenschaft für ihre Maschinen. Heute wird im Tequila Drive Jubiläum gefeiert. Es soll „Die Party des Jahres“ werden. Um 14 Uhr gibt es eine kleine Andacht mit Dr. Lambrecht Kuhn aus Bernburg. Die Kanzel ist das Heck eines Ford Pick up, ein Hot Rod, Baujahr 1953. Deutschlands innovativster Pfarrer hat schon zwei Bikergottesdienste in Reuden gehalten, kommt natürlich selber mit dem Motorrad.

Wer noch zur Party kommt? Andy Stähler und Birgit Tiepelmann lassen sich überraschen. 25 Jahre haben die beiden durchgehalten, in guten, wie in schlechten Zeiten. Am 13. September sollte das Biker Café 1993 eröffnen. Da die Genehmigungen noch nicht durch waren, musste man das Ganze „Einweihungsparty“ nennen, erinnert sich Birgit. Die offizielle Eröffnung war dann am 1. Oktober. Die Szene-Kneipe war eigentlich eine Schnaps- oder in diesem Falle eine Tequila-Idee.

Der aus dem Westerwald stammende Andy und die Zerbsterin wollten nach der Wende beruflich neue Wege gehen. Andy und Birgits Bruder Jörg waren auf Festivals unterwegs, um das Publikum zu versorgen. Sie merkten schnell, dass Tequila der Renner bei den Open Airs war. Ein besonderes Partyerlebnis, dass sich jeder von den beiden vor Ort erzählen lassen kann, führte dazu, dass der Name „Tequila Drive“ schon feststand, als die Kneipe noch Fantasie war. Doch sie wurde alsbald Realität mit einem maroden Haus, dass sich Jörg Albert in Reuden mietete. Viele Helfer gab es, um es auf Vordermann zu bringen. Zusammen wurde gefeiert, warum also nicht gleich eine Kneipe eröffnen?

Drei Bedingungen musste das Projekt erfüllen: es sollte mit Tequila zu tun haben und mit Motorrädern und das ganze Jahr Open-Air-Feeling vermitteln. Im ersten Winter gab es nur den Gastraum, im Frühjahr wurde der Bierpavillon im Garten gebaut. Das Außengelände hatte noch jede Menge Potential. Ohne viel Geld, das erste Jahr fuhr Andy noch in der Woche nach Berlin, um zu arbeiten, aber mit viel Enthusiasmus, Ausdauer und Fleiß wurde die originelle Lokalität abseits vielbefahrener Straßen nach und nach ausgebaut. Einnahmen flossen in die Ausstattung, damit die Gäste wieder kommen.

Dass überhaupt Gäste kamen, 1993 waren in der Region nicht so viele Motorradfahrer unterwegs, musste sich erst herum sprechen. Telefon, Handy, Internet gab es anfangs noch nicht. Mundpropaganda war das wichtigste. Das Gastwirtspaar tat einiges, um auf das Tequila Drive aufmerksam zu machen. Kunden aus dem Umkreis von 200 Kilometern waren die Zielgruppe. Auf Motorradtreffen wurden Handzettel verteilt, auf der Leipziger Motorradmesse warb man einige Male. Später schaffte es das Biker Café in viele deutsche Motorradzeitungen, in die größte Schweizer Motorradzeitung und sogar auf die Titelseite der russischen „Moto“. Andy und Birgit gibt es übrigens auch als Comicfiguren in zwei Motorradfahrer-Ausgaben.

Auch im Dorf ergriffen Andy und Birgit Initiative, riefen den Reudener Rosenmontagsumzug ins Leben, organisierten Konzerte, Osterfeuer, Maibaumsetzen, Country- und Bikerfeste, New York-Partys und andere Feten. Im Jahr 2000 pachteten die beiden die Gaststätte ein paar hundert Meter weiter dazu, um besser über den Winter zu kommen. Seit 2016 bieten sie Zimmer zum Übernachten an. Von März bis Oktober dauert die Freiluftsaison im Tequila Drive mit dem regen Austausch am Rundtresen. „Da lässt es sich am besten reden“, findet Andy. Wer möchte, kann sich auch im rustikalen Ambiente des Gartens rund um die Lagerfeuerstelle niederlassen.

Im Sommer machen Motorradfahrer aus ganz Europa Station auf ihrer Durchreise. Händler- und Clubausfahrten haben Reuden als Anlaufpunkt Programm. 1800 Motorräder an einem Tag war bislang die größte Hausnummer. Biker aus Holland, Belgien, der Schweiz, Rußland, Kuba, Frankreich Schweden, Norwegen schauten herein. Die Blues Biker aus Italien waren da, eine Truppe aus dem Bundestag, ein Barkeeper der englischen Königsfamilie, der Sicherheitschef von Borussia Dortmund, Professoren, Oberste, Politiker, Anwälte, Chirurgen, Sportler, Theaterleute. Wer Motorrad fährt, der muss es sich leisten können. „Es sind ordentliche Leute, die zu uns kommen“, sagt Birgit. Vorfälle oder Probleme mit den Gästen hat es nie gegeben.

Was Andy Stähler freut ist, dass in der Bikerszene das Miteinander funktioniert. Wenn heute junge Leute kommen und auf die gestandene Generation treffen, da ist da noch der natürliche Respekt zu spüren. „Die wissen genau, die haben etliche Kilometer mehr auf dem Tacho“, sagt Andy. Ja, auch die Jugend kommt nach Reuden, zum Teil auf wieder in Gang gebrachten alten Schwalben oder Simsons. Enkel der 90er Jahre Biker sind darunter.

Auch Birgit und Andy sind ruhiger geworden. Eigene Veranstaltungen sind auf Jubiläen und das alljährliche Schlachtefest zum Saisonausgang beschränkt. Im Winter sind es Jäger, die das Biker-Motel und die Kneipe nutzen und ein paar Einheimische.

Ruhig geht es unter der Woche im Tequila Drive zu. Ab 12 Uhr ist das Tor geöffnet, und es bleibt offen, solange es hell ist. Bei Dunkelheit ist nicht mehr mit Bikern zu rechnen. Montags ist Ruhetag. Das Wochenende beginnt um 10 Uhr im Biker Café.

Bitte langsam und leise fahren, werden die Biker am Ortseingang aufgefordert. Im Ort und auf der Straße gelten für sie die gleichen Verkehrsregeln und -vorschriften, wie für alle anderen auch. Der Andrang zum Jubiläum heute, wird die Beliebtheit des Tequila Drive zeigen.

„Wenn da nicht so viele Freunde und Helfer gewesen wären, hätten wir es nicht geschafft“, sind die beiden dankbar. Bereut haben sie nichts. Mit 57 denken sie nicht über Alternativen nach, „erst wenn einer von uns aus dem Rundtresen rausgetragen wird“, sagt Andy.