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"Flexible Elternhilfe" beim Albert-Schweitzer-Familienwerk bemüht sich um Stärkung der Erziehungstüchtigkeit "Manchmal schon schwer, mit dem Kind zu spielen"

Von Antje Rohm 08.08.2012, 03:12

Der Armutsbericht 2010 des Landkreises Anhalt-Bitterfeld bildet düstere Fakten ab. Die "Handlungsschwerpunkte zur Milderung von Armut" wurden daraus abgeleitet. Die Zerbster Volksstimme betrachtet sie mit dieser Serie näher.

Zerbst l Um angemessene Chancen zur individuellen Entwicklung zu haben, brauchen Kinder starke und kompetente Eltern. So steht es im Armutsbericht. "Unser Schwerpunkt ist die Stärkung der Erziehungstüchtigkeit." So sagen es Rainer Schnelle, Andrea Schmidt und Jutta Sachse vom Albert-Schweitzer-Familienwerk Sachsen-Anhalt in Zerbst. Angeregt vom Jugendamt des Landkreises hat das Familienwerk vor zweieinhalb Jahren die "Flexible Elternhilfe" eingerichtet.

"Es ist ein Angebot für junge Eltern, mit dem wir uns bewusst von der klassischen Familienhilfe abgrenzen wollen", sagt Rainer Schnelle, Leiter des Geschwister-Scholl-Heimes, bei dem das Projekt angesiedelt ist. Klassisch wird direkt in den Familien gearbeitet. Hier geht es darum, die Eltern aus ihrem Umfeld heraus und in die Beratungsstelle an der Breite zu holen. Voll ausgelastet sind die beiden Sozialpädagoginnen Andrea Schmidt und Jutta Sachse dort. "Unser ursprüngliches Konzept mussten wir zum Teil auch aufgegeben", berichten sie. Das sah in erster Linie Gruppenarbeit mit den betroffenen Eltern vor. "Das ging nicht, weil die Zusammensetzung der Familien, auch die jeweiligen Problematiken so unterschiedlich sind", sagt Andrea Schmidt. Und es sei vor allem auch ein sensibles Thema für viele Eltern, zu erkennen und zuzugeben, dass sie in der Erziehung an ihre Grenzen stoßen. Deshalb setzt die "Flexible Elternhilfe" nicht in erster Linie auf den Austausch zwischen den Eltern, sondern auf Fallarbeit mit den Familien.

"Ursprünglich keine Hausbesuche geplant."

Die Beratung richtet sich bei Weitem nicht nur an die sogenannten sozial schwachen Familien. Hilfe in schwierigen Situationen vermitteln Andrea Schmidt und Jutta Sachse auch bei "Eltern, die sich sehr intensiv mit Erziehung beschäftigen und dadurch verunsichert werden" oder in Familien, in denen zum Beispiel eine Trennung problematische Auswirkungen auf das Miteinander von Erwachsenen und Kindern hat.

"Seit einem Jahr haben wir auch den ,Begleiteten Umgang\' übernommen", erklärt Rainer Schnelle. Das Familienwerk hat sich auf eine entsprechende Ausschreibung des Jugendamtes beworben. Es geht um Fälle, in denen sich Umgangsregelungen für Sorgeberechtigte schwierig gestalten und Kinder geschützt werden sollen.

Zurück zur "Flexiblen Elternhilfe": Acht Familien betreuen Jutta Sachse und An-drea Schmidt gleichzeitig - das ist die maximale Kapazität. In erster Linie werden die Familien über das Jugendamt vermittelt, das auch die Kosten trägt. "Wir haben ein gutes Netzwerk mit Kindereinrichtungen, Tagesmüttern, Ämtern, Ärzten aufgebaut", erklärt Jutta Sachse und wie der Austausch dort das Anliegen der Elternhilfe fördert.

"Ursprünglich waren auch Hausbesuche nicht vorgesehen", berichten die Sozialpä-dagoginnen. Doch das Kennenlernen im häuslichen Umfeld schafft eine Vertrauensbasis, überwindet Hemmschwellen.

"Aber die Zentrale ist hier", verweisen beide auf die Räumlichkeiten an der Breite. Wenn auch die Mischung wichtig sei, wenn auch mal andere Themen als die Erziehungsprobleme besprochen würden, in erster Linie gehe es um die Stärkung der Elternkompetenz - und dabei ganz bewusst um die Arbeit außerhalb des häuslichen Umfelds.

Je nach Problemlage gibt es durchschnittlich zweimal die Woche Treffen in der Beratungsstelle und einmal zu Hause. "Anliegen ist, das Verhalten der Eltern zu ihren Kindern zu thematisieren. Sie für die Belange und Bedürfnisse ihrer Kinder zu sensibilisieren. Sie darauf aufmerksam zu machen, was sich verändert im Zusammenleben mit ihren Kindern, was besser und leichter wird und dass es weniger Probleme im Erziehungsalltag gibt. Es ist eine Veränderung für Kinder und Eltern", sagt Rainer Schnelle.

Gearbeitet wird vor allem mit Eltern von null- bis sechsjährigen Kindern. Ältere Geschwisterkinder bleiben jedoch auch nicht außen vor. Die Familien kommen aus Zerbst und dem Zerbster Umland. Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld gibt es, so Rainer Schnelle, eine weitere Beratung in Köthen, "dort aber in Form einer Tagesgruppe".

"Und auch die Kinder nehmen ja etwas mit."

Eltern- und Erziehungskompetenz stärken, statt die Kinder möglicherweise auch als verhaltensauffällig zu diagnostizieren und mit Medikamenten zu behandeln - darum geht es der Familienwerk-Einrichtung ebenfalls.

Insgesamt kein einfacher Weg. "Für manche Eltern ist es bereits sehr schwer, einfach mal eine halbe Stunde mit ihrem Kind zu spielen", weiß Jutta Sachse aus manchem der Interaktionsnachmittage, die die "Flexible Elternhilfe" mit den Familien organisiert. Und ebenso kommt es vor, dass es schon gute Erfolge in der Arbeit mit den Familien gab und dann durch irgendein Ereignis wieder Rückschläge. Oder, so Rainer Schnelle, "es gab auch Fälle, wo wir gescheitert sind, weil die Hilfe zu spät kam oder die Rahmenbedingungen nicht stimmten". Auch da ist das Familienwerk dann im Austausch mit dem Jugendamt.

Wie wirklich nachhaltig ihre Arbeit ist, können die Verantwortlichen nach den gut zwei Jahren noch nicht sagen. Wie wichtig sie ist schon, nicht nur des großen Bedarfs wegen. Sondern allein auch aus der Veränderung, die in den Eltern vorgeht, wenn sie "die schönen Momente mit ihrem Kind einmal bewusst wahrnehmen. Und auch die Kinder nehmen ja etwas mit".