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Viele Volksstimme-Leser erkennen das einstmals prominente Gebäude auf dem historischen Heimatfoto und schildern ihre Erinnerungen Nur noch eine Legende: Das Neue Haus am Markt in Zerbst

Von Daniela Apel 26.01.2013, 02:17

Zerbst l "Das ist das Neue Haus", identifizieren gestern viele Leser sofort das markante Gebäude auf dem historischen Heimatfoto. "Das ist an der Ecke Markt/Brüderstraße", platzieren sie das Motiv richtig in die Zerbster Stadtmitte. "Heute steht dort das Generationenhaus", erklärt Ronald Peter aus Grimme.

"Ich kenne es nur als Ruine", schildert Helmut Lehmann aus Zerbst, wie dort bis zum Luftangriff Ende des Zweiten Weltkrieges ein Teil der Stadtverwaltung untergebracht war. "Im Rathaus war kein Platz mehr", gibt Lisbeth Straube die Erzählungen ihres Vaters wieder, der in dem eindrucksvollen Bau wie ihr Mann zur Schule gegangen sei. "Ich habe mich sehr gefreut, als ich das Bild heute in der Zeitung gesehen habe." Zugleich erwähnt die Deetzerin die Überlieferung, dass wohl Wallenstein und Mansfeld während des Dreißigjährigen Krieges hier übernachtet hätten ...

"Schade, dass das Gebäude abgerissen wurde", erklärt Gudrun Franke. Sie berichtet vom "riesigen Keller", in dem Obst gelagert wurde. "Es roch nach Äpfeln", sagt sie. Zu DDR-Zeiten sei an der Stelle dann eine feststehende Tribüne errichtet worden und ein Flachbau, in dem es einen Gemüseladen gab. Zudem weiß die Zerbsterin von ihrem Schwiegervater von der einstigen Mädchenmittelschule im Neuen Haus.

"Meine Mutter ging dort zur Schule", verrät Reiner Fritze. Er selbst hat als Junge in den Trümmern des zerstörten Gebäudes gespielt. "Ich habe beobachtet, wie die Zinnen mit Seilen heruntergezogen wurden", plaudert Werner Mittelstraß aus seiner Kindheit. "Die Fassade war noch gut erhalten", bemerkt der Zerbster.

Das kann Helmut Syring bestätigen. "Relativ gut erhalten war das sehr schöne Sandsteinportal. Es existiert wohl noch in Teilen und ich hatte gehofft, es würde bei der Umgestaltung der Marktbebauung einen würdigen Platz bekommen", schickt er mit seinen Erinnerungen nicht nur ein Foto vom schmucken Renaissanceportal mit, sondern ebenfalls vom Abriss der Ruine des Neuen Hauses. Dieses wurde seines Wissens nach zwischen 1537 und 1547 vom Architekten Ludwig Binder erbaut und am 16. April 1945 zerstört.

"Ich habe beobachtet, wie die Zinnen mit Seilen heruntergezogen wurden."

Werner Mittelstraß, Zerbst

"Auf dem kleinen Turm, der nicht zu sehen ist, stand die Luftschutzsirene", entsinnt sich Werner Schmidt. Er erzählt von der Polizeiwache, die sich zu der Zeit in dem Eckgebäude befand. "Rechts daneben war die Grundschule, in der ich 1936 eingeschult wurde, und links das Kolonialwarengeschäft Heinrich." Darüber hinaus schildert der Zerbster, wie er als Polizeimelder am 13. April 1945 auf dem Turm der Nicolaikirche als einer der letzten die Stadt von oben gesehen hat. Den "kleinen Bombenangriff" tags darauf erlebte er während einer Ruhepause auf dem Hof der Polizeiwache mit.

"Schade, dass die schöne alte Stadt so zertrümmert wurde", bedauert Gitta Richter. Zusammen mit zwei weiteren älteren Damen aus dem Pflegeheim "Am Plan" - "Frau Heinrich und Frau Waldhelm" - wartet sie jede Woche auf das Heimatfotorätsel der Volksstimme. "Wir raten immer gemeinsam", gesteht sie, wie das Trio bereits ganz aufgeregt war, als es am Donnerstag die Zeitung auf der Suche nach einem alten Motiv vergeblich durchblätterte. Erst gestern wurden die Drei fündig - der mangelnde Platz war Grund für das Abweichen vom üblichen Erscheinungstag. Doch zurück zum aktuellen Rätselbild. "Das stammt vermutlich aus den zwanziger Jahren", kennt Gitta Richter die Aufnahme ganz genau, die ihr Mann vor einigen Jahren zur Volksstimme gebracht hat. Den Artikel von damals besitzt sie noch.

"Ich freue mich immer, wenn Bilder drin sind, die man kennt", erklärt Erna Gramß aus Zerbst. Auch sie kann das Foto gleich zuordnen. "Da war früher die Knabenmittelschule drin", ist sie nicht die Einzige, die von dieser zeitweiligen Nutzung erzählt. Wolfgang Reich aus Dobritz gehört ebenfalls dazu. Er weist ferner auf die Sonnenuhr an der Ecke des Obergeschosses hin, die etwas schlecht auf der geschichtsträchtigen Schwarz-Weiß-Abbildung zu erkennen ist.

Nicht zu übersehen ist die zwei PS starke Pferdebahn, die auf einer gut 2,2 Kilometer langen Strecke zwischen Markt und Bahnhof pendelte. "Die hat ein Herr Elsner gefahren", berichtet die Zerbsterin Annemarie Gründer von jenem Kutscher, der im Lied über die Pferdebahn verewigt ist, die 1928 als letzte ihrer Art in Deutschland außer Betrieb gestellt wurde.

"Auf dem kleinen Turm, der nicht zu sehen ist, stand die Luftschutz-sirene."

Werner Schmidt, Zerbst

Bis dahin jedoch prägte sie das Straßenbild der Rolandstadt. "Meine Eltern haben ein Pferd an die Pferdebahn verkauft", fällt Günther Elz aus Luso bei der gedanklichen Bilderreise in die Vergangenheit ein. Derweil bemerkt die Zerbsterin Petra Schulze, dass ihr Großvater Pferdebahn- fahrer gewesen sei.

So melden sich gestern viele Leser, die das imposante Eckgebäude als Neues Haus ausmachen - darunter auch der Güterglücker Siegfried Schellin oder Margrit Weimeister aus Deetz. Unter all den zahlreichen Anrufern ist wie immer ein Sachpreis verlost worden. Gudrun Franke darf sich über einen Volksstimme-Kafffeepott freuen, den sie ab Montag in der Zerbster Lokalredaktion auf der Alten Brücke 45 abholen kann.