Urteil verschoben Jagd durch Zerbst

Das Verfahren gegen einen 33-jährigen Zerbster wurde ausgesetzt. Er muss wegen Drogensucht begutachtet werden.

Von Bernd Kaufholz 08.11.2016, 23:01

Zerbst l Die Hetzjagd am Vormittag des 30. September 2015 durch die Zerbster Innenstadt war kinoreif. Ein Rentner-Ehepaar aus Coswig hatte kurz nach 10 Uhr gerade 1000 Euro und Kontoauszüge bei der Volksbank abgeholt, als das kriminelle Geschehen seinen Anfang nahm.

Der 75 Jahre alte Ehemann hatte im Außenbereich der Bank nach einem Briefkasten gesucht, als der Angeklagte der 74-jährigen Ehefrau das Geldbündel aus der Hand riss. „Ich hörte meine Frau rufen: ‚Mein Geld! Mein Geld!‘, dann sah ich wie ein Mann in Richtung Fußgängerzone weglief.“ Er habe den Räuber so gut, wie es in seinem Alter noch gegangen sei, verfolgt.

Nach einigen Metern habe ihm ein älterer Herr gesagt, dass der junge Mann in ein Gebäude gerannt sei, in dem sich Parterre eine Physiotherapie befunden habe. „Ich habe Etage für Etage abgesucht und habe den Dieb dann ganz oben auf dem Boden liegend gefunden. Ich habe ihn gefragt: Was ist mit dem Geld?“ Der Angeklagte sei daraufhin aufgesprungen, habe ihn zur Seite geschubst und ihn dabei am Ringfinger der linken Hand verletzt.

Wieder unten auf der Straße habe er den Täter aus den Augen verloren.

Ob er keine Angst gehabt habe, fragte der Vorsitzende Richter gestern den Zeugen. „Während die Sache lief, nicht, aber später, als ich darüber nachgedacht habe, ist mir schon mulmig geworden“, so der Arzt im Ruhestand. „Er hätte mich ja genau so gut von da oben herunter stoßen können.“

Daniel D. räumte am ersten Prozesstag den Vorwurf des räuberischen Diebstahls ein. Allerdings überraschte er die Prozessbeteiligten mit einer Geschichte über den Verbleib der 1000 Euro, die man so glauben kann, oder auch nicht.

„Als ich aus dem Haus weglief, fuhr ein Mann mit Fahrrad neben mir her. Er hatte ein Handy in der Hand und drohte mir damit, die Polizei anzurufen. Ich habe ihm gesagt: ‚Hier ist das Geld‘ und habe ihm die 1000 Euro gegeben.“

Das Diebesgut kam allerdings nie bei dem Ehepaar aus Coswig an. Der ominöse Fahrradfahrer ist der große Unbekannte des Falls.

Daniel D., der ein ansehnliches Vorstrafenregister vorweisen kann, versuchte dem Gericht zu erklären, warum er vor einem Jahr die Tat begangen hat. „Ich bin seit 15 Jahren auf Droge. Erst Cannabis und Exctasy, seit längerer Zeit Crystal Meth.“ Ein bis zwei Gramm täglich habe er gebraucht - 60 bis 70 Euro. „Ich war von der Drogensucht getrieben und wollte mir immer Geld beschaffen.“ Jetzt nehme er zwar weniger, aber weg vom Rauschgift sei er nicht.

In der Volksbank sei er zufällig gewesen, nicht gezielt, um Leute zu überfallen . Da sei es ihm gerade recht gewesen, dass eine ältere Frau mit Geld in der Hand vor ihm stand.

Daniel D. entschuldigte sich im Gerichtssaal beim Rentnerehepaar. Er bot an, die 1000 Euro in Raten zurück zu zahlen. Der Zeuge aus Coswig: „Wenn ich das Geld wiederhabe, überlege ich mir, ob ich die Entschuldigung annehme. Aber tun Sie so etwas nie wieder.“

Der Dessauer Oberstaatsanwalt Arthur Prause hatte D. allerdings noch wegen weiterer Straftaten angeklagt.

Am 1. Oktober 2015 hatte er sich mit seiner 26 Jahre alten Internet Bekannten in deren Zerbster Wohnung getroffen. „Als ich aufs Klo ging, habe ich im Flur die Handtasche gesehen. Sie war offen, und ich konnte das Portemonnaie erkennen.“ Er habe wieder an Drogen gedacht und zugegriffen. In der Geldbörse seien unter anderem die EC-Karte samt PIN gewesen. „Ich habe dann gesagt, dass ich gehen muss und bin zur Commerzbank hin.“ Um 21.15 Uhr hatte er am Automaten 200 Euro abgehoben. Ein paar Stunden später zwischen 4.11 Uhr und 4.13 Uhr 20, 30 beziehungsweise 40 Euro. Zweimal, je 150 Euro, wurden von der EC-Karte am 6. Oktober nach Einkäufen in einem Zerbster Modegeschäft abgebucht. Dazu der Angeklagte: „Ich habe die Karte nach den Geldabhebungen samt PIN weiter gegeben. Eingekauft habe ich damit nicht.“

Das Schöffengericht entschied am Dienstag, die Hauptverhandlung für unbestimmte Zeit auszusetzen. „Ich hätte ein schlechtes Gefühl, den therapiewilligen Angeklagten ohne Begutachtung seiner Drogenabhängigkeit ins Gefängnis zu schicken.“ Alles liefe wohl auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hin (Paragraph 64 Strafgesetzbuch).

Allerdings dauere es bis zu einer Begutachtung mindestens drei Monate, so van Herck.

Es ist jedoch sehr gut möglich, dass der Angeklagte bis dahin schon wegen einer anderen Verurteilung hinter Gittern sitzt. Das Amtsgericht Magdeburg hatte Daniel D. kürzlich eine Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung ausgesprochen.