1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Wo Sachsen-Anhalts Meter definiert ist

Vermessung Wo Sachsen-Anhalts Meter definiert ist

Die Kalibrierstrecke des Landes Sachsen-Anhalt befindet sich in Golmenglin.

Von Petra Wiese 12.03.2017, 07:00

Zerbst/Golmenglin l Im äußersten Zipfel der Großgemeinde Zerbst, nahe der Grenze zu Brandenburg liegt Golmenglin, idyllisch im Fläming. Die Einwohnerzahl der zu Grimme gehörenden Siedlung ist gerade mal zweistellig. Fuchs und Hase sagen sich hier „Gute Nacht“. Und dennoch ist Golmenglin bedeutungsvoll. „Hier ist der Meter für Sachsen-Anhalt definiert“, erklärt Heiko Sievers, Dezernatsleiter der Grundlagenvermessung im Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt (LVermGeo). Am Ende der Straße hält eine Schranke Unbefugte davon ab, weiter in den Wald zu fahren. Nur mit Ausnahmegenehmigung und für die Forst wird die Durchfahrt gewährt. Doch was verbirgt sich hier?

Neun Granitpfeiler sind es, die hier geschützt in der Abgeschiedenheit aufgestellt sind. Die verteilen sich auf einer Länge von 1850 Metern, stehen nummeriert in unterschiedlichen Abständen entlang der Straße durch den Wald, die irgendwann auf die L120 im Landkreis Wittenberg trifft. Zwei Tonnen Beton bilden das Fundament jedes einzelnen Pfeilers. Der 800 Kilogramm schwere Granitblock ist bis zu einem halben Meter in die Erde eingelassen. Da dürfte eigentlich nichts dran zu rütteln sein!

Vom ersten bis zum neunten Pfeiler reihen sie sich wie Perlen an einer leicht durchhängenden Kette aneinander. Bei dieser Anordnung handelt es sich um die Kalibrierstrecke des Landes Sachsen-Anhalt. 1993 wurde mit dem Bau begonnen. Es gab damals vier mögliche Strecken zur Auswahl, weiß Heiko Sievers. So eine Strecke muss einige Bedingungen erfüllen, muss geologisch stabil sein, gerade, den ungehinderten Blick von Pfeiler zu Pfeiler gewähren, durchweg im Schatten gelegen und kaum vom Verkehr frequentiert sein. Die Wahl fiel auf Golmenglin. Am 26. Oktober 1994 wurde die Strecke eingeweiht und ist seitdem wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung im amtlichen Vermessungswesen des Landes Sachsen-Anhalt.

Die Kalibrierstrecke – unter Kalibrieren versteht man das Feststellen und Dokumentieren der Abweichung der Anzeige eines Messgerätes oder einer Steuereinheit vom richtigen Wert der Messgröße – wurde speziell für elektrooptische Distanzmessgeräte und Tachymeter, die in den 80er Jahren Einzug in das allgemeine Vermessungswesen fanden, eingerichtet. Jedes im amtlichen Vermessungs- und Geoinformationswesen eingesetzte Messgerät muss einmal im Jahr kalibriert werden, lautet die Vorschrift. Das sind 200 bis 250 Geräte jedes Jahr, Geräte vom LVermGeo und von den zirka 50 Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren (ÖbVI) im Land. 5000 Kalibrierungen wurden inzwischen in Golmenglin vorgenommen!

Bei der Kalibrierung werden die Strecken zwischen den Pfeilern nach festgelegten Vorgaben gemessen und bei der Auswertung mit den entsprechenden Sollstrecken verglichen. Die daraus errechneten Korrekturwerte werden dann bei der Messung im Instrument berücksichtigt. Die Messungen werden je nach Einsatz der Instrumente durchgeführt. Für Geräte im Bereich der Liegenschaftsvermessung wird bei der Kalibrierung (bis zu einem Kilometer Messstrecke) über sechs Pfeiler und damit über 15 Teilstrecken gemessen. Bei Geräten, die in der Grundlagenvermessung eingesetzt werden, erfolgt die Kalibrierung über die gesamten 1,85 Kilometer der Kalibrierstrecke und über alle neun Pfeiler mit ihren 36 Teilstrecken. Die Teilstrecken werden mehrfach gemessen.

Für ein Tachymeter braucht es einen halben Tag, erklärt Heiko Sievers. Schließlich müssen das Messinstrument und der Reflektor einschließlich Zentriereinrichtung immer wieder neu auf- und abgebaut werden. Auf dem einen Pfeiler wird das Messinstrument aufgeschraubt. Auf dem zweiten Pfeiler wird das korrespondierende Prisma, das die Lichtstrahlen reflektiert, befestigt.

Erst im vergangenen Jahr hat das LVermGeo das Verfahren zur Auswertung der Kalibrierung von elektrooptischen Distanzmessgeräten modernisiert. Die Auswertung erfolgt jetzt eigenverantwortlich durch den Nutzer – online. Die Auswertesoftware einschließlich Erfassungsprogramm für die gemessenen Strecken wurde in das Portal des LVermGeo integriert. Die Messdaten von der Kalibrierstrecke lädt der Nutzer selbst in das Auswerteprogramm und erhält dann das Ergebnis der Kalibrierung. Erst durch die Kalibrierung ergibt sich die Sicherheit, dass bei einer Messung die Genauigkeiten erzielt werden, die den Anforderungen an eine Grundstücksvermessung oder einer Karte gerecht werden. Denn jeder möchte doch schließlich, dass ein Meter auch tatsächlich ein Meter ist.

Doch auch die Messtrecke selbst muss regelmäßig überprüft werden, die Kalibrierstrecke muss sozusagen kalibriert werden. Das wird alle drei Jahre gemacht. „Eine Sollstreckenbestimmung wird wieder im Herbst 2017 stattfinden“, kündigt Heiko Sievers an. Für die Messungen zur Bestimmung der Sollstrecke wird ein Präzisionsdistanzmessgerät verwendet, das einer höheren Genauigkeitsklasse als die der zu kalibrierenden Instrumente entsprechen muss.

Die Kalibrierung, bei der auch Temperatur und Luftdruck berücksichtigt werden, sichert also, dass das Gemessene am Ende auch stimmt. Ältere Geräte, die den vermessungstechnischen Anforderungen nicht mehr entsprechen, lassen sich rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen und ersetzen. Die Entwicklung der Messgeräte in den vergangenen Jahren ist enorm fortgeschritten. So werden mit den modernen Tachymetern nicht nur Strecken und Winkel gemessen, sondern das Tachymeter überprüft sich mittels diverser integrierter Sensoren selbst.

Normalerweise ist in einem angemessenen Zeitraum nicht mit Veränderungen zu rechnen, abgesehen von äußeren Einflüssen, wie zum Beispiel ein Sturz. Um auf Sicherheit zu gehen, ist so eine Kalibrierung zur Feststellung des Ist-Zustandes eines Tachymeters regelmäßig notwendig.

Äußeren Einflüssen ist natürlich auch die Kalibrierstrecke in Golmenglin ausgesetzt. Ein Baum sollte besser nicht auf einen der Pfeiler stürzen. Regelmäßig wird die Strecke von einer Stackelitzer Firma gepflegt und frei geschnitten. Und auch beim Forstbetrieb findet die Bedeutung der Strecke Berücksichtigung. „Vermessung hat Priorität“, so der Revierleiter im Hohen Fläming Toren Reis. Die Zusammenarbeit klappt, bestätigt Heiko Sievers.

Die Kalibrierstrecke in Golmenglin ist nicht nur für das Vermessungswesen in Sachsen-Anhalt von Bedeutung, sondern für ganz Mitteldeutschland. Sachsen und Thüringen nutzen die Strecke ebenso, denn in diesen Bundesländern gibt es eine solche Strecke eben nicht. Und so ist auch der Meter in den Freistaaten der gleiche, wie der in Sachsen-Anhalt, und genau dieser Meter ist im Wald bei Golmenglin definiert.