Virus Leben mit Corona

Die Volksstimme hat Personen des öffentlichen Lebens in Zerbst gefragt: Wie sieht ihr Leben in Corona-Zeiten aus? Was hat sich verändert?

Von Daniela Apel 27.03.2020, 05:00

Zerbst l Die Volksstimme hat Zerbster gefragt, wie sich ihr Leben durch das Coronavirus verändert hat.

Für Veronika Schimmel, die Direktorin des Zerbster Francisceums, gibt es trotz geschlossener Schulen viel zu tun: „Eine Schule ohne Schüler ist bedrückend. Die Lehrer haben Dienstpflicht und sind, wie sicher die Eltern unserer Schüler bestätigen können, fleißig am Arbeiten.“ Nun erfolgt die Kommunikation fast nur im Netz auf der Moodle-Instanz per Mail oder am Telefon.

Auch privat habe sich einiges für sie geändert: „Ich überlege mir sehr gut, wann ich einkaufen muss, verzichte auf meinem Sport in der Gruppe und auf manch andere angenehme Dinge. Aber dazu hätte ich momentan auch gar keine Zeit. Mit meinen Enkelkindern kann ich nur über die Technik kommunizieren. Das schmerzt.“ Sie verbringe die meiste Zeit am Rechner in der Schul-Moodle-Instanz. „Es ist eine völlig neue Welt. Dabei hatte ich gedacht, dass wir schon ganz gut aufgestellt sind seit wir vor 4 Jahren erst einzeln und dann als Schule unsere Moodle-Instanz immer weiter forciert haben.“

Sie sehe die Einschränkungen als absolutes Muss. „Daher möchten wir auch auf unsere Schüler einwirken, dass diese zuhause sinnvoll beschäftigt sind und nicht in Gruppen in der Stadt anzutreffen sind. Traurig finde ich nur, dass nicht alle Bürgerinnen und Bürger diese Notwendigkeit einsehen, kaum Abstand halten und noch zu wenig auf eigenen Schutz achten. Kein Verständnis habe ich für die immer noch zu beobachtenden ´Hamsterer´.“ Nun telefoniere Veronika Schimmel etwas mehr mit ihren älteren Verwandten und strickt wieder abends.

Bei Martina Stück, Fachbereichsleiterin Kreisvolkshochschule Anhalt-Bitterfeld in Zerbst, ist es beruflich sehr still. Alle laufenden Kurse wurden ausgesetzt, momentane und zukünftige Angebote werden situativ verschoben.

„Unsere Teilnehmenden, Kursleitenden und Interessierten reagierten auf unsere Information über die temporäre Schließung sehr verständnisvoll und kooperativ.“

Für sie verliefe das Privatleben zusammen mit ihrem Mann gegenüber Familien mit Kindern stressfreier. „Für das kommende Wochenende hatten wir eine kleine Familienfeier geplant, diese reduziert sich nun auf Telefonkontakte.Es hat alles seine Zeit und die Zeit zum Feiern kommt auch wieder. Davon bin ich überzeugt.“ Mit ihrem Mann bleibe sie weiter aktiv, so setzen sie ihr Gartenprojekt jetzt schon um.

Sie versucht gelassen mit der Krise umzugehen: „Ich denke, wir müssen lernen, bestimmte momentane Sachlagen anzunehmen. Wenn wir unseren Unmut lauthals äußern oder in Panik verfallen - ändern wir trotzdem nichts an der Gesamtsituation.“

Tatyana Nindel, Vorsitzende des Internationalen Fördervereins Katharina II, sieht die derzeitige Corona-Krise als eine Art Botschaft an die Menschen, die wachgerüttelt werden sollen. „Die Menschheit wollte die Welt verändern. Manche haben sich damit beschäftigt, manche nicht. Aber seit einigen Tagen hat sie es für uns gemacht. Und jetzt sollen wir damit klar kommen.“ Sie versuche das Positive zu sehen, dankbar für Freunde zu sein und dass wir jetzt so viel Zeit zusammen verbringen können. „Mein Mann und ich sind beide selbständig und haben früher 7 Tage der Woche von morgens bis abends gearbeitet. Jetzt ist 90 Prozent der Zeit am Tage frei geworden. Und wir machen daraus das Beste – mit unserem Kind viel zu spielen und zu spazieren, Arbeit zuhause zu erledigen, für die es nie Zeit gab, Sport zu machen, etwas Neues auszuprobieren und zu lernen.“

Für sie sei Selbstdisziplin wichtiger denn je. Sonst versinke man in sozialen Medien, in Serien und Fernsehen. „So versuche ich mein Leben in dieser Zeit zu meistern, mit viel Selbstdisziplin, Hoffnung und Optimismus, Fürsorge für meine Familie“, teilt sie mit.

Gundel Schayka, Bürgermeisterin von Steutz, erzählt, dass sich beruflich nicht viel für sie gerändert habe: Ich arbeite im öffentlichen Dienst auf einer Kläranlage und mache dort die Buchhaltung. Ver- und Entsorgungsbetiebe sind von den Einschränkungen nicht betroffen. Meine Aufgabe als Bürgermeisterin bestand darin alle unseren öffentlichen Einrichtungen wie Bürgerhaus, Bücherei, Turnhalle, Jugendklub dicht zu machen.“

Sie ist weiterhin für Bürger telefonisch erreichbar. Ihr Terminkalender sei nach vor gefüllt und sie habe mal richtig Zeit für sich selbst. Langeweile kenne sie nicht: Ich habe für einen guten Freund einen Gartenzwerg bemalt, töpfere oder bastele hübsche Dekoartikel, gehe in meinen Garten, würde aber auch mal gerne wieder ein gutes Buch lesen. Familie ist mir immer sehr wichtig, wir helfen einander und unterstützen bei der Kinderbetreuung.“ Doch auch da zähle der gesunde Abstand und erzählt weiter: „Was mich auch sehr beschäftigt hat, dass meine Freundin im Krankenhaus lag und ich sie nicht besuchen konnte. Jetzt ist sie wieder zu Hause und ich kann ihr den selbst getöpferten Glücksbringer an die Tür hängen. Denn ein bisschen Glück brauchen wir jetzt alle.“

Für Bürgermeisterin in Leps, Anika Johannes aus Eichholz, steht das Leben derzeit auf Kopf: „In der Zeit wo viele zu Hause bleiben müssen, heißt es für mich in der Arztpraxis ranhalten. Die Krankheiten von unseren Patienten stehen nicht still. Dazu kommen fast stündlich neue Informationen, wie man sich verhalten soll oder auch nicht, aber vor allem wie man sich um Patienten mit Coronaverdacht kümmern soll.“ Die Schutzkleidung verlange einem körperlich viel ab. Mit Maske, Schutzvisier, Schutzmittel, Handschuhen, Haarnetz und Füßlingen hält man es knapp 3 Stunden durch. Nach jedem Verdachtsabstrich wird alles gewechselt. „Ja, die Arbeitsbedingungen sind mittlerweile knallhart. Aber nach der Arbeit geht es zu Hause im Dauerlauf weiter“, teilt Anika Johannes mit. Hausaufgabenkontrolle, neues Wissen vermitteln und Instrumente üben stünden noch an.

Damit der Sport nicht zu kurz kommt, springt sie Trampolon, fährt sie mit dem Fahrrad. Jetzt kocht und backt sie für den nächsten Tag vor. „Es ist nicht viel Zeit zwischen Familie, Haushalt und Arbeit, aber wir leben gerade und das sehr intensiv.“ Von Stress, zu viel Informationen bis hin zur Quality Time mit der Familie sei alles dabei. Sie erzählt weiter: „Man ist etwas dünnhäutiger und emotionaler geworden, auch die Ungewissheit wie lange diese Situation noch anhält oder was danach kommt bringt mich immer wieder ins Grübeln.“ Doch die Hauptsache sei, dass man trotzdem im Alltag noch etwas zum Lachen habe.

„Und wenn ich so drüber nachdenke, freue ich mich jetzt schon auf die erste große Grillfete mit der Familie und Freunden, wenn man sich endlich wieder unbeschwert treffen kann. Ja, wir werden noch etwas durchhalten müssen, aber wir wissen ja, wofür wir es machen,“ meint Anika Johannes zuversichtlich.

Annemarie Reimann aus Grimme, Mitarbeiterin an der Hochschule Anhalt, hat jetzt mehr Freizeit, die sonst weniger vorhanden sei: „Mein Garten wird dieses Jahr sicherlich gepflegter in die Saison starten. Beruflich arbeite ich momentan von zu Hause aus.“ Die Hochschule Anhalt wird voraussichtlich den Lehrbetrieb nach dem 20. April aufnehmen. Bis dahin heißt es, begonnene Bachelor- und Masterarbeiten online beziehungsweise telefonisch zu betreuen, Vorlesungen netzfähig zu machen und neue Semesteraufgaben zu formulieren. Praktische Bauforschung mit Studenten zu Beispiel an der Klosterruine in Memleben müssen da erst einmal zurück gestellt werden, erzählt Annemarie Reimann.

„Meine zwei studentischen Kinder sind von der Regelung des späteren Semesterbeginns auch betroffen. Sie haben jetzt die Chance, praktische Erfahrungen in der Landwirtschaft in einem regionalen Betrieb sammeln zu dürfen.“ Da sie in einem ein Mehrgenerationenhaushalt lebt gelte es vor allen Dingen darum, ihre Mutter gesund zu erhalten. Durch den Garten und den kleinen landwirtschaftlichen Betrieb habe sie genug Arbeiten und vermisse eigentlich nichts.

Der Bornumer Ortschef Mario Rudolf aus Garitz ist nun viel mehr Zuhause, so gut wie immer. „Wir sind viel mehr zu Hause, eigentlich immer. Natürlich verhalten wir uns ganz vorsichtig, waschen uns viel mehr die Hände und achten auf wenig bis gar keine persönlichen Kontakte.“

Er habe das Glück, ein Arbeitszimmer Zuhause zu haben. Von dort aus arbeite er nun. Seine ehrenamtlichen Abendtermine seien nun weggefallen. „Es ist ziemlich ruhig. Man kommt runter. Das Leben muss weiter gehen. Wir passen jetzt besser auf, welche Wege notwendig sind und wie wir sie durchführen. Sind wir manchmal täglich zwei bis dreimal nach Zerbst gefahren, versuchen wir es nun nur noch ein und zweimal die Woche.“ Seine Familie versucht mehr per Telefon zu regeln, Freunde und Verwandte treffe er nicht mehr. „Das schmerzt sehr. Aber ich glaube das hilft uns allen am besten. Wir halten telefonisch Kontakt und per Videoanruf.“ Seine Tochter Pauline sei sehr traurig, dass sie nicht mehr zu Oma und Opa rüber gehen kann. Sie hat jedoch viel Beschäftigung, da ja zur Schule gehen untersagt ist. Zu den Sachen, zu denen Mario Rudolf jetzt mal komme, gehört Papierkram abarbeiten, Bücher lesen, ein Hochbeet für seine Frau im Garten bauen, Brennholz für den nächsten Winter selber machen, kleine Reparaturen im Haus, die man er schon immer erledigen wollte und immer Gründe fand, dass das jetzt nicht so wichtig sei und es deshalb liegen bleibt.

Ortsbürgermeister von Deetz, Tobias Böttcher (SPD), führt nun ein zurückgezogenes Leben. Beruflich sei in seinem ersten Job nicht viel los. Die arbeitsintensive Zeit der Bauern beginnt erst. „In meinem Job als Ortsbürgermeister ist es ein echter Einschnitt. Alle geplanten Veranstaltungen im ersten Halbjahr fallen bis jetzt aus. Das Sommerfest im August haben wir aufgrund der schlechten Planungslage ins nächste Jahr verschoben. Wir können und wollen kein menschliches und finanzielles Risiko eingehen.“ Die Besuche zu den runden Geburtstagen könne er aufgrund der Gefährdung der Jubilare nicht durchführen. Beruflich wird mehr Abstand gehalten. Versammlungen finden nicht statt. Die sozialen Kontakte werden auf das nötigste reduziert oder per Videochat sicher gestaltet. Das Gute daran: „Ich kann endlich mal den Stapel an Papieren sortieren und wichtige Sachen so gut es geht abarbeiten.“

Pfarrer Albrecht Lindemann aus Eichholz fällt es schwer, Gottesdienste abzusagen, auf die sich viele vorbereitet und gefreut hatten. „Das Leben sieht anders aus, als es ist. Es scheint ruhig zu sein und ist doch voller Unsicherheit“, teilt er mit.

Doch was Bestand hat, sind die Termine der Bürokratie. Beruflich fallen die persönlichen Begegnungen fast ganz aus. „In der Familie sieht man sich umso öfter. Die Termine der Kinder fallen weg, das ist viel mehr als nur die Schule, erzählt der Pfarrer. Die Arbeit verlagert sich stark an den heimischen Schreibtisch. Er fährt nun auch viel weniger mit dem Auto. „Leider endet das fröhliche Miteinander schon am Gartenzaun. Die Nachbarn möchte ich nicht gefährden oder beunruhigen.“ Das sei ziemlich verdrießlich. Doch „ich suche beständig nach Möglichkeiten sozialer Kontakte, die niemanden gefährden. Ich mache viele Dinge, die ich nicht machen wollte. Und ich denke oft an Menschen, die ich gern treffen oder besuchen würde.“

Landtagsmitglied Holger Hövelmann (SPD) sagt: „Die Situation ist für uns alle nicht einfach. Wir haben alle eine Verantwortung uns so zu verhalten, dass möglichst viele Menschen gesund bleiben: wenige direkte Kontakte, Abstand halten und nicht unnötig das Haus verlassen.“ Beruflich würde jetzt viel mehr telefonisch, per Mail oder in Telefonschaltkonferenzen kommuniziert. Viel erledige er zur Zeit von Zuhause aus. „Mein Wahlkreisbüro ist dennoch täglich von 9 bis 12 Uhr erreichbar. In der kommenden Woche gibt es zwei außerordentliche Landtagssitzungen. Der Landtag muss ja trotzdem in der Lage sein, seine Aufgaben wahrzunehmen“, betont Hövelmann. Es gehe darum, schnelle finanzielle Hilfe für Arbeitnehmer, Unternehmen und Familien zu organisieren sowie die Information schnell an die richtigen Stellen zu bringen. Dies sei eine tägliche Herausforderung. Die Zahl der Hilfsanfragen von betroffenen Bürgern und Unternehmen habe deutlich zugenommen. „Meine Frau fährt weiterhin täglich zur Arbeit. Manch zusätzliche häusliche Aufgabe und lange liegengebliebenen Dinge werden jetzt abgearbeitet. Daneben kümmern wir uns um unsere über achtzigjährigen, pflegebedürftigen Mütter. Da braucht es auch viel menschlichen Beistand und Hilfe“, sagt der Zerbster Politiker. Hövelmann: „Wir sind füreinander da und helfen bei Einkauf, Wäsche, Essen, Medikamenten oder einfach durch ein Gespräch, das die Sorgen nehmen soll.“ Für den Ausgleich an der frischen Luft helfe ihm die Arbeit im Garten, der im Frühling genügend Pflege brauche „und hin und wieder die Betreuung unserer Enkelkinder, die nicht in die Kita dürfen. Im Freundeskreis wird jetzt viel mehr telefoniert und über WhatsApp kommuniziert als sonst. Aber auch diese Kontakte wollen wir in diesen Zeiten nicht missen.“

Auch für Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) haben sich die täglichen Routinen verändert. „Dazu kommt eine Daueranspannung, die wohl jeder von uns in sich trägt. In der Informationsflut schwingt auch immer die Frage mit, ob wir richtig handeln, machen wir zu viel oder zu wenig. Ich versuche möglichst da und erreichbar zu sein, um organisatorisch helfen zu können und kann mich dabei auf eine tolle Mannschaft im Rathaus und in unseren Einrichtungen stützen“, betont Dittmann. Am spürbarsten sei für ihn der Wegfall von Terminen, vor allem abends und am Wochenende. „Dafür bin ich umso mehr online erreichbar. Natürlich fehlt der direkte Kontakt im Freundeskreis. Auch hier muss das Telefon Ersatz leisten. Es ist auch ein Unterschied, wenn die Partnerin derzeit Zuhause ist“, so der Bürgermeister und ergänzt: „Ich bin froh, den Garten gleich hinterm Haus zu haben. Statt Sportstudio wird nun zu Hause gesportelt und zum Runterkommen hat sich bei uns der sonntägliche Spaziergang durch die Elbauen ergeben.“ Auf die Frage, ob er jetzt mehr Zeit für bestimmte Dinge habe, die er schon lange nicht mehr gemacht hat oder schon immer mal machen wollte, sagt der Rathauschef: „Nein, nicht wirklich. Dafür ist der Kopf nicht frei.“