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Zerbst Weihnachten im Biedermeier

Erst vor etwa 150 Jahren - in der Biedermeierepoche - entwickelte sich Weihnachten zu einem besinnlichen Fest, wie wir es heute kennen.

Von Heinz Jürgen Friedrich 25.12.2017, 04:00

Zerbst l Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir Weihnachten als Familienfest feiern. Die Eltern Geschenke für ihre Kinder auswählen und gut verstecken in der Vorfreude auf die überraschten und begeisterten Kinderaugen, wenn die an Heilig Abend in großer Erwartung das Geschenkpapier aufreißen. Erst vor 150 Jahren, im Biedermeier, entwickelte sich Weihnachten zu dem besinnlichen Familienfest, wie wir es auch heute noch begehen. Das Anwachsen der Spielzeugproduktion in der Zeit lässt die zunehmende Hinwendung der Gesellschaft zu den Kindern erkennen. Das war bis dahin keineswegs so. Mit der veränderten, zunehmend bürgerlich geprägten Sicht auf Kindheit im 18. und 19. Jahrhundert beginnt auch eine pädagogisch-wissenschaftlich-didaktische Auseinandersetzung mit Kindheit, in der die Kreativität und motorische Geschicklichkeit anregendes Spielzeug seinen Weg in die Kinderzimmer fand. Auch der Tannenbaum, heute nicht mehr wegzudenken, hielt erst in jener Zeit Einzug in Häuser. Ebenso wie zu einer unserer schönsten Traditionen der Adventskranz gehört. Johann Hinrich Wichern (1808-1881) gründete in Hamburg das „Rauhe Haus“, ein Heim „zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“.

Um den Kindern in der Adventszeit die Fragen, wann denn nun Heilig Abend sei, zu verkürzen, hat Wichern, so die Legende, 1839 ein großes Wagenrad mit vier weißen Kerzen für die Adventssonntage und bis zu 24 kleinen Kerzen zum Kranz umfunktioniert. Jeden Tag wurde eine Kerze entzündet und die Kinder konnten die Tage bis Weihnachten zählen. Dem Biedermeier ist auch die Erfindung des Weihnachtsmannes zu verdanken, jener vollbärtigen Autoritätsperson, die die guten Kinder belohnte und die ungezogenen bestrafte. In dieser Zeit wurden viele Lieder populär, die heute noch jedes Weihnachten begleiten, so zum Beispiel das 1820 getextete Volkslied „ O Tannenbaum“ oder die 1841 von Hermann Kletke bearbeitete Volksweise „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“.

Für den Handel ist das Weihnachtsfest ein gutes Geschäft. Das war auch schon im Jahre 1840 so, als Handwerker und Geschäftsleute in der Vorweihnachtszeit in der „Zerbster Extrapost“ bei den rund 9000 Einwohnern der Stadt für ihre Artikel warben.

Drechsler Haack auf der Heide bot Balgpuppen aus Leder, Gliederpuppen, die stehen und sitzen konnten, Wachspuppenköpfe mit Glasaugen und echtem Haar, Kasperlefiguren und Tiere aus Pappmaché und Holz an. Drechsler Pendler hatte Menagerien aus Holz, Städte und Dörfer zum Aufbauen sowie Puppenmöbel im Angebot. Besondere Kostbarkeiten gab es bei Heinrich auf der Alten Brücke zu bewundern und zu kaufen. Auf dem Markt bot Gürtlermeister Franke Lederwaren wie Schaukelpferde, Steckenpferde und Schulmappen an. In der Breite Straße bei Buchhändler Gaul konnte man Bilderbücher sowie Schreib-, Brief- und Zeichenpapier erwerben.

Auch die Lebensmittelhändler stellten sich auf das Weihnachtsgeschäft ein. So leistete man sich einmal etwas Ausgefallenes wie Kaviar, Hamburger Rauchfleisch, Dresdner Dampfschokolade oder echten Champagner, in der „ Extrapost“ inseriert von den Händlern Glöckner, Bartels und Schmidt.

Doch wie viele Zerbster konnten sich diese erlesenen Dinge leisten? Aus dem Jahr 1831 ist eine Geschenkaufstellung für die Kinder der Zerbster Armenschule erhalten. Direktor Kölling, der selbst aus ärmsten Verhältnissen stammte und die Not seiner Schützlinge kannte, ließ bei den wohlhabenden Bürgern der Stadt sammeln und verteilte an die Schüler Röcke, Hosen, Hemden Mützen, Strümpfe und Handschuhe, nebst einer kleinen Zugabe an Esswaren. Die Armenschüler freuten sich sicher sehr darüber, denn ihre Eltern konnten ihnen keinen Gabentisch decken. Für so manchen blieb trotz allem nur der Blick in die hell erleuchteten Schaufenster und der Traum von all den herrlichen Spielzeugen.