1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Musik
  6. >
  7. Wenig Ruhm, viel Leidenschaft: Chris Farlowe wird 80

Out Of Time Wenig Ruhm, viel Leidenschaft: Chris Farlowe wird 80

Die Rolling Stones gaben ihm ihre Songs. Mit "Out Of Time" landete Chris Farlowe einen Nummer-eins-Hit in den 60ern. Noch heute holt Van Morrison den Sänger mit der markanten Stimme regelmäßig auf die Bühne. Doch der große Erfolg blieb Chris Farlowe verwehrt.

Von Philip Dethlefs, dpa 12.10.2020, 10:50

London (dpa) - Sich einen genauen Überblick über das Werk von Chris Farlowe zu verschaffen, ist gar nicht so leicht. Die genaue Zahl der Veröffentlichungen, an denen der Musiker in den vergangenen sechs Jahrzehnten mitgewirkt hat, lässt sich kaum ermitteln.

"Als ich das letzte Mal gezählt habe, waren es etwa 60 Alben", berichtet Farlowe im Telefonplausch mit der Deutschen Presse-Agentur in London, "und etwa genauso viele Singles."

Der britische Rock-, Blues- und Soul-Sänger, der 1966 einen Nummer-eins-Hit mit der Single "Out Of Time" hatte, genießt bei Musikkennern einen exzellenten Ruf. Doch anders als vielen seiner Weggefährten gelang Chris Farlowe nie der große Durchbruch. Jetzt wird der Mann mit der kräftigen Bluesstimme 80 Jahre alt (13. Oktober).

Bis heute gibt er regelmäßig Konzerte und ist auch in Deutschland immer wieder unterwegs. Zuletzt trotzte er der Coronavirus-Krise und stand - wie schon häufiger - als Gast bei Konzerten von Rhythm-&-Blues-Veteran Van Morrison in London auf der Bühne. Musikerkollegen schätzen Farlowe, schwärmen von ihm.

Seit Jahren ist ein Dokumentarfilm über ihn in Arbeit. Wann er fertig wird, ist offen. Der Titel steht aber schon fest: "Out Of Time". Immer wieder "Out Of Time" - der Song prägte Farlowes Leben, das mitten im Zweiten Weltkrieg begann. Als John Henry Deighton kam er am 13. Oktober 1940 im Nord-Londoner Stadtteil Islington zur Welt.

Seine Musikerkarriere nahm in den 50er Jahren ihren Lauf. Farlowe spielte mit wechselnden Bands und unter wechselnden Namen. Er sang mit der John Henry Skiffle Group und dem Johnny Burns Rhythm And Blues Quartet. Mit den Thunderbirds nahm er mehrere Singles auf. BBC-Mitschnitte von damals klingen noch heute beeindruckend.

Ohne Wissen der Thunderbirds veröffentlichte die Plattenfirma deren Aufnahme "Stormy Monday Blues" unter dem Pseudonym Little Joe Cook. Das führte bei Käufern zu der Annahme, es handle sich bei Farlowe um einen schwarzen Sänger - was möglicherweise beabsichtigt war.

Andrew Loog Oldham, damals Manager der Rolling Stones, nahm Farlowe bei seinem Plattenlabel Immediate unter Vertrag. Stones-Frontman Mick Jagger gab ihm den Song "Think", Farlowe landete mit seiner Version immerhin auf Platz 37 der britischen Hitparade. Die Stones brachten ihre Aufnahme kurze Zeit später auf dem Album "Aftermath" raus.

Auf der B-Seite dieser Platte war auch der Song "Out Of Time". Jagger produzierte davon eine deutlich kürzere Coverversion für Farlowe, der damit 1966 einen Volltreffer landete. "Ich war Nummer eins in der Woche, in der England die Fußball-Weltmeisterschaft gegen Deutschland gewonnen", erinnert sich Farlowe, "des war eine fabelhafte Woche, es war großartig." Bei einer Feier zum 50. Jubiläum des WM-Titels sang er den Song 2016 vor begeisterten Fußballfans.

Wenn er spricht, klingt Chris Farlowe fast etwas heiser. Das war schon in den 60er Jahren so - es täuscht aber. Sobald er zu singen beginnt, wird die ganze Kraft seiner Stimme deutlich. Er nahm noch mehr Stones-Nummern auf, darunter "Paint It, Black" und "(I Can't Get No) Satisfaction". Weitere Singles waren "Handbags and Gladrags", das immer noch ein Standard bei Farlowes Konzerten ist, und "My Way of Giving", das ursprünglich von einem Album der Small Faces stammt.

Davon, dass ihm der große kommerzielle Erfolg verwehrt blieb, ließ sich Farlowe den Spaß an der Musik nie verderben. Er bereue nichts, versichert er. "Mit Colosseum habe ich ja in großen, großen Stadien gespielt", betont er. Mit der Jazz-Rock-Band trat der Sänger in den 70er Jahren und später nochmal in den 90ern auf. Mit der Gruppe Atomic Rooster nahm er zwei Alben auf und machte deren Progressive-Rock-Sound funky.

Später erspielte er sich mit der Hamburg Blues Band - hauptsächlich in Deutschland - eine treue Fangemeinde. Zuletzt mussten einige Auftritte wegen der aktuellen Lage verschoben werden.

Im Trailer zu dem unfertigen Dokumentarfilm über Chris Farlowe sagt eine Stimme aus dem Off: "Ich bin mir sicher, dass er sich selbst als Sänger betrachtet, denn dafür ist er berühmt. Aber die meiste Zeit seines Lebens verbringt er damit, andere Dinge zu tun."

Auf dem Camden Market in London hat Farlowe einen Handel für alte Schallplatten. Früher betrieb er ein Antiquitätengeschäft. Der Laden hieß - wie könnte es anders sein - "Out Of Time". Bei einem Anruf unter der Telefonnummer, die immer noch im Internet zu finden ist, nimmt Farlowe in der Regel selbst ab und meldet sich mit den Worten "Out Of Time". Den Laden habe er seit zehn Jahren nicht mehr, sagt Farlowe und stellt klar: "Ich bin gerade im Musikgeschäft."

© dpa-infocom, dpa:201012-99-911191/2

Website zur Doku "Out Of Time"

The Hamburg Blues Band