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Umweltministerin Hendricks: "Es gibt keine Atom-Renaissance"

09.02.2014, 07:03

Berlin - Alle reden über die Energiewende - doch die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters werden die Politik noch lange beschäftigen. Die neue Umweltministerin Hendricks glaubt nicht an eine Atom-Renaissance - und hofft, dass der Bund vor Gericht mit dem Ausstieg besteht.

Der Schreibtisch ist übersichtlicher als der ihres Vorgängers Peter Altmaier (CDU), wo sich Aktenberge türmten. Barbara Hendricks ist noch in der Einarbeitungsphase als Umweltministerin. Die bisherige SPD-Schatzmeisterin will zeigen, dass sie mehr ist als eine Ressortchefin im Schatten des mächtigen Wirtschafts- und Energieministers Sigmar Gabriel (SPD). An ihn musste das Umweltministerium die Ökoenergie-Zuständigkeiten abgeben - aber die Abwicklung der Atomkraft bleibt Hendricks Aufgabe. Und sie ist es, die bis 2015 den Weltklimavertrag mitaushandeln soll.

Frage: Frau Ministerin, fast vergessen sind die Klagen gegen den Atomausstieg. Der schwedische Vattenfall-Konzern klagt vor einem US-Gericht - und soll sehr gute Chancen haben zu gewinnen. Muss der Steuerzahler milliardenschweren Schadenersatz zahlen?

Hendricks: "Ich hoffe nicht. Das Verfahren wird auf Seiten der Bundesregierung vom Wirtschaftsministerium geführt. Wir halten die Klage in Teilen für unzulässig und unbegründet und sind guten Mutes, dass wir die besseren Karten haben. Aber wie Sie wissen: Vor Gericht und auf hoher See sind Sie in Gottes Hand."

Frage: Eon und RWE klagen ja auch, und zwar vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den gesamten Atomausstieg. Hat der Bund für den Fall einer Niederlage Rückstellungen gebildet?

Hendricks: "Wir sind überzeugt, dass die Klage abgewiesen wird. Rückstellungen bildet der Bund grundsätzlich nicht, weder für diesen noch für andere Fälle."

Frage: Ein weiteres Problem: Sie müssen rasch klären, wohin die noch 26 ausstehenden Castor-Behälter aus der Wiederaufarbeitung im Ausland sollen. Setzen Sie als notwendigen dritten Standort auf Biblis?

Hendricks: "Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben sich grundsätzlich bereiterklärt, Castoren aufzunehmen, verbunden mit folgender Bedingung: Wir machen das nur, wenn noch ein dritter Standort in einem anderen Land gefunden wird. Noch liegt kein drittes Angebot vor, und ich bin da gar nicht auf Biblis festgelegt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das mit den Ländern bis Ostern klären können. Entscheidend wird die Frage sein, wie wir unter fachlichen Gesichtspunkten die größtmögliche Sicherheit gewährleisten können."

Frage: Letztes Jahr wurde der Neustart bei der Endlagersuche ausgerufen, eine Kommission soll bis Ende 2015 die Grundlagen dafür erarbeiten. Sie sollte eigentlich längst stehen und arbeiten...

Hendricks: "Die Fraktionen des Bundestages arbeiten daran. Zu klären ist beispielsweise, wer den Vorsitz in der Kommission übernehmen soll. Auch hier rechne ich mit Einvernehmen in absehbarer Zeit."

Frage: Kommen wir zur Energiewende. Wie kann der Bund die Bedenken aus Brüssel gegen die Industrie-Rabatte bei der Energiewende zerstreuen?

Hendricks: "Indem wir die Privilegien bei der Ökostrom-Umlage und der Netz-Umlage auf solche Branchen zurückführen, die tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen. Die Kommission wird sich kaum unserem Anliegen verschließen können, dass wir unsere Industrie-Arbeitsplätze in energieintensiven Branchen wettbewerbsfähig halten müssen. Bisher unterstellt die Kommission irrigerweise, dass der freie Wettbewerb behindert werde, weil beim Ökostrom angeblich Subventionen gezahlt werden. Das ist aber eine sehr kurze Gedankenkette."

Frage: Während Deutschland die Energiewende vorantreibt, forciert Großbritannien den Bau neuer Kernkraftwerke. Halten Sie eine Atom-Renaissance in Europa für möglich?

Hendricks: "Nein, das glaube ich nicht. Es gibt Länder wie Großbritannien, die auch künftig der Atomkraft in ihrer Energiepolitik einen großen Stellenwert geben wollen. Aber deswegen kann man noch nicht von einer Renaissance sprechen. Dazu würde ja ein Ausbau von Atomenergie-Kapazitäten in Europa gehören."

Frage: Gibt es den nicht in einigen Ländern?

Hendricks: Das kann ich nicht erkennen. Es gehen ja mehr Atomkraftwerke vom Netz als neue gebaut werden. Schauen Sie nach Finnland: Dort laufen die Kosten für ein neues AKW aus dem Ruder. Kein Investor lässt sich auf das Abenteuer Atomkraft ein, wenn er nicht sicher sein kann, dass es sich für ihn lohnt. Das funktioniert nicht ohne staatliche Beihilfen oder indirekte Hilfen über garantierte Mindeststrompreise. Das hat aber mit Marktwirtschaft wenig zu tun. Deswegen wage ich die Voraussage: Was die Finnen nicht hinkriegen, schaffen die Briten auch nicht ohne Subventionen. Und während wir beim Atomausstieg voranschreiten, haben wir auch die Technologien bei den erneuerbaren Energien entwickelt."

Frage: Ja, aber trotz Energiewende steigt der CO2-Ausstoß das zweite Jahr in Folge. Brauchen wir nicht eine CO2-Steuer für alte Kohlekraftwerke?

Hendricks: "Sie wissen, dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen auf keine einzige neue Steuer verständigt haben. Wir haben vereinbart, dass der EU-Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument das Mittel der Wahl ist und bleibt. Wir müssen ihn allerdings ertüchtigen und flott machen. Wir dringen darauf, dass dies spätestens 2016 geschieht - nicht erst 2020, wie die EU-Kommission es will. Die Verschmutzungszertifikate müssen endlich wieder einen vernünftigen Marktpreis bekommen, dann werden sich moderne hocheffiziente Gaskraftwerke auch wieder gegen die Konkurrenz von Kohlekraftwerken am Markt behaupten können."


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