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Denis Scheck im Volksstimme-Interview "Zu Hause lese ich am liebsten"

Der Literaturkritiker Denis Scheck ist am Sonnabend, 21. März, im Havelberger ArtHotel zu erleben. Bekannt ist er aus seiner TV-Sendung "Druckfrisch" und aus der Volksstimme. Redakteurin Andrea Schröder unterhielt sich mit dem Mann, der als origineller und witziger Kritiker gilt.

19.03.2015, 01:26

Volksstimme: Gerade wurde die Leipziger Buchmesse beendet. Bringen Sie Ihren Zuhörern in Havelberg Neues von dort mit und wenn ja, was?
Denis Scheck: Ich habe mich sehr über die neuen Romane von Peter Richter "89/90" und Sibylle Bergs "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" gefreut. Exzeptionell fand ich auch Leif Randts "Planet Magnon".

Welche Entdeckungen haben Sie dort gemacht?
Einen Jahrhundertroman wie "Horcynus Orca" des Italieners Steffano D`Arrigo in der Übersetzung von Moshe Kahn entdeckt man nicht alle Tage. Sehr gefreut hat mich die Auszeichnung von Jan Wagner mit dem Leipziger Buchpreis. Lyrik sollte eine viel größere Rolle in unserem Alltag spielen.

"Das demokratische Prinzip ist in der Kunst eine Bankrotterklärung."

Viele Lesefreudige orientieren sich an Bestsellerlisten, um nach einem guten Buch zu suchen ...
Das ist extrem töricht. Da könnten sie ebenso gut bei Aldi Trüffel suchen. Bestsellerlisten reflektieren den kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks. Gibt es geistlosere Musik als Charthits? Hängt in unseren Museen Kaufhauskunst? Wer richtet sich in der Mode oder beim Essen und Trinken nach dem Meistverkauften? Das demokratische Prinzip, also die Frage, was die Mehrheit konsumiert, ist in der Kunst eine Bankrotterklärung.

In Ihrer Sendung "Druckfrisch" in der ARD rutschen viele dieser "Bestseller" vom Kofferband. Sind Ihre Ansprüche an ein Buch zu hoch?
Nein, der Schwachsinn der meisten dieser Schriften ist in der Regel auch für Zwölfjährige durchschaubar. Insbesondere sogar von denen - denken Sie nur an des Kaisers neue Kleider.

Was halten Sie generell von Bestsellerlisten?
Sie sind sehr wichtig zur Erinnerung an Arno Schmidts Diktum, wonach das Volk Kunst meist nur in Verbindung mit Dünger oder Honig erkennt.

Wo findet der Literaturfreund Tipps für gute Bücher?
In den Feuilletons guter Zeitungen, in den literaturkritischen TV- und Radiosendungen der öffentlich-rechtlichen Sender, nicht zuletzt in guten Buchhandlungen, wo gebildete Buchhändler Beratung bieten und keine stupiden Algorithmen Lesetipps auswerfen.

Wie viele Bücher lesen Sie in einer Woche?
Drei bis vier.

Lesen Sie jedes Buch, das Sie bewerten, tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite? Was ist, wenn Sie das Geschriebene langweilt?
Ja, aber nur, wenn ich in der Öffentlichkeit über das Buch sprechen muss - sonst beende ich die Lektüre natürlich. Ich bin ja kein Masochist. Aber wenn Sie bei einer Abendgesellschaft neben einem Langweiler platziert werden, können Sie in der Regel auch nicht einfach weglaufen.

Wo lesen Sie am liebsten?
Sie werden lachen: zu Hause.

Wenn Sie in einem Tausend-Seiten-Buch mitten beim Lesen neugierig auf das Ende sind - luchsen Sie dann schon mal zu den letzten Seiten?
Nein.

Was ist für Sie ein unterhaltsames Buch?
Eines, das sich nicht anbiedert, das die Intelligenz seiner Leser nicht unterschätzt und Respekt vor dem Medium Literatur hat.

Nach welchen Kriterien beurteilen Sie ganz grundsätzlich Bücher?
Jeder Text stellt die Kriterien, nach denen er bewertet werden möchte, selbst auf. Die sind bei einem Krimi andere als bei einem Kochbuch.

Lesen bildet. In Schulen lassen sich die Jüngeren noch begeistern vom Lesen. Das Interesse lässt dann oftmals nach, im Unterricht angebotene Bücher werden zur Pflichtlektüre, bereiten keinen Spaß. Können Lehrer was tun, um Lesefreude zu fördern?
Wahrscheinlich wäre die effektivste Leseförderung eine Art schwarzer Pädagogik, also Lesen strikt zu verbieten und mit harten Stockschlägen zu sanktionieren. Die so entstehende Aura des Verbotenen müsste dazu führen, viele heimliche Leser heranzuerziehen. Bei Drogen funktioniert das schon sehr gut, habe ich mir sagen lassen.

Welche Bücher sollten Schüler unbedingt einmal gelesen haben?
Das Sparbuch ihrer Eltern und das Grundbuch der Gemeinde, in der sie leben. Jeder muss die Autoren seines Lebens selber finden. Bei mir sind es Shakespeare, Carl Barks Donald-Duck-Geschichten und Arno Schmidt.

Man muss nicht so viel im Koffer mitschleppen, stört den Partner abends beim Lesen nicht mit großem Licht, hat es überall schnell griffbereit - Argumente, die ich von Freunden höre, weshalb sie das elektronische Buch bevorzugen. Welche Zukunft hat das gedruckte Buch aus Ihrer Sicht?
Es ist schön, wenn eine der seltenen technischen Innovationen des uralten Mediums Buch in die eigene Lebenszeit fällt. Aber man muss das nicht immer so aufgeregt begackern wie im Falle der E-Books, die eine nette, letztlich banale Ergänzung zum gedruckten Buch, in erster Linie zum Taschenbuch darstellen und deren ökonomische Bedeutung bei derzeit rund fünf Prozent liegt. Viel Geschrei, wenig Wolle.

Müssten Sie auf einer Insel leben und dürften nur drei Bücher mitnehmen - welche wären es?
Eine Anleitung zum Schiffsbau, ein Insel-Kochbuch und Shakespeares Werke in der zweisprachigen Ausgabe von Frank Günther.

Noch mal zurück zu Ihrem Auftritt am Sonnabend in Havelberg. Wie viele Bücher aus welchen Genres haben Sie im Gepäck, und ist das Kofferband auch dabei?
So zirka 50 Titel. Zum Beispiel "Regentonnenvariationen" von Jan Wagner, "Scheunen im Gelände" von Jürgen Becker und "Der Allesforscher" von Heinrich Steinfest. Das Band ist übrigens kein Kofferband, sondern ein ganz normales Rollband, auf dem Buchvertriebszentren ihre Bücher transportieren.