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Rebecca Harms zur Flüchtlingspolitik "Wir brauchen legale Einreisewege nach Europa"

Rebecca Harms hält die Flüchtlingspolitik Brüssels für gescheitert. Im
Interview mit Volksstimme-Reporter Matthias Stoffregen fordert die
Grünen-Fraktionschefin ein Ende der Abschottungsversuche Europas.

22.04.2015, 01:17
HANDOUT - Die Aufnahme vom 05.02.2015 zeigt Flüchtlinge mit ihrem überfülltem Schlauchboot in unmittelbarer Nähe des Frachtschiffes «OOC Cougar» auf dem Mittelmeer. Die Schiffe der Reederei Opielok Offshore Carriers haben seit Dezember vergangenen Jahres über 1500 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit Urhebernennung Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa)  (zu dpa Vorausmeldung "Bundestag debattiert über Flüchtlingspolitik" am 21.04.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++
HANDOUT - Die Aufnahme vom 05.02.2015 zeigt Flüchtlinge mit ihrem überfülltem Schlauchboot in unmittelbarer Nähe des Frachtschiffes «OOC Cougar» auf dem Mittelmeer. Die Schiffe der Reederei Opielok Offshore Carriers haben seit Dezember vergangenen Jahres über 1500 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit Urhebernennung Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa) (zu dpa Vorausmeldung "Bundestag debattiert über Flüchtlingspolitik" am 21.04.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Opielok Offshore Carriers

Volksstimme: Frau Harms, fast täglich kentern Boote mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Die EU-Kommission will nun die Grenzschutzbehörde Frontex verstärken. Was halten Sie davon?
Rebecca Harms: Frontex hat bislang leider den Fokus stärker auf Abschottung und Abwehr gerichtet, weniger auf Seenotrettung. Die Behörde sollte nur dann besser ausgestattet werden, wenn gleichzeitig die Rettung Priorität wird.

Was würden Sie bevorzugen?
Meiner Ansicht nach sollten wir ein neues Programm zur Seenotrettung auflegen, an dem sich alle EU-Staaten beteiligen. Die Operation Mare Nostrum der italienischen Marine, die bis August vergangenen Jahres lief, ist konzeptionell eine gute Basis.

Kritiker sehen in großen Rettungsaktionen eine "Beihilfe für Schlepper".
Das ist falsch. Je mehr die EU versucht, sich abzuschotten, desto mehr blühen die Geschäfte der Schlepper-Mafia. Denn die geradezu höllische Not der Menschen ist so groß, dass sie alles versuchen, um nach Europa zu gelangen.

Wie müsste ein Rettungsprogramm ausgestattet sein?
Es gibt zwei EU-Haushaltsposten für die Bereiche Asylpolitik, Migration, Integration und Grenzschutz. Aus diesen Töpfen müssten monatlich mindestens neun Millionen Euro fließen, wenn nicht sogar mehr. Das Budget für Rettungseinsätze, über das die Grenzschutzbehörde Frontex bislang verfügte, lag bei 2,5 Millionen Euro im Monat. Da wäre es zwar ein Fortschritt, wenn künftig fünf bis sechs Millionen Euro bereitstünden. Aber reichen würde das angesichts wachsender Not und mehr Menschen auf der Flucht nicht.

Abgesehen von der Seenotrettung - was muss sich mittelfristig ändern?
Wir brauchen legale Einreisewege nach Europa. Mir ist völlig klar, dass nicht jeder Flüchtling nach Europa kommen kann, aber es muss uns gelingen, eine größere Anzahl von Menschen aufzunehmen. Und zwar nicht nur auf Zeit sondern auf Dauer. Es ist seit langem klar, dass die EU unbedingt Einwanderung braucht.

Die EU erwägt immerhin ein Pilotprojekt zur Verteilung von 5000 Flüchtlingen, auch Deutschland würde sich beteiligen, auch wenn das Projekt auf 10000 erweitert wird. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Ein sehr kleiner Schritt. Noch immer werden viele Flüchlinge in ihre Heimatländer zurückgeschickt, ohne überhaupt ein faires Asylverfahren durchlaufen zu haben. Das Recht auf Asyl ist inzwischen völlig aufgeweicht. Heute können die Flüchtlinge nur dort Asylanträge stellen, wo sie europäischen Boden betreten. Das überfordert Länder wie Italien und Griechenland. Künftig sollte es für Flüchtlinge in allen EU-Ländern möglich sein, einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Ex-Innenminister Otto Schily wurde einst für seinen Vorschlag kritisiert, Stellen für Asylersuche in Nordafrika einzurichten. Ist das noch immer abwegig?
Es kann nicht sein, dass Verfolgte erst eine lebensgefährliche Reise übers Mittelmeer antreten müssen bevor sie einen Asylantrag stellen können. Wo es möglich ist, sollten auch in Herkunftsländern Anträge angenommen werden.

Aber wie viele Flüchtlinge verträgt Europa?
Mir ist klar, dass wir früher oder später über Quoten reden müssen; das wird auch für uns Grüne keine einfache Diskussion werden. Aber auf jeden Fall müssen wir raus aus der europäischen Abschottungsstrategie, denn die bezahlen zu viele Menschen mit dem Leben.