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Drastischer Anstieg der Demenzquote in den neuen Bundesländern Wird Ostdeutschland das Pflegeheim der Republik?

28.02.2011, 04:45

Von Ulrike von Leszczynski

Die Aussichten klingen ein wenig gruselig: Nach einer Studie soll die Zahl der Demenzkranken in weiten Teilen Ostdeutschlands massiv ansteigen. Nach der statistischen Prognose verdoppelt sich der Anteil der Patienten an der Bevölkerung bereits in 15 Jahren. Neben der alternden Gesellschaft mache sich in der Alterspyramide ostdeutscher Regionen die Abwanderung junger Leute und der Geburtenknick nach der Wende besonders bemerkbar, rechnete das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vor. Wenn vorwiegend alte Menschen zurückblieben, steige automatisch die Demenzquote, lautet die zentrale These der Studie.

Die Untersuchung soll Länder und Kommunen dazu anregen, rechtzeitig Vorsorge zu treffen. Die Patientenorganisation Deutsche Hospiz Stiftung forderte die Bundesregierung am Dienstag auf, einen "Demenzplan 2020" zu verabschieden. Der Plan solle verbindliche Maßnahmen für den Umgang mit der "Volkskrankheit Demenz" festschreiben. Eine reine Angst-Diskussion nutze niemandem, sagte Vorstand Eugen Brysch.

Besonders düster sieht die jüngste Demenz-Prognose, hochgerechnet auf das Jahr 2025, für strukturschwache Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Teilen von Brandenburg aus. Doch auch viele Kreise in Sachsen-Anhalt und Thüringen sind stark betroffen. In solchen Gebieten gehen die Statistiker in rund 15 Jahren von 2800 und mehr Demenzpatienten pro 100 000 Einwohner aus. Heute gibt es in Deutschland laut Berlin-Institut rund 1,3 Millionen Demenzkranke oder durchschnittlich 1300 Patienten pro 100 000 Einwohner. Regional können diese Quoten aber sehr verschieden ausfallen: In bodenständig-katholischen Landstrichen wie den niedersächsischen Kreisen Cloppenburg und Vechta gibt es noch immer viele kinderreiche Familien als Gegengewicht zu einer alternden Gesellschaft. Großstädte und Uni-Städte profitieren vom Zuzug junger Leute für Ausbildung und Job.

Trotz solcher Lichtblicke sieht der Direktor des Insituts, Reiner Klingholz, Demenz als "normale Begleiterscheinung" in entwickelten Gesellschaften. "Das ist der Preis für Langlebigkeit", sagte er. Die Wahrscheinlichkeit für Demenz-Erkrankungen steige ab dem 65. Lebensjahr an, mit 90 sei statistisch gesehen bereits rund ein Drittel der Senioren betroffen. Und im Jahr 2050 sei jeder siebte Einwohner Deutschlands bereits über 80 Jahre alt. Die Zukunftsprognose des Demenz-Reports basiert auf der Annahme, dass es auch in Zukunft kein Heilmittel und keinen Impfstoff gegen Demenz gibt – und sich an der deutschen Bevölkerungsentwicklung nichts Grundlegendes ändert.

"Wir müssen mit dieser Entwicklung umgehen können und darum brauchen wir Daten", betonte Klingholz. Für die Zukunft gehe es zum Beispiel um neue Wohnformen für Demenzkranke und ihre Finanzierung. Westdeutsche Kommunen fordern schon heute Experimentierklauseln, um mit öffentlichen Mitteln neue Wege in Betreuung und Pflege auszuprobieren.(dpa)