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Kinderarzt Largo vertritt in seinem neuen Buch eine kindzentrierte Sicht Selbstbestimmtes Lernen statt "Ostereier-Pädagogik"

Von Philipp Hoffmann 26.04.2011, 04:37

Was haben Ostereiersuche und Frontalunterricht gemeinsam? Ganz einfach: Bei beiden versteckt einer ein Ei und die anderen müssen es suchen. Im herkömmlichen Unterricht, auch "Ostereier-Pädagogik" genannt, stellt der Lehrer Fragen und lässt die Schüler nach der einen richtigen Antwort suchen. Fantasie, Kreativität und Selbständigkeit bleiben dabei auf der Strecke.

"Lernen geht anders", meint der Schweizer Kinderarzt Remo H. Largo und hat sein neues, von der Hamburger Körber-Stiftung herausgegebenes Buch so betitelt. Ihm geht es darum, Bildung und Erziehung vom Kind her zu denken. Der emeritierte Professor für Kinderheilkunde setzt auf ein selbstbestimmtes Lernen, das Kindern Raum lässt, ihren natürlichen Lernwillen auszuleben. "Neugierde ist der Motor des Lernens", schreibt Largo.

Als Gegenteil sieht er das in der Schule verbreitete auswendig Lernen an. Nicht Pauken und Prüfen garantierten Kompetenzen, sondern das eigenständige Erschließen neuen Wissens. Schule sei allerdings von einem "ausgeprägten defizitorientierten Denken" bestimmt, so Largo, "das vor allem Ausdruck unserer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft ist".

Dem Autor, Jahrgang 1943, fehlt es an einem individualisierten Lernen: "Wir sind nicht bereit zu akzeptieren, dass jedes Kind ein einzigartiges Wesen ist." Lehrer sind bei Largo nicht Anleiter, sondern Unterstützer des Kindes. Es gebe für sie nichts Spannenderes als herauszufinden, woran ein Kind interessiert ist.

Respekt verschaffen sich Lehrer Largo zufolge nicht durch Autorität, sondern durch Vertrauen. Ein Kind brauche das Gefühl, gemocht zu werden – auch vom Lehrer. Leistung und Verhalten des Kindes dürften dieses Gefühl nie beeinträchtigen, so der Kinderarzt, für den Beziehung vor Erziehung kommt.

Largo, Autor der Bestseller "Babyjahre", "Kinderjahre" und "Schülerjahre", will seine Leser mitnehmen, nicht belehren. Er erklärt erst, bevor er berät. Indem er etwa zunächst ausführlich auf die kindliche Entwicklung eingeht, schafft er eine gute, nachvollziehbare Grundlage für die späteren Ausführungen zum Lernen.

Immer wieder verweist er im Text auch auf Quellen – in Fachbüchern längst keine Selbstverständlichkeit. Dafür mangelt es bei den acht aufgeführten Grafiken an Quellenangaben. Ohnehin sind die Grafiken schwer verständlich und wenig aussagekräftig. Sie wegzulassen, hätte dem Werk keinen Abbruch getan.

Denn Largo versteht sich nicht nur darauf, das kindliche Wesen zu erklären. Er führt auch Erwachsenen ihre eigene Unzulänglichkeit in Erziehungsfragen vor Augen. Largo zielt dabei vor allem auf die Vorbildrolle Erwachsener ab. Wer sich beispielsweise nie beim Kind bedanke, dürfe sich nicht wundern, wenn jenes auch nie danke sage. Largo folgert: "Erwachsene sollten ihr eigenes Verhalten immer wieder kritisch – aus der Perspektive des Kindes – hinterfragen und versuchen, sich vorzustellen, wie sie als Vorbilder auf die Kinder wirken." Insofern ist Largos Buch nicht nur für das Verständnis des Kindes, sondern auch für das eigene ein guter Ratgeber.