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EU-Gipfel sucht in dieser Woche nach Wegen aus der Euro-Krise Frau Merkel und Europa: Eine Beziehung ohne Leidenschaft

14.12.2010, 13:08

Von Steffen Honig

Angela Merkel wird in vielen Hauptstädten der EU – und noch mehr in denen der Eurozone – inzwischen betrachtet wie eine Margaret Thatcher ohne Handtasche. Als berühmtester Satz der früheren britischen Premierministerin in Europafragen gilt: "I want my money back!" (Ich will mein Geld zurück). Auf die regierende Bundeskanzlerin bezogen könnte es heißen: "Ihr kriegt mein Geld nicht!" Über europäische Solidarität hingegen spricht Frau Merkel kaum noch.

Das war mal etwas anders –bis zum Griechenland-Knall im Frühjahr dieses Jahres. Als Athen fast pleite war, herrschte in der Europäischen Union eine fatale Ratlosigkeit. Abgelöst wurde diese zeitweise Lähmung von der Hoffnung auf deutsches Geld zur Rettung des Euro. Merkel zögerte zunächst, um dann den Euro-Rettungsschirm führend mit aufzuspannen.

Leider hat das der Gemeinschaftswährung in den folgenden Monaten nicht wesentlich weitergeholfen. Die Zukunft des Euro nach der nächsten Milliarden-Spritze für Irland weiter ungewiss.

Am Donnerstag kommt es in Brüssel daher zum Showdown: Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs muss erneut versuchen, der Euro-Krise beizukommen.

Über den Weg gibt es im Vorfeld Streit. Die EU ist gespalten. Das Duo Frankreich-Deutschland wehrt sich dagegen, das Geld der Europäer mit europäischen Anleihen, sogenannten Euro-Bonds, abzusichern.

Alle in einem Boot?

Die Speerspitze der Euro-Bond-Bewegung bildet Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, gleichzeitig auch Chef der Euro-Gruppe innerhalb der EU. Er glaubt, dass man nach dem Motto "Einer für alle, alle für einen" aus der Krise herauskommt und den Euro ein für alle Mal stabilisieren kann. Frau Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy glauben das nicht. Sie fürchten, damit nur noch mehr die Zahlmeister Europas zu werden. Es wird wohl nichts aus den Euro-Bonds.

Abseits der Finanzen stecken hinter der Auseinandersetzung prinzipielle Differenzen bei Europa-Sicht, die sich an Merkel und Juncker personifizieren. Jean-Claude Juncker gehört zu den wenigen verbliebenen "Steinzeit-Europäern". Die politische Karriere des 56-Jährigen ist unmittelbar mit dem Wachsen der Europäischen Union von einem Sechser-Klub bis zur 27-Staaten-Gemeinschaft verbunden.

Bei allen damit verbundenen Höhen und Tiefen hat sich der christlich-soziale Politiker eine Vision vom geeinten Europa bewahrt – er brennt dafür. Begünstigt wird das dadurch, dass Juncker aus einem kleinen EU-Migliedsland kommt. In Luxemburg, Belgien oder Malta wird Europa eher als Garant für Wohlstand und Prosperität gesehen als bei den Dinosauriern der Gemeinschaft – allen voran Deutschland.

Das wird seit 2005 von Angela Merkel regiert. Mit einigen Schwenks, aber immer an der Grundlinie des ihr eigenen Pragmatismus entlang. Für die Innenpolitik gilt das genauso wie für das Verhältnis zur EU.

Die Kanzlerin ist so alt wie Juncker und auch Christdemokratin, betrachtet aber Europa mit der gleichen Nüchternheit wie ein Mathematikbuch. Merkel hat Gemeinschaft nicht geprägt, sondern wurde 1990 von einer bereits entwickelten Europäischen Union aufgesogen wie die verblichene DDR. Einzig der Lissaboner Reformvertrag, für den sie gekämpft hat, ist ein bleibendes europapolitisches Verdienst Merkels.

Die tragenden Säulen von Merkels EU-Politik sind die enge Abstimmung mit Frankreich – wie zuletzt in der Vorwoche in Freiburg – und die ihr gemäße Besetzung der führenden Posten in Brüssel. Dort wünscht Merkel keine zu starken Persönlichkeiten. Dies verhalf beispielsweise José Manuel Barroso zu einer zweiten Amtszeit als EU-Kommissionspräsident. Oder dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger zu einem Abschiebe-Posten als EU-Energiekommissar in Brüssel.

Nächste Krise droht

Von Leidenschaft, ja Herzlichkeit für Europa eines Jean-Claude Junckers ist bei Merkel nichts zu spüren. Solidarität wird gezeigt, wenn es opportun erscheint – aber nicht zulasten des deutschen Steuerzahlers.

Dessen vorgebliche Interessen trägt Merkel seit der Griechenland-Krise wie eine Monstranz vor sich her. Dass Deutschland ohne Binnenmarkt und Euro nach verbreiteter Experten-Meinung wirtschaftlich viel schlechter durch die Krise gekommen wäre, wird geflissentlich ausgeblendet.

Wenn Merkel Europa nur an der Rolle deutschen Geldes misst, isoliert sie die Bundesrepublik in der EU. Mitten in der Euro-Krise klopft eine politische Krise der Gemeinschaft an die Tür.