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Trotz gelassener Reaktion der deutschen Politik auf Wikileaks-Enthüllungen Enthüllungen schaffen eine Atmosphäre des Misstrauens

30.11.2010, 04:15

Von Kristina Dunz

Ist es gut oder schlecht, wenn ein Regierungschef "beharrlich" und "methodisch" ist und "das Risiko meidet"? Die Antwort richtet sich nach dem Auge des Betrachters. Für die USA mag die von eigenen Diplomaten so beschriebene Bundeskanzlerin unbequem sein. Aus deutscher Sicht muss diese Beurteilung von Angela Merkel in den nun von Wikileaks enthüllten vertraulichen US-Dokumenten gar nicht negativ wirken. Viele Bürger haben wohl lieber eine Kanzlerin, die beharrlich und risikoscheu als schwankend und kühn ist. Nur der Hinweis aus der US-Botschaft in Deutschland 2009, Merkel sei "wenig kreativ", dürfte die Regierungschefin wurmen.

"Gau" für die USA

Unter dem Strich wertete das politische Berlin die von der Internetplattform Wikileaks enthüllten und im "Spiegel" veröffentlichten Daten intern vor allem als "Drama", "Desaster" und "Gau" für die USA. Für Deutschland sei die kritische Bewertung seiner Politiker – Außenminister Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer trifft es am härtesten – noch "harmlos", hieß es. Gefährlich seien dagegen sicherheitsrelevante Berichte wie über den Nahen Osten.

Zwar äußerten sich Sprecher und Politiker öffentlich diplomatisch. Das deutsch-amerikanische Verhältnis leide überhaupt nicht, bemühte sich etwa Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) um Normalität. Aber, dass auch er die Vertrauenswürdigkeit der USA beschädigt sieht, machte er durch diese Mahnung deutlich: "Allerdings muss sich ein so großes Land, eine Führungsnation, natürlich schon Gedanken machen, wie sie ihre Daten sichert, dass da nicht jeder rankommen kann."

Auch deutsche Diplomaten halten es für legitim und richtig, wenn Botschaften Informationen über Politiker sammeln und der eigenen Regierung zur besseren Einschätzung ihres Gegenübers weiterleiten. Das könne für schwierige Verhandlungen von Nutzen sein. Aber das dürfe natürlich nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Durch die Enthüllungen bestehe nun eine Atmosphäre des Misstrauens. Und natürlich werde jetzt nach dem in den Berichten erwähnten, nicht genannten Informanten der FDP geforscht.

FDP-Chef und Außenminister Westerwelle ist bei den Amerikanern besonders schlecht gelitten. Ihm werden nicht nur inhaltliche Schwächen in seinem Amt, sondern auch Charakterschwächen nachgesagt. So sei er "arrogant" und fixiert darauf, seinen "Persönlichkeitskult" zu pflegen. "Schön ist eine solche Kritik nicht", hieß es in Berlin.

Problem mit Abrüstung

Seit den Koalitionsverhandlungen im vorigen Jahr dringt Westerwelle darauf, dass die USA ihre Atomsprengköpfe aus Deutschland abziehen. Oft hat er dies öffentlich getan. Insofern brauchte es keine konspirativen Hinweise. Aber Washington gefällt das einfach nicht.

Begeistert sind sie dagegen von Wolfgang Schäuble (CDU), der sich als Innenminister gegen die Bedenken des Datenschutzbeauftragten für einen notfalls bilateralen Austausch mit den USA von Fluggastdaten starkgemacht haben soll. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wird als "enger Freund der USA" beschrieben und erwähnt, wie er Westerwelle dafür verantwortlich gemacht habe, dass die deutsche Truppen in Afghanistan nicht stärker aufgestockt wurden.

Bei Schäuble schwinge durch solche Beschreibungen nun die Frage nach den deutschen Rechtsgrundsätzen und bei Guttenberg Anschwärzerei eines Kabinettskollegen mit, hieß es in Koalitionskreisen. Da sei noch nicht ausgemacht, auf wen am Ende das schlechtere Licht falle.

John Kornblum, US-Botschafter in Deutschland von 1997 bis 2001, lenkte den Blick auf eine ganze andere Schwierigkeit als die Verstimmungen durch das jetzige Nachrichtenleck. "Was hier neu ist, sind nicht die Einschätzungen, sondern die Tatsache, dass das System sozusagen geknackt wurde", sagte er dem Deutschlandfunk. Unter den heutigen technologischen Bedingungen seien die Informationen nicht mehr zu schützen. Diese Affäre bestätige frühe Warnungen: "Der Zauberer ist jetzt aus der Flasche heraus." Wenn Diplomaten jetzt mit einem chinesischen Premierminister oder mit einem deutschen Politiker sprächen, könnten sie ihnen keine Vertraulichkeit mehr garantieren.(dpa)