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Die prominente US-Bürgerrechtlerin und Ehrenbürgerin Magdeburgs Angela Davis zu Besuch in der Landeshauptstadt "Seid kritisch, bleibt wachsam"

23.06.2010, 05:17

Von Georg Kern

So viel Zulauf würde sich wahrscheinlich manch ein Geschichtsdozent bei seinen Vorlesungen wünschen. Dienstagmorgen, 9.15 Uhr – wohl recht früh für studentische Verhältnisse. Doch der Tagungsraum im Mensagebäude der Otto-von-Guericke-Unversität ist mit rund 200 Besuchern proppevoll. Hinten stehen die Zuhörer und sitzen auf Tischen. Auch zahlreiche ältere Menschen sind da. "Bekommt man ja nicht alle Tage geboten", sagt der Magdeburger Jürgen Clausen, 76 Jahre alt, der auf einem Stuhl in den mittleren Reihen Platz genommen hat.

Schießerei im Gericht

Geschichtsstunde der besonderen Art, eine Persönlichkeit der jüngeren US-Vergangenheit hält heute einen Vortrag. Gegen 9.30 Uhr kommt Angela Davis; sie trägt einen schlichten dunklen Hosenanzug. An den Ohren funkeln große Ohrringe unter ihrem Haar hervor. Diese Frisur – sie hat mit das Bild geprägt, das Menschen von ihr haben. Damals, als Angela Davis wegen eines Gerichtsprozesses in den USA schlagartig international bekannt wurde, trug sie ihr lockiges, dichtes Haar noch runder. Heute ist es leicht ergraut und sie trägt ihr etwas Haar länger.

Die Afro-Amerikanerin Angela Davis, geboren 1944 in Birmingham im US-Südstaat Alabama, ist eine bekannte Bürgerrechtlerin. Im August 1970 kam es zu einer Schießerei in einem Gerichtssaal in Kalifornien – vier Menschen starben, darunter der Richter Harold Haley. Davis, zum Zeitpunkt des Geschehens weit weg, wurde vorgeworfen, die Waffe für den Überfall besorgt zu haben. Sie kam ins Gefängnis – es drohte ihr die Todesstrafe. Im Juni 1972 wurde sie jedoch von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Angela Davis war zeitweise Mitglied der Kommunistischen Partei der USA, sie kandidierte für die Vizepräsidentschaft ihres Landes. Während ihrer Haftzeit entstand eine internationale Solidarisierungswelle, nicht zuletzt getragen von kommunistischen Parteien weltweit. "Eine Million Rosen für Angela" war der Name einer bekannten Kampagne in der DDR, auch Schulkinder schickten Rosen und Briefe.

Im September 1972 erhielt Angela Davis die Ehrenbürgerschaft der Stadt Magdeburg. Zuhörer Jürgen Clausen erinnert sich gut daran. "Damals gab es eine große Kundgebung auf dem Alten Markt, als sie die Urkunde ausgehändigt bekam", sagt er. Noch heute ist Angela Davis Ehrenbürgerin, am Dienstag ist sie seitdem das erste Mal in Magdeburg.

In ihrem Vortrag auf Englisch spricht sie von den USA und wie sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Die Wahl Barack Obamas zum ersten afro-amerikanischen Präsidenten sei natürlich eine positive Entwicklung. "Und man darf die Bedeutung dieses Ereignisses auf keinen Fall kleinreden", sagt sie.

Heute offenbare sich Rassismus – übrigens nicht nur in den USA, sondern weltweit – subtiler, in globalisierten kapitalistischen Strukturen etwa, die armen Menschen keine Chancen ließen.

Vom Kommunismus hat sich Angela Davis spätestens nach der politischen Wende von 1989/90 deutlich losgesagt, sie hat stattdessen die Idee vom "demokratischen Sozialismus" bemüht. Das passt schon vom Duktus gut zum Veranstalter des Vortrags – die Linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung hat die prominente Bürgerrechtlerin eingeladen, die in Deutschland auch in Berlin und Leipzig auftritt.

Blick nach vorn

Die Studenten, sie hören aufmerksam und konzentriert zu. Ob sie vor der Veranstaltung schon einmal von Angela Davis gehört habe? "Nein", sagt Ina Melamed vor Beginn des Vortrags geradeheraus. Die 24-Jährige aus Dresden studiert Kulturwissenschaft und Anglistik in Magdeburg. "Aber als ich meinen Eltern von der Veranstaltung erzählt habe, da haben sie mir dann erst mal Hintergründe erklärt."

Khadija Al-Zabin steht vor dem Vortrag mit Kopftuch am Eingang des Mensa-Gebäudes. Sie ist 21 Jahre alt und stammt aus Jordanien. Seit 17 Jahren lebe sie in Deutschland, sie sei aus Marburg nach Magdeburg gekommen, um Anglistik und Psychologie zu studieren, sagt sie. Sie habe vorher zwar auch nie von Angela Davis gehört, habe dann aber mit Interesse vernommen, dass sich die Bürgerrechtlerin auch gegen Islamismus und Islamophobie stark macht. "Das interessiert mich natürlich, auch deshalb bin ich zu dem Vortrag gekommen."

Heute lebt Angela Davis in Oakland, Kalifornien, in der Bucht um San Francisco. Sie ist emeritierte Professorin der University of California in Santa Cruz. Angela Davis hat nie augehört zu publizieren. Neben Rassismus und Diskriminierung hat sie sich auch mit Feminismus und existentialistischer Philosophie befasst. Zuletzt publizierte sie vor allem über Gefängnisse und Strafrecht in den USA.

Dabei würden die Arbeiten von Angela Davis durchaus international wahrgenommen, sagt Professor Holger Kersten, Leiter des Instituts für Fremdsprachliche Philologien, der die Referentin zu Beginn der Veranstaltung mit einem Vortrag über ihr Leben vorstellt.

Da sei sie nicht unbedingt Expertin, sagt Gabriele Senft, als sie zum Vortrag kommt. Die 61-Jährige aus Berlin besucht derzeit Magdeburg und hat zufällig von der Veranstaltung mit Angela Davis erfahren. "Das interessiert mich einfach, weil sie zu DDR-Zeiten so wahnsinnig bekannt war." Ob Angela Davis vom DDR-Regime instrumentalisiert worden sei? Gabriele Senft wiegt den Kopf. "Instrumentalisiert würde ich nicht sagen. Ihre Verdienste um die Bürgerrechtsbewegung in den USA sind unbestritten."

Überraschend wenig sagt Angela Davis am Dienstag allerdings über die Vergangenheit. Sie richtet den Blick mehr nach vorn, spricht von den Herausforderungen der Gegenwart durch "Neoliberalismus" und "Globalisierung".

"Seit kritisch, bleibt wachsam", sagt sie den Studenten. Denn Rassismus und Diskriminierung kämen oft genug nicht auffällig daher, sondern sehr subtil. Und das könne sogar noch gemeiner sein.