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Bei einem Wahlsieg der Konservativen ist Rücknahme des Beitrittsgesuchs im kommenden Frühjahr möglich EU-Skepsis: Isländer wollen nicht in ein brennendes Hotel einziehen

23.07.2012, 03:29

Weniger als zwei Jahre nach Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen rudern die Isländer immer kräftiger zurück und könnten bald auch offiziell wieder Kurs weg von Brüssel nehmen. "Wer möchte sich schon in einem brennenden Hotel einmieten?" fragte die populäre TV-Moderatorin und zeitweilige Präsidentschaftskandidatin Thóra Anórsdóttir jüngst und drückte damit das Grundgefühl bei den meisten ihrer Landsleute aus.

Sieger bei der Direktwahl Ende Juni wurde dann der bisherige Präsident Ólafur Ragnar Grímsson, der den Widerstand gegen eine EU-Mitgliedschaft ins Zentrum seiner Kampagne gestellt hatte. Beide zusammen kamen auf 85 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr erwarten Beobachter in Reykjavik vielleicht schon den endgültigen Todesstoß für die EU-Pläne der sozialdemokratischen Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir. "Die Konservativen liegen haushoch vorn und dürften nach einem Wahlsieg Islands Beitrittsgesuch wohl schlicht zurückziehen", sagt die Politikwissenschaftlerin Stefania Oskarsdóttir. Schon jetzt muss Sigurdardóttirs Partei im ältesten Parlament der Welt, dem "Althing", mutterseelenallein für die EU-Mitgliedschaft argumentieren.

Wirtschaftsminister Steingrímur Sigfússon vom linksgrünen Koalitionspartner hat offen erklärt, dass auch er eine Rücknahme des Beitrittsgesuchs für "denkbar" halte. Seine Partei möchte wiedergewählt werden und kennt die Umfragen mit massivem Übergewicht unter den 320000 Isländern gegen die EU-Mitgliedschaft.

Außenminister Össur Skarphédinsson von den Sozialdemokraten meinte Ende Juni in Brüssel tapfer, er spüre "zunehmendes Verständnis zwischen Island und Europa" bei den durchaus flüssig laufenden Beitrittsverhandlungen. Aber das war vor dem jetzt in der zweiten Jahreshälfte anstehenden Tauziehen über die Integration des Beitrittskandidaten in den gemeinsamen Fischereimarkt. Die völlige Selbstbestimmung über die eigene 200-Meilen-Fischereizone gilt den meisten Isländern nach wie vor als beste kollektive "Lebensversicherung".

Anders sah es nur kurz aus, als der Euro den Bürgern 2008 nach dem katastrophalen Banken-Kollaps auf der Atlantikinsel wie der rettende Hafen nach dem Sturm auf hoher See erschien. Wie soll die winzige Landeswährung Krone allein in der globalisierten Finanzwelt überleben können, fragte die Ministerpräsidentin und verwies auf den Kurssturz der Krone von zeitweise 75 Prozent bei astronomisch hohen Zinsen.

Inzwischen aber hat gerade die massive Abwertung der eigenen Währung der Fischerei und dem Tourismus, Islands wichtigsten Erwerbszweigen, wieder auf die Beine geholfen: Sie sind für Auslands-Kunden viel billiger und attraktiver geworden. Umgekehrt eilt die EU von Finanzkrise zu Finanzkrise in zunehmend beängstigenderen Dimensionen. Der "Hafen" wirkt nicht mehr so sicher.

"Da bin ich doch schon sehr zuversichtlich, dass nichts wird aus dem Beitritt", sagt der Fischerei-Manager Kristjan G. Joakimsson in Ísafjördur. Seine Familie gehört zu den zehn größten Besitzern von Fischfangrechten und damit zur vielleicht einflussreichsten Bevölkerungsgruppe bei den Wikinger-Nachfahren. (dpa)