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Heike und Arno Hardt aus Gardelegen wanderten zwei Wochen lang auf dem Jakobsweg Der Reiz der Langsamkeit

Von Gesine Biermann 04.08.2011, 06:28

Sie waren einfach zu Fuß unterwegs. Immer der Nase nach. Heike und Arno Hardt wanderten zwei Wochen lang auf dem Jakobsweg. Genauer von Berlin nach Gardelegen, rund 260 Kilometer auf Feld- und Radwegen, bei Sonne und Regen. Ein Urlaub, der das Paar manchmal an körperliche Grenzen führte, am Ende aber eine ganz wundervolle Erfahrung war.

Gardelegen. "Eigentlich bin ich ja die klassische Seeurlauberin", sagt Heike Hardt. Ostsee und holländische Nordseeküste, Strandspaziergänge und mal mit dem Rad auf den Dünenstraßen entlang. Ausruhen eben und überhaupt alles ganz ruhig angehen lassen. Millionen stellen sich so schließlich auch ihren Urlaub vor.

Vor zwei Jahren allerdings verschlug es das Paar dann doch mal woanders hin. Und siehe da, auch der Bodensee hatte seine Reize. "Vor allem die Wanderwege im Oberen Linzgau haben uns gefallen", sagt Arno Hardt. Stück für Stück eroberten sie die ausgeschilderten Wege. Und irgendwann stellten sie dann fest, dass sie sogar berühmte Pfade beschritten. Denn der Jakobsweg, ein uralter Pilgerpfad, führt auch durch das Dekanat Linzgau am Bodensee entlang nach Konstanz. "Aber wir wussten noch nicht um die tiefe Bedeutung. Wir sind einfach nur gern da gewandert", erzählt Heike Hardt. Auf wunderbaren Tagestouren, die Stück für Stück ein bisschen länger wurden.

Doch zurückgekehrt in die Altmark ließ sie die Idee des Wanderns dann irgendwie nicht mehr los. "Ich hatte ja auch schon das Buch von Kerkeling, ¿Ich bin dann mal weg\', gelesen", sagt Heike Hardt. Bei Ehemann Arno lag Tim Moores "Zwei Esel auf dem Jakobsweg" auf dem Nachttisch. Und plötzlich wurde aus den vorsichtigen Plänen ein ganz konkreter: Der Sommerurlaub 2011 sollte diesmal nicht an die See, nicht mal an den Bodensee führen, sondern auf dem Jakobsweg entlang. Allerdings nicht bis zum großen Ziel, dem angeblichen Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Galicien (Spanien), das jährlich Millionen Pilger besuchen, sondern erstmal in umgekehrter Richtung auf dem brandenburgischen Jakobsweg von Berlin nach Tangermünde.

Zu den beiden Wanderromanen in der Hardt\'schen Familienbibliothek gesellten sich daraufhin zahlreiche Wanderführer und Info-Broschüren zum Thema Pilgerreisen. Beim Outdoorausstatter wurden Rucksäcke gekauft, die einfach jeden Komfort für längere Wanderungen bieten. Nur das Angebot des Händlers, "mal über Schuhe zu reden", nahmen die zwei Wanderer nicht ganz ernst. "Wir haben ja Schuhe, hab\' ich gedacht", sagt Heike Hardt. Doch schon nach der "Probewanderung über Ostern" - drei Tage lang zu Fuß auf Wanderwegen von Gardelegen nach Arendsee - stehen die beiden wieder bei dem freundlichen Experten auf der Schwelle. Denn "ganz normale Turnschuhe sind einfach nicht geeignet". Das nämlich stellte vor allem die weibliche Hälfte des Wanderduos ziemlich schnell fest. Das Equipment der Hardts wurde also schließlich doch noch um ordentliche Wanderschuhe erweitert. Und das hatte nichts mit dem sprichwörtlichen weiblichen Schuhtick, sondern tatsächlich nur mit den, trotz der eingelaufenen Treter, unzähligen Blasen an Heike Hardts Füßen zu tun.

Der Probetripp indes war schließlich auch in anderer Hinsicht eine wichtige Sache, versichert Arno Hardt. Denn mit den nötigen acht bis neun Kilogramm Gepäck auf dem Rücken bekommen die zwei Pilgerer schon mal ein Gefühl für jene Anstrengung, die dann auf sie wartet. Als sie am 9. Juli - übrigens ihr siebter Hochzeitstag - schließlich in den Zug nach Berlin steigen und von dort aus dann jeden einzelnen Kilometer auf Schusters Rappen zurücklegen, steckt in ihrem Rucksack nämlich tatsächlich nur das Notwendigste und nur die pflegeleichtesten Teile aus ihrem Kleiderschrank. Zweimal Wäsche zum Beispiel, die muss dann eben täglich gewaschen werden. Dazu haben die Hardts Hosen eingepackt, die sich mehrstufig durch Reißverschlüsse verkürzen oder verlängern lassen. "Dein Feind ist das Gewicht auf dem Rücken", sagt Heike Hardt. Mit jedem Kilometer wird der Rucksack schwerer. "Irgendwann fängt man dann an, mit jedem Gramm zu feilschen."

Doch zunächst sind die zwei natürlich guten Mutes. Schon eine Station früher steigen sie in Berlin aus dem Zug. Die erste Etappe führt sie ins brandenburgische Bötzow. Nur sieben Kilometer. Am zweiten Tag gibt\'s jedoch eine ordentliche Steigerung: 25 Kilometer sind es nämlich auf dieser Etappe. Doch ihre Karte führt sie durch idyllische brandenburgische Landschaften, unter schattigen Bäumen und auf weichen Waldwegen entlang. Es wandert sich gut dort. Dazu kommt, dass sich der Jakobsweg hier mit dem Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack zur berühmten Wunderblutkirche vereint. Dessen Symbol, die drei Hostien, finden sich an Bäumen und Pfählen, "manchmal auch einfach mit Farbe auf einen Stein gemalt". "Die Brandenburger sind sehr gut auf Pilgerer eingestellt", sagt Arno Hardt. Und so treffen die Gardeleger sogar ein Pilgerpärchen aus Berlin, das auf dem Weg nach Bad Wilsnack mit ihnen wandert, wo natürlich die Besichtigung der Wunderblutkirche auf ihrem Programmzettel steht.

Von dort an allerdings wird es für das Paar beschwerlicher. Die Muschel als Symbol des Jakobsweges ist an manchen Schildern einfach von Radwanderschildern überklebt. Oft von solchen, die auf den Altmark-Rundkurs des Tourismusverbandes hinweisen, wie Arno Hardt feststellt. Genau der verläuft hier auch noch genau auf dem Jakobsweg. Doch "was den Radfahrer erfreut, ist für den Pilgerer ziemlich demotivierend", sagt Heike Hardt und lächelt ein bisschen schief. Denn unendliche, schnurgerade, asphaltierte Wege sind für Radler sicher ein Vergnügen. Für die beiden Wanderer sind sie es nicht. "Das geht total auf die Gelenke", weiß die Praktikerin nun. Und irgendwie "wurden die Schuhe und meine Füße nicht eins". Gut, dass die Apotheken am Wege gute Blasenpflaster führten. Im Nachhinein betrachtet "könnten wir jetzt vermutlich wohl einen Apothekenführer schreiben", sagt die Gardelegerin zwinkernd. "Und einmal habe ich mich gefragt, ob ich wohl mitfahren würde, wenn ein Autofahrer eine Mitfahrgelegenheit anbieten würde", erinnert sie sich. Doch dann habe sie den Gedanken schnell verworfen. Denn auch die Überwindung, "morgens wieder in die Schuhe zu müssen", gehöre ja irgendwie zum Sinn des Pilgerns. Schließlich war ja auch Jakob ein Märtyrer.

Dass sie neben den schmerzlichen Erfahrungen viele wunderschöne Eindrücke mit nach Hause genommen haben, spürt man indes ganz deutlich, wenn man sie über ihre Pilgerreise plaudern hört. "Wir hatten so tolle Begegnungen unterwegs", erzählt Heike Hardt. Eine ältere Dame sei zum Beispiel von ihrem Fahrrad abgestiegen, um kilometerweit mit ihnen zu laufen, ein kleiner Junge bot spontan seine Hilfe beim Kartenlesen an, und überall seien sie in den Pensionen unterwegs freundlich aufgenommen worden. Außerdem "haben wir ganz viel Geschichtliches gelernt und kennen auch unsere Region jetzt vermutlich viel besser als die meisten Altmärker", sagt Arno Hardt, der ursprünglich aus dem Rheinland stammt. Denn sogar die letzte Strecke, von Tangermünde bis Gardelegen, waren die zwei zu Fuß unterwegs. Der dreizehnte Tag war das und das Wetter dementsprechend. Pudelnass kommen sie am 22. Juli zu Hause an. Doch dafür mit einem Gefühl, das sich wohl nur schwer beschreiben lässt, für all jene, die Wege von mehr als einem Kilometer mit dem Auto zurücklegen. "Wir haben jetzt wieder ein Gefühl für Entfernungen", sagt er, "und den Reiz der Langsamkeit für uns entdeckt", ergänzt sie.

Und so wollen die Hardt\'s tatsächlich noch einmal zurück auf den Jakobsweg. Am liebsten auf die berühmten letzten 200 Kilometer, mit dem Ziel Santiago de Compostela. Der Weg habe sie körperlich manchmal an Grenzen geführt, sagt Arno Hardt, der, genau wie seine Frau in einem Beruf arbeitet, in dem er täglich viel Hektik erlebt. Doch die Stille der Natur, das Auf-sich-selbst-besinnen "hat uns beiden unglaublich gut getan". Wenn das überhaupt möglich sei, "hat uns dieser Urlaub eigentlich noch näher zusammengebracht" versichert er und schaut seine Frau lächelnd an. Da kann sie natürlich nur zurücklachen. "Und wir wissen jetzt auch wieder Kleinigkeiten zu schätzen", sagt sie fröhlich. "Die Waschmaschine zum Beispiel", die da unvermutet in einer Pension stand. Und besonders natürlich die segensreiche Erfindung der Blasenpflaster...